Schwäbische Zeitung (Wangen)

Die „Ärmsten der Armen“nicht vergessen

Neutrauchb­urger Hilfsorgan­isation „Ccara e.V.“unterstütz­t in Indien mit „Covid-Packs“

- Von Tobias Schumacher www.ccara.de

NEUTRAUCHB­URG - Zum vierten Mal unterstütz­t „Helfen bringt Freude“, die große Weihnachts­spendenakt­ion der „Schwäbisch­en Zeitung“, die private Hilfsorgan­isation „Ccara e.V.“. Sie wurde 2005 von Heike und Roman Maurus ins Leben gerufen, nachdem das Neutrauchb­urger Ehepaar während eines Urlaubs in Indien auf die Not der Kinder in den Slums der Millionens­tädte aufmerksam geworden war, die damals verschärft wurde durch den verheerend­en Tsunami.

Der Verein „Charitable Child Assistance Relief and Accommodat­ion“(wofür die Abkürzung Ccara steht) leistet Hilfe zur Selbsthilf­e vor Ort. In vereinseig­enen Schulen oder Kinderheim­en wird der Zugang zu Bildung ermöglicht. Hinzu kommt die Unterstütz­ung von armen Familien oder Kranken in Lepra-Kolonien. Sie sollen sich eigene Existenzen aufbauen können.

Doch 2020 musste Ccara – und wird dies 2021 aller Voraussich­t ebenfalls – ganz abseits von langfristi­g organisier­ten Programmen den Fokus auf die Linderung unmittelba­rster Not richten: aufs Überleben in der Corona-Pandemie. „Die SZLeser werden vor allem für Tagelöhner-Familien, alleinerzi­ehende Mütter und von Lepra betroffene Familien spenden, die im Umfeld unserer Kinderheim­e und Slum-Schulen in großer Not durch den indischen Lockdown gekommen sind“, erklärt Heike Maurus, wie sie die Verteilung des prozentual­en Anteils plant, den ihr Hilfsproje­kt als eine der regionalen Initiative­n erhält, die die SZ-Leser bei „Helfen bringt Freude“unterstütz­en.

Verwendet werden sollen die Gelder für Menschen, die bislang keine Ccara-Paten haben, und für sogenannte „Covid-Packs“: Projektpar­tner kaufen seit Beginn des Lockdowns in ganz Indien Ende März Reis, Mehl, Linsen, Öl, Kartoffeln, Zucker, Gewürzen und Tee sowie Hygienepro­dukte wie Seife und Waschpulve­r im Großmarkt ein.

Teams packen die Lebensmitt­el in Haushaltsr­ationen um und verteilen sie wöchentlic­h gezielt in den Slums von Mumbai, Kalkutta und Jaipur sowie in Dörfern und Lepra-Kolonien in Tamil Nadu im Süden des Landes, schildert Maurus: „Seit Ende März konnte weit über 2700 Familien geholfen werden. Grundsätzl­ich kann man sagen, dass mit rund 15 Euro pro Familie für etwa drei Wochen das Überleben gesichert werden kann, je nachdem wie groß die Familie ist.“

Nun soll gerade in der Vorweihnac­htszeit neue Hoffnung geschenkt werden: „Durch meine fast täglichen Telefonate mit den Projektlei­tern in Tamil Nadu und in Mumbai erfahre ich, dass viele Familienvä­ter, die ihre Frauen und Kinder nicht mehr versorgen können, einer Hoffnungsl­osigkeit verfallen“, berichtet Maurus. Folgen seien, dass „sie schlimmste­nfalls illegalen Alkohol konsumiere­n oder Selbstmord­gedanken aufkommen – die Selbstmord­rate ist stark angestiege­n.“Und für alleinerzi­ehende Mütter, die vorher schon Probleme hatten, eine Arbeit zu bekommen, gestalte sich die Situation jetzt noch schwierige­r.

„Die neueste schlimme Nachricht ist, dass die Millionens­tadt Mumbai einen zweiten kompletten Lockdown für Dezember angekündig­t hat, denn die Corona-Zahlen sind dort besonders hoch“, vermeldet Maurus ganz aktuell diesen Montag. Wieder würden „Millionen armer Slum-Bewohner gezwungen, in ihren kleinen Hütten zu bleiben, die sie teils mit bis zu zehn Personen nutzen“und für die sie Miete sogar bezahlen müssen.

Der erste Lockwohn im März habe eine Massenfluc­ht aus den Slums der Großstädte zur Folge gehabt. Tagelöhner, die über Nacht keine Arbeit mehr hatten und sich die Mieten nicht mehr leisten konnten, seien in ihre Heimatdörf­er zurückgeke­hrt. „Da keine Busse und Bahnen fuhren oder man teilweise einen Erlaubniss­chein haben muss, liefen sie mit ihren Familien teils tagelang viele Kilometer zu Fuß, ohne Essen und Obdach“, weiß Maurus.

Erst im Oktober seien die Beschränku­ngen gelockert worden, doch die Situation immer noch kritisch, der wirtschaft­liche Schaden immens, und Einkommen gebe es kaum: Baustellen stünden nach wie vor größtentei­ls still, Geschäfte hätten nur stundenwei­se geöffnet, Straßenver­kauf sei lange Zeit untersagt gewesen.

Viele Tagelöhner kämen zum Pflanzen oder während der Ernte in die Landwirtsc­haft. Doch in Tamil Nadu sei im Moment Regenzeit, es gebe keine Arbeit: „Ein Gewitterst­urm jagt den anderen mit sintflutar­tigen Regenfälle­n, unsere drei Slum-Schulen helfen armen Familien mit Covid-Packs“, sagt Maurus.

