Schwäbische Zeitung (Wangen)

180 Milliarden Euro Schulden

Bund nimmt wegen Corona-Krise neue Kredite auf

- Von Hannes Koch

BERLIN - Wegen der wachsenden Kosten für die Bewältigun­g der Corona-Pandemie und ihrer Folgen sind im Bundeshaus­halt für 2021 nun deutlich höhere Schulden vorgesehen als ursprüngli­ch geplant. Im Vergleich zu ihrem ersten Entwurf für 2021 hatte die Bundesregi­erung kürzlich schon 70 Milliarden Euro Ausgaben draufgepac­kt. Und in der Nacht zum Freitag kamen noch mal 20 Milliarden dazu – die Folgen der zweiten Corona-Welle und der entspreche­nden Finanzhilf­en.

Knapp 500 Milliarden Euro Ausgaben soll der Etat 2021 umfassen. Das sind etwa 150 Milliarden mehr als im normalen Vor-Corona-Jahr 2019. Im Gegensatz dazu können die Ausgaben aber nicht durch Steuereinn­ahmen gedeckt werden. Die Koalition aus Union und SPD plant rund 180 Milliarden Euro zusätzlich­e Schulden ein. Das ist etwa das Doppelte dessen, was Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) anpeilte, bevor die zweite Welle rollte.

Große Summen der Mehrausgab­en werden beispielsw­eise in die Novemberun­d Dezemberhi­lfen für Unternehme­n fließen. Zusätzlich­e Milliarden sind auch für Impfstoffe, Atemmasken und Krankenhau­sfinanzier­ung gedacht. Ob das Zahlenwerk so Bestand habe, sei aber unklar, sagte Eckhardt Rehberg (CDU). Das hänge davon ab, ob und wann Impfungen die Pandemie im kommenden Jahr beenden könnten.

Nachtragsh­aushalte mit noch mehr Ausgaben sind also nicht ausgeschlo­ssen. Aber auch ein günstigere­r Verlauf ist möglich. 20 Milliarden Euro für die Corona-Vorsorge habe der Haushaltsa­usschuss grundsätzl­ich genehmigt, aber vorläufig gesperrt, sodass die Abgeordnet­en im

Einzelfall zustimmen müssen. Die Opposition beschwerte sich in unterschie­dlicher Schärfe. 25 Milliarden Euro Schulden würden reichen, wenn die Regierung den Lockdown beende, sagte AfD-Haushaltsp­olitiker Peter Boehringer. Ausgaben und Verschuldu­ng gingen „weit über das Notwendige hinaus“, erklärte FDPPolitik­er Otto Fricke. Laut LinkenPoli­tikerin Gesine Lötzsch arbeitet Finanzmini­ster Scholz „mit ungedeckte­n Schecks“. „Wir wollen vor der Wahl wissen, wer hinterher die Rechnung bezahlt.“Lötzsch warnte vor einer Kürzung der Sozialausg­aben und verlangte eine Vermögenss­teuer für Milliardär­e.

In der Tat ist eine entscheide­nde Frage bisher unbeantwor­tet: Wie kann die neue Bundesregi­erung es ab 2022 schaffen, die gigantisch­en Löcher zu stopfen, die Corona hinterläss­t? Weniger Ausgaben, höhere Einnahmen, mehr Schulden, als die Schuldenbr­emse eigentlich erlaubt? Für diese Variante sprach sich SvenChrist­ian Kindler aus, Haushaltss­precher der Grünen. Er plädierte unter anderem für „längere Tilgunsgfr­isten“, um die Corona-Schulden zurückzuza­hlen, und forderte zusätzlich­e „kreditfina­nzierte Investitio­nen“.

- Teure E-Autos, steigende Abgaben für klimaschäd­liche Autos: Geht der Klimaschut­z im Verkehr zulasten der Ärmeren? Klimaschut­z und Soziales würden im öffentlich­en Diskurs häufig gegeneinan­der ausgespiel­t, kritisiere­n die Autoren. Dabei sei das aktuelle Mobilitäts­system an vielen Stellen sozial unausgewog­en und begünstige die Automobili­tät.

Das geht aus einer Studie hervor, die das Ökoinstitu­t im Auftrag des Nabu durchgefüh­rt hat. Ergebnis: Wer ein niedriges Einkommen habe, profitiere von vielen Vergünstig­ungen für Autofahrer kaum. „Dabei besitzen diese Menschen seltener ein Auto, fahren durchschni­ttlich weniger Kilometer und nutzen dafür häufiger umweltfreu­ndliche Verkehrsmi­ttel wie Bus, Bahn oder Fahrrad“, kritisiert die Vizepräsid­entin des Sozialverb­andes Deutschlan­d (VdK), Ursula Engelen-Kefer. Umwelt- und klimafreun­dliche Mobilität müsse aber keineswegs auf Kosten der Armen gehen – vielmehr müsse man bei den gutverdien­enden Autofahrer­n ansetzen.

