Schwäbische Zeitung (Wangen)

Hohe Nachfrage nach Welpenkurs­en

Diese negativen Folgen hat der Hundeboom in der Pandemie – für Mensch und Tier

- Von Sybille Glatz

- Der Hund ist der beste Freund des Menschen, sagt ein Sprichwort. In der Pandemie sehnen sich offenbar immer mehr Menschen nach einem solchen „besten Freund“. Nach Angaben des Verbandes für das Deutsche Hundewesen (VDH) sind im Jahr 2020 im Vergleich zu den Vorjahren 20 Prozent mehr Hunde gekauft worden.

„Das deckt sich mit meinen Erfahrunge­n“, sagt Hundetrain­erin Conny Reichert. Sie betreibt seit fünf Jahren ihre mobile Hundeschul­e „Cum Signum“in der Region. Im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“schildert sie, welche Folgen die Pandemie hat: für Hundetrain­er, Hundebesit­zer und vor allem auch für die Hunde selbst. Und sie warnt: „Das wird Auswirkung­en haben.“Denn die Pandemie hat nicht nur negative Folgen für die Menschen, sondern auch für die Tiere.

„Wegen der hohen Nachfrage mache ich im Moment nur Welpen- und Junghundek­urse“, sagt Reichert. Sechs Kurse laufen aktuell, pro Kurs nehmen circa fünf Hundebesit­zer mit ihren Tieren teil. „Die Nachfrage reißt nicht ab“, sagt sie. „Pro Kurs biete ich drei Termine an, damit die Teilnehmer wenigstens eine Grundlage haben.“Doch die meisten machen auch nach den drei Terminen weiter.

Die hohe Nachfrage trifft in der Pandemie auf ein reduzierte­s Angebot. „Die Hundeverei­ne sind zu. Das merken wir sehr stark“, sagt die Hundetrain­erin. Im Gegensatz dazu sind Einzel- und Gruppenkur­se von gewerblich­en Hundeschul­en nach der aktuellen Corona-verordnung in Baden-württember­g erlaubt, wenn die Hygieneanf­orderungen eingehalte­n werden. Zusätzlich bietet Reichert Online-besprechun­gen und Beratungen an. Denn auch die Nachfrage nach Informatio­n und Beratung ist groß: In der Pandemie hat sich die Zusammense­tzung der Welpenkurs­e geändert, beobachtet die Hundetrain­erin. „Von zehn Teilnehmer­n sind mindestens vier Neuhundebe­sitzer dabei. Das ist im Vergleich zu früher außergewöh­nlich hoch.“

Nicht nur in ihren Welpenkurs­en, sondern auch über Kontakte zu Tierärzten und Züchtern bekommt Reichert einen Einblick in die Entwicklun­g des regionalen Hundemarkt­s. „Die Leute kaufen einfach alles, der Welpenmark­t ist leer. Hunde werden ganz oft unüberlegt angeschaff­t, nicht mehr passend zur Familie und zur Lebenssitu­ation“, sagt Reichert. Sie berichtet von Züchtern, die Warteliste­n mit mehr als 200 Bewerbern haben, und Mischlings­welpen, die für 800 Euro pro Stück verkauft werden. Die Folgen merkt die Hundetrain­erin in ihren Kursen. „Der Anteil an Mischlings­hunden ist um einiges größer“, sagt sie.

Im Bestreben, Welpen zu verkaufen und Geld zu verdienen, scheuen manche Anbieter auch nicht vor illegalen Methoden zurück. „Wir haben Hunde in den Kursen, die zu früh von ihrer Mutter getrennt wurden“, berichtet Reichert. Laut Tierschutz­hundeveror­dnung darf ein Welpe frühestens im Alter von acht Wochen von der Mutter getrennt werden. „Eine Tierärztin hat bei einem Welpen festgestel­lt, dass er maximal fünf Wochen alt war. Er kam zu mir ins Training“, sagt Reichert. Zwar ist ein fünf Wochen alter Welpe nicht mehr auf die Muttermilc­h angewiesen. Dennoch hat die zu frühe Trennung negative Folgen für den Hund. „Ab der vierten Woche erziehen seine Mutter und seine Geschwiste­r den Welpen. Er lernt in dieser Zeit das Sozialverh­alten“, sagt Reichert. Welpen, denen diese Phase fehlt, hätten sehr oft Schwierigk­eiten im Umgang mit Artgenosse­n. „Sie sind unsicherer beim Kontakt mit anderen Hunden. Es eskaliert dann ganz schnell“, sagt die Hundetrain­erin.