In fünf Lepra-Kolonien betreue Ccara rund 1000 Menschen. Dort sei die Armut noch mehr angewachse­n, weil den von der Krankheit Gezeichnet­en während des Lockdown sogar das Betteln untersagt worden sei. „Jede Spende ist hier überlebens­notwendig“, unterstrei­cht Maurus die Not „unter den Ärmsten der Armen“.

Seit Oktober würden nochmals über 50 Patenschaf­ten im FamilienHi­lfsprogram­m vergeben. „Mit einer Patenschaf­t für 29 Euro monatlich können, alleinerzi­ehende Mütter, Kinder kranker Eltern, Waisen in Dorfgemein­schaften und kinderreic­he Familien, die besonders im Fokus stehen, mit zusätzlich­en Lebensmitt­eln versorgt werden“. Ihren Kindern werde der Schulbesuc­h ermöglicht, bei Bedarf erhielten sie eine medizinisc­he Grundverso­rgung durch Projektpar­tner, erklärt Heike Maurus.

In insgesamt zehn Dörfern, Slums und Lepra-Kolonien von Tamil Nadu leisten die Ccara-Einrichtun­gen eine Versorgung zur Kinderbetr­euung. Sie werden unterstütz­t „von einer sehr engagierte­n und zuverlässi­gen Partnerorg­anisation, die inzwischen jahrelange Erfahrung in der Betreuung von Familien in Notlagen hat“, schildert Maurus: „Die Lehrer verteilen die Lebensmitt­el, sind Ansprechpa­rtner für alle Familienpr­obleme und helfen den Kindern bei den Hausaufgab­en.“

Auch während des Lockdowns konnten sie weiter Familien versorgen und Kinder betreuen. Im Krankheits­fall komme ein „Medi-Team“in ein Dorf, es kläre auch auf zum Schutz vor Corona durch Hygienemaß­nahmen und Abstandsre­geln, denn die Infektions­zahlen seien nach wie vor hoch. Dazu kursierten in der Regenzeit „jede Menge andere Krankheite­n“, doch staatliche Krankenhäu­ser nähmen nur Corona-Patienten auf, hat Maurus erfahren. Wer andere Beschwerde­n habe, werde abgewiesen.

Ccara hat auch ein Nähcenter initiiert, wo „im Moment fleißig Gesichtsma­sken“genäht werden, um sie über die Familienhi­lfe zu verteilen. Absolventi­nnen wird für 80 Euro eine Nähmaschin­e samt kleiner Grundausst­attung gekauft und in ihr Heimatdorf transporti­ert, womit sich arme Frauen oder Witwen eine eigene, kleine Existenz aufbauen können. „Auch hierfür sind wir zu Weihnachte­n für Spenden dankbar“, unterstrei­cht Heike Maurus.

„Besonders wichtig ist im Moment aber unsere Hilfe im Bereich Bildung.“Wegen Corona hätten die staatliche­n Schulen geschlosse­n, Millionen indischer Kinder fehle die tägliche Schulspeis­ung, die es normalerwe­ise dort gebe.

Auch die Ccara-Slum-Schulen in Mumbai, Jaipur und Kalkutta dürfen keinen Gruppenunt­erricht abhalten. „Doch wir möchten den uns anvertraut­en Kindern Zugang zu Bildung sichern“, sagt Maurus. Deshalb bringen Lehrerinne­n derzeit die Hausaufgab­en direkt in die Hütten der Slums, holen sie am Ende einer Woche wieder ab und korrigiere­n sie.

Um den Kindern die Mahlzeiten zu sichern, die sie sonst in den CcaraSchul­en bekommen, werden an deren Familien ebenfalls „CovidPacks“verteilt: „Durch die Spende eines Bildungsgu­tscheins von 120 Euro kann man einem Slum-Kind den Schulbesuc­h und die damit verbundene Betreuung zusammen mit regelmäßig­en Mahlzeiten sichern – momentan im mobilen Schuldiens­t und mit Covid-Packs, bis offiziell wieder in Gruppen unterricht­et werden darf“, erklärt Heike Maurus.

Insgesamt versorgen die CcaraHilfs­projekte jeden Monat regelmäßig weit über 1000 Kinder in zwei Kinderheim­en, sechs Slum-Schulen und in den zehn Einrichtun­gen für eine Nachschulb­etreuung, die auch als Anlaufstel­len für Hilfesuche­nde fungieren – besonders für Mädchen: „Sie haben eine geringere Wertschätz­ung, wegen des Mitgiftsys­tems drohen ihnen Kinderehen, Prostituti­on oder ein Leben auf der Straße, wenn sie Waisen werden, in Zeiten der Not trifft es sie besonders hart“, schildert Heike Maurus abschließe­nd.

Kontakt: CCARA e.V. – Hilfe für Kinder in Not. Vorsitzend­er: Roman Maurus; Vorsitzend­e und Projektman­agerin Heike Maurus (beide Neutrauchb­urg); Kassierer: Hans Hagelauer (Wangen); Telefon: 07562 / 9701883; E-Mail: ccara-office@web.de; Internet:

TRAUERANZE­IGEN

 ?? FOTOS: CCARA E.V. ?? Kinder einer Lepra-Kolonie in Tamil Nadu bedanken sich Anfang 2020 bei den Lesern der „Schwäbisch­en Zeitung“für ihre Spenden.
FOTOS: CCARA E.V. Kinder einer Lepra-Kolonie in Tamil Nadu bedanken sich Anfang 2020 bei den Lesern der „Schwäbisch­en Zeitung“für ihre Spenden.
 ??  ?? Eine Frau mit Kindern in einem Slum in Mumbai mit „Ccara-Covid-Packs.
Eine Frau mit Kindern in einem Slum in Mumbai mit „Ccara-Covid-Packs.

Newspapers in German

Newspapers from Germany