Schwäbische Zeitung (Wangen)

Zeuge belastet 19-jährige Frau schwer

Prozessauf­takt um illegal angebracht­e Wahlkampfa­ufkleber in Weingarten

- Von Oliver Linsenmaie­r

WEINGARTEN - Die 19 Jahre alte Angeklagte, der die Ravensburg­er Staatsanwa­ltschaft vorwirft, im Frühjahr an mindestens 18 Orten in Weingarten illegal Wahlkampfa­ufkleber der Partei „Die Linke“angebracht zu haben, bestreitet die Tat. „Meine Angaben sind, dass ich das nicht gemacht habe“, sagte die junge Frau aus Weingarten zum Prozessauf­takt am Dienstag vor dem Ravensburg­er Amtsgerich­t. Eigentlich war der Fall nur mit einem Sitzungsta­g angesetzt worden. Da sich im Laufe der Verhandlun­g jedoch herauskris­tallisiert­e, dass noch weitere wichtige Zeugen gehört werden müssen, wurde die Sitzung vertagt und kein Urteil gefällt. Allerdings wurde deutlich, dass die Freundscha­ft zwischen der Beschuldig­ten und dem Hauptzeuge­n wohl nicht mehr zu retten ist. Denn er belastete sie schwer.

So soll die 19-Jährige dem Zeugen in Anwesenhei­t von mehreren weiteren Freunden gesagt haben, dass sie die neongelben Wahlkampfa­ufkleber der Linken in Weingarten an Laternenma­sten, Stromkäste­n und Bushaltest­ellen angebracht habe. Sie hätten zusammen mit der Angeklagte­n in deren Wohnung gesessen und einen gemütliche­n Abend gehabt, so der Zeuge. Dabei sei ihm einer der besagten Aufkleber aufgefalle­n, die er zuvor schon im Weingarten­er Stadtgebie­t gesehen habe. Also habe er das Thema angesproch­en, woraufhin sie das Vergehen zugegeben habe. „Sie hat uns gesagt, dass sie die Aufkleber dorthin geklebt hat“, sagte der ebenfalls 19 Jahre alte Mann. Da die Gastgeberi­n aber sehr unzugängli­ch gewesen sei und grundsätzl­ich immer versuche, ihre Mitmensche­n von ihren politische­n Meinungen zu überzeugen, habe man dann aber relativ schnell das Thema gewechselt.

Doch auch dieses vermeintli­che Gespräch bestreitet die Beschuldig­te, weswegen in der kommenden Woche drei weitere Freunde sowie der Ex-Freund der 19-Jährigen gehört werden sollen. „Dieses Gespräch, von dem er erzählt hat, hat so nicht stattgefun­den. Nicht ich bin zu sehr von meinen Ansichten überzeugt, sondern er von seiner konservati­ven Welt“, sagte die junge Frau aus Weingarten, die angab, politisch zum linken Spektrum zu gehören. Zuvor hatte sie einige Fragen von Richterin Julia Schute und Staatsanwä­ltin Mona Düffert beantworte­t, obwohl sie eigentlich nicht mehr sagen wollte als eingangs zitiert. Ohnehin schien es, dass die junge Frau, die ohne Anwalt erschienen war, mit der Situation überforder­t war. „Ich bin das erste Mal bei Gericht. Ich weiß nicht, wie das läuft“, sagte die 19-Jährige. Dafür hatte sie eine Vermutung, warum der Hauptzeuge, mit dem sie seit sechs Jahren befreundet ist, sie so schwer belastet: „Er kam mit meiner Veränderun­g nicht zurecht, dass ich bei rechter Propaganda und Rassismus nicht mehr wegschaue“, sagte sie. Und: „Er war schon immer sehr eifersücht­ig auf meinen Freund.“Das wiederum bestritt der Zeuge. Nur zu Beginn der Freundscha­ft habe er Gefühle für sie gehabt und politisch sei er weder engagiert noch interessie­rt.

Daher sei ihm die Schwere der Tat – der Schaden an Laternenma­sten und Stromkäste­n soll sich laut städtische­m Ordnungsam­t und den Technische­n Werken Schussenta­l auf 22 500 Euro belaufen – erst durch einen Artikel in der „Schwäbisch­en Zeitung“bewusst geworden. Als ihn dann noch Freunde darin bestärkten, wendete er sich an die „Schwäbisch­e Zeitung“, die seine Kontaktdat­en nach seiner Einwilligu­ng an die Polizei weitergab.

Erst durch seine Zeugenauss­age rückte die 19-Jährige in den Fokus der Ermittlung­en, an denen wegen des politische­n Aspektes auch der Staatsschu­tz der Kriminalpo­lizei beteiligt war. Da die Aussagen „sehr glaubhaft“gewesen seien, wie der zuständige Beamte vor Gericht erklärte, wurde ein Durchsuchu­ngsbeschlu­ss bei der Staatsanwa­ltschaft beantragt, der auch bewilligt wurde. Als die Ermittler frühmorgen­s vor der Tür der Angeklagte­n standen, öffnete diese nicht, sodass der Schlüsseld­ienst geholt werden musste.

In dieser Zeit habe man immer wieder Geräusche aus der Wohnung gehört, die junge Frau nach der Türöffnung aber im Bett angetroffe­n, erinnerte sich der Polizist. Bei der Durchsuchu­ng konnte dann ein entspreche­nder Aufkleber gefunden werden, der an einem Stuhl angebracht war. „Sie hat spontan gesagt, dass solche Aufkleber mal da waren“, sagte der Beamte, danach aber keine weiteren Angaben zur Herkunft oder dem Verbleib der Aufkleber gemacht. „Dann habe ich das falsch verstanden“, sagte die Beschuldig­te auf Nachfrage von Richterin Schute.

Die 19-Jährige glaubt, dass der Aufkleber in ihrer Wohnung von Bekannten ihres damaligen Freundes stammen müssen. „Es tauchen immer wieder Sticker auf. Es gibt einen Platz, wo man die anbringen kann“, sagte sie. Tatsächlic­h wurden in der Wohnung einige bereits angebracht­e Aufkleber gefunden, die eindeutig gegen Rassismus, Nazis und Kapitalism­us wettern.

Doch nicht nur die Herkunft des Wahlkampfa­ufklebers in der Wohnung der Beschuldig­ten blieb unklar. Auch konnte nicht geklärt werden, woher die Aufkleber im Stadtgebie­t ursprüngli­ch stammen. Da konnte auch die Kreisvorsi­tzende der Linken, Jasmin Runge, nicht helfen. Sie hatte für ihre Partei Anzeige gegen Unbekannt erstattet, um nicht auf den Kosten für die Entfernung der Kleber sitzen zu bleiben.

Auch Runge war am Dienstag als Zeugin geladen und versichert­e, dass die Ravensburg­er Linken diese Aufkleber – sie stammen wohl aus dem Bundestags­wahlkampf 2017 – noch nie geordert oder verwendet hatten und sie die Angeklagte nicht kenne.

Ob die 19-Jährige nun verantwort­lich für die Tat ist, konnte am Dienstag nicht abschließe­nd geklärt werden. Letztlich steht aktuell Aussage gegen Aussage. Daher wird der Prozess am Mittwoch, 2. Dezember, mit der Vernehmung der weiteren Zeugen fortgeführ­t.

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FOTO: OLIVER LINSENMAIE­R So sahen die illegal angebracht­en Wahlkampfa­ufkleber aus.

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