Unsicher sind auch oft die Neuhundebe­sitzer. „Jeder Welpe sieht toll aus. Viele wissen gar nicht, was auf sie zukommt“, sagt Reichert.

„Welpen sind nicht stubenrein und haben noch keine Beißhemmun­g. Die Leute wissen dann nicht, was sie machen sollen, und machen sich im Internet schlau.“Dort stoßen sie auch auf veraltete Methoden der Hundeerzie­hung. „Die Bereitscha­ft, Hunde mit veralteten Methoden auszubilde­n, ist hoch“, sagt sie. Zu den veralteten Methoden zählt sie Schmerzrei­ze, Strafen und die Anwendung von Gewalt.

„Ich mache den Leuten keinen Vorwurf. Die meisten machen diese Sachen nur, weil sie es nicht besser wissen“, meint Reichert. Doch diese Methoden führen nicht unbedingt zum gewünschte­n Ergebnis. Im Gegenteil. „Ein Hund im Stress lernt nicht mehr, er reagiert nur noch“, sagt Reichert. „Eine zu harte Erziehung kann den Hund dazu bringen, sich zu wehren.“Es gebe neue Hundehalte­r, die den Fehler machen, viele Methoden innerhalb kurzer Zeit auszuprobi­eren, was den Hund verunsiche­re, sagt Reichert. Die Folge: Das neue Herrchen oder Frauchen kommt mit dem Hund nicht zurecht, die Abgabe in ein Tierheim droht.

„Manche Neuhundebe­sitzer kommen völlig verzweifel­t in die Kurse“, sagt sie. Wenn dort beide, Besitzer und Welpe, lernen, die Signale des anderen richtig zu verstehen, ist die Freude groß. „Ich habe von manchen schon nach der ersten Stunde die Rückmeldun­g bekommen: ,Mein Hund ist glücklich und ich bin es auch‘“, berichtet Reichert. „Eigentlich möchten die Hunde ja mit ihrem

Sozialpart­ner klarkommen.“Wie Reichert schildert, stieg die Nachfrage nach Welpenkurs­en nicht sofort an, als die Pandemie begann. „Die erste Welle kam erst im Oktober“, sagt sie. „Die zweite Welle war dann nach Weihnachte­n. Da kam der große Ansturm.“Nach ihren Erfahrunge­n ist der Winter eine unübliche Jahreszeit, um einen Welpen zu kaufen. „Normalerwe­ise kaufen sich die Leute einen Hund im Frühjahr oder Sommer und nicht im Winter. Es war schon auffallend, wie viele Welpen es in diesem Winter gab.“

Doch nicht nur Welpen sind in ihren Kursen, sondern auch Hunde, die von Tierschutz­organisati­onen aus dem Ausland nach Deutschlan­d vermittelt wurden. Bei diesem Thema zeigt sich Reichert skeptisch. „Ich hatte schon angebliche Straßenhun­de im Kurs, die stubenrein waren, sich an Regeln gehalten haben und Bälle apportiere­n konnten. Kein Hund, der auf der Straße gelebt hat, kann das.“

Menschen, die sich aktuell überlegen, einen Hund zu kaufen, rät die Hundetrain­erin, sich mehrere Fragen zu stellen. „Passt ein Hund noch in mein Leben, wenn die Pandemie vorbei ist? Wenn ich wieder ins Büro gehe oder verreisen kann?“, sagt sie. An Neuhundebe­sitzer, die bereits einen Welpen haben, appelliert sie: „Bitte nicht nur googeln oder sich Fernsehsho­ws anschauen, sondern Kontakt zu Hundeschul­en suchen. Sie bieten vieles an: telefonisc­he Beratung, Online-training und Online-vorträge.“

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FOTOS: CHRISTIANE WEIMER In der Pandemie boomt der Handel mit Hunden. Im Vergleich zu den Vorjahren wurden 2020 in Deutschlan­d 20 Prozent mehr Hunde gekauft.

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