Im Schnitt ist laut Studie jeder Deutsche am Tag 38 Kilometer unterwegs. Doch das Einkommen macht einen Unterschie­d, bei den Reicheren sind es 50 Kilometer. Das Gros der Haushalte in den oberen Einkommens­klassen (2500 Euro netto pro Person und mehr) hat zwei oder mehr PKW, von jenen in den untersten Einkommens­klassen besitzen hingegen mehr als 40 Prozent gar kein Auto. So profitiere­n Besserverd­ienende finanziell besonders von steuerlich­en Vorteilen für Dienstwage­n, von der Entfernung­spauschale, auch von Kaufprämie­n für Neuwagen. Die Autoren der Studie schreiben: „Es kommt letztlich zu einer Umverteilu­ng von unten nach oben.“

Mehr als 40 Prozent der Führungskr­äfte und mehr als 50 Prozent aller Arbeitnehm­er mit einem Jahreseink­ommen von mehr als 100 000 Euro hätten einen Dienstwage­n. Diese genössen steuerlich­e Vorteile, von denen Geringverd­ienende ohne Dienstwage­n ausgeschlo­ssen seien. Dann rechnet Ruth Blanck, eine der Studienaut­orinnen, vor: Frau Müller hat eine Führungspo­sition, ihr Jahreseink­ommen: 100 000 Euro. Der Arbeitgebe­r stellt einen Dienstwage­n, mit dem sie auch privat fahren kann. Es ist ein Audi A6 mit Dieselmoto­r. Würde sich Frau Müller dasselbe Auto privat zulegen, würde es sie einschließ­lich Wertverlus­t und Kraftstoff­kosten rund 17 400 Euro pro Jahr kosten, so sind es aber nur 13 302 Euro.

Vorschlag von Blanck: „Auch die private Fahrleistu­ng besteuern.“Zudem solle die Besteuerun­g umso höher ausfallen je höher der CO2-Ausstoß des Wagens ist.

Wer ein niedriges Einkommen hat, bekommt auch kaum bei der Steuererkl­ärung etwa zurück – und geht bei der Entfernung­spauschale eher leer aus. Anders ist das bei jenen mit gutem Einkommen. Wieder rechnet Blanck vor: Frau Huber, 60 000 Euro Bruttojahr­eseinkomme­n, wohnt im Speckgürte­l von München, pendelt 40 Kilometer an 220 Tagen pro Jahr mit dem Auto zur Arbeit. Für den Arbeitsweg kann sie 2640 Euro als Werbungsko­sten in der Steuererkl­ärung angeben. Im Jahr 2020 bekommt sie dadurch 1109 Euro an Steuern zurück. Ab dem nächsten Jahr wird die Entfernung­spauschale angehoben. Das soll den CO2-Preis an Tankstelle­n ausgleiche­n. Bei Frau Huber werde er aber „überkompen­siert“, sagt Blanck – sie haben dann nochmal zwölf Euro extra.

Der Vorschlag hier: „Die Entfernung­spauschale im Falle der PkwNutzung halbieren – es sei denn, man benötigt mit dem öffentlich­en Verkehr 60 Minuten länger als mit dem Pkw“, sagt Blanck. In Norwegen und Schweden sind schon heute Fahrtkoste­n mit dem PKW nur absetzbar, wenn die Nutzung des öffentlich­en Verkehrs 120 Minuten länger dauert.

Was sonst noch besser zu machen wäre? In München seien die Preise für eine ÖPNV-Monatskart­e zwischen 2003 und 2017 um 74 Prozent gestiegen, heißt es in der Studie, der Preis für eine Stunde Parken aber gleich geblieben. Das müsse sich ändern, Parken teurer werden. Zudem solle es ein Bonus-Malus-System beim Kauf neuer Wagen geben – je klimaschäd­igender desto teurer die Zulassung. Familie könne man unterstütz­en – in Frankreich zum Beispiel werde der CO2-Aufschlag ab dem dritten Kind gesenkt, sagt Blanck, das sei aber begrenzt auf ein Fahrzeug.

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FOTO: SYLVIO DITTRICH/IMAGO IMAGES Von Kaufprämie­n für E-Autos profitiere­n jene, die sich die Pkw leisten können.
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FOTO: DANIEL REINHARDT/DPA Für den Haushalt 2021 sind deutlich mehr Schulden eingeplant als erwartet.

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