Künstler fordern Unterstützung
Mit verschiedenen Aktionen weisen Musiker auf die schwierige Situation in der Veranstaltungsbranche hin
HANNOVER (epd) - Die Kulturbranche fühlt sich in der Corona-Krise von der Politik im Stich gelassen. Mit zahlreichen Aktionen machen Musiker auf ihre aussichtslose Situation aufmerksam – und sind dabei gewohnt erfindungsreich.
Artur Kühfuß geht langsamen Schrittes an seinen Flügel, setzt sich und beginnt zu spielen. Mit geschlossenen Augen, ganz in die Musik versunken. Er spielt eines seiner Lieblingsklavierstücke. Den Schlussakkord hält er lange aus, dann steht er auf und geht wieder. Der Pianist aus Hannover hat ein Video davon auf seiner Facebook-Seite gepostet, 5 Minuten und 30 Sekunden dauert das Stück. Doch zu hören ist: nichts. #SangUndKlanglos ist im Bild eingeblendet, es ist der Name einer von vielen Aktionen, mit denen Musiker und Künstler auf ihre prekäre berufliche Situation während der CoronaPandemie aufmerksam machen.
Der 30-jährige freischaffende Musiker hat seinen Auftritt in dem Video so kommentiert: „Ihr werdet nie erfahren, welches Stück es ist oder warum es so schön ist. Wenn das so weitergeht, könnt ihr euch schon mal daran gewöhnen.“Zahlreiche Künstler aller musikalischen Sparten haben sich bereits an der Aktion beteiligt, die auf die Münchner Philharmoniker zurückgeht. Diese hatten in voller Orchesterstärke mit ihren Instrumenten das Podium betreten und waren nach mehreren Minuten Stille nach und nach wieder gegangen. „Ich bin keiner, der jedem Trend hinterherhüpft“, sagt Artur Kühfuß. „Aber ich fand die Grundidee gut.“
Auch die hannoversche Sängerin Tokunbo Akinro sieht das so. Sie stellte kommentarlos ein 20-minütiges Video ins Netz, auf dem nur ihre Gitarre zu sehen ist, die an einer Backsteinwand lehnt. „Was zur Hölle?“kommentierte sinngemäß ein irritierter Fan aus Portugal – bis die Künstlerin ihn über die Aktion aufklärte.
Den Musikern schlägt eine Welle der Solidarität entgegen. „Normalerweise erreiche ich mit meinen Posts maximal 400 Personen, aber das Video wurde 3200-mal angeklickt“, sagt Artur Kühfuß. Doch von Solidarität
allein kann niemand Miete zahlen. Die Kulturbranche fühlt sich bislang von der Politik im Stich gelassen und spricht von „Berufsverbot“. Bei den Soforthilfen fallen viele durchs Raster. Mit der sogenannten Novemberhilfe des Bundes gebe es zwar endlich ein Programm, das sich an den Realitäten vieler Solo-Selbstständiger orientiere. Doch um antragsberechtigt zu sein, müssten Künstler 80 Prozent Umsatzeinbußen nachweisen. „Da ich wie viele andere Musiker nebenher unterrichte, sind es bei mir nur 70 Prozent“, sagt Kühfuß. „Es ist ein verrücktes Spiel.“
Die Bürokratie bei vielen Hilfsprogrammen kritisiert auch Vera Lüdeck, Geschäftsführerin der Landesarbeitsgemeinschaft Rock in Niedersachsen. „Die einzige Chance liegt in einem bedingungslosen Grundeinkommen“, sagt Lüdeck. Dieses müsse ein menschenwürdiges Leben ermöglichen und nach ihrer Auffassung
mindestens 1000 Euro betragen.
Auch unter dem Hashtag #ohneunsistsstill machen Musiker, Veranstaltungstechniker, Booker, DJs und weitere Betroffene in den sozialen Medien auf die schwierige Lage aufmerksam.
Einen weiteren Weg verfolgt Tokunbo Akinro, die die Initiative #AirplayForArtists ins Leben gerufen hat. Sie setzt sich dafür ein, dass Songs von unabhängigen Künstlern häufiger im Radio gespielt werden, damit die Urheber wenigstens über die Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaft Gema Einnahmen erzielen können.
Mit der Acoustic-Soul-Band Tok Tok Tok hat die in Nigeria aufgewachsene Sängerin 13 Alben veröffentlicht. Jetzt ist sie unter dem Namen Tokunbo als Solokünstlerin unterwegs. Der Forderung #AirplayForArtists haben sich inzwischen 85 Solokünstler und Bands angeschlossen, darunter auch e Purple Schulz, Stefan Stoppok, Henning Wehland und Christina Lux.
Vor allem bei den öffentlichrechtlichen Kultursendern sei man auf offene Ohren gestoßen, sagt Tokunbo. „Die nehmen ihren Bildungsauftrag ernst und haben zum Teil Sondersendungen gebracht.“Auch viele Lokalradios hätten ihre jeweiligen Szenen unterstützt. Es habe aber auch Absagen von Mainstream-Sendern gegeben, die sich „aus Rücksicht auf ihr konservatives Publikum“nicht beteiligen wollten.
In Kürze will Tokunbo endlich wieder Konzerte geben. Sofern das vor echtem Publikum nicht möglich ist, dann zumindest per Livestream – aber mit Bezahlschranke. Kostenlos gibt es nur den Anblick ihrer Gitarre vor einer Backsteinwand.