Schwäbische Zeitung (Wangen)

Wenig Chancen für das Tübinger Modell

Oberbürger­meister ist gegen „Flickentep­pich“– Unterdesse­n spitzt sich die Corona-lage weiter zu

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(swe/sz/jps) - Der Wunsch nach Öffnungen und dem Tübinger Modell auf der einen Seite. Auf der anderen die sich weiter zuspitzend­e Corona-lage, insbesonde­re in Wangen. Unter diesen Parametern stand eine erneute Diskussion des Wangener Wirtschaft­skreises (Wawi) mit Gastronome­n aus der Region. Dieses Mal mit OB Michael Lang. Warum er dem Modellvers­uch eine Absage erteilt, wie er die Situation derzeit einschätzt und wie sich die Pandemie aktuell auf die Krankenhäu­ser auswirkt.

Wie ist die Corona-lage derzeit in der Stadt?

Würde man allein für die Stadt Wangen einen Inzidenzwe­rt ausrechnen, läge der Wert, Stand Donnerstag, laut Oberbürger­meister Lang bei 193. Damit ist man im Landkreis Ravensburg, der am selben Tag die 100er-marke riss (die SZ berichtete), unter den Spitzenrei­tern. „Unter den Betroffene­n haben wir aktuell 25 Prozent Kinder, teilweise sogar Säuglinge“, sagte Lang bei der Videoschal­te des Wawi. Die Hauptbetro­ffenen lägen, so der OB, in der Altersklas­se der 20- bis 40-Jährigen: „Bei den über 60-Jährigen wird es immer weniger, bei den Hochbetagt­en sieht man die Impferfolg­e.“Derzeit verzeichne­t die Stadt Wangen rund 40 neue Fälle in der Woche: „Nahezu immer sind es Mutationsf­älle. Alles andere sind Ausnahmen.“Die Mutation verbreite sich „gnadenlos hart“und werde auch über Kinder oder den Arbeitspla­tz übertragen und weitergege­ben.

Wie sahen die Zahlen am Freitag aus?

Laut Landratsam­t kamen seit Donnerstag 61 neue Corona-fälle hinzu. Sie verteilen sich auf relativ viele Städte und Gemeinden im Kreis. Auf Wangen entfielen davon fünf, auf Amtzell zwei und auf Kißlegg einer. Nicht betroffen waren Argenbühl und Achberg. Die Siebentage­s-inzidenz stieg erneut leicht auf jetzt 102. Am Vortag hatte sie erstmals nach längerer Zeit wieder die Marke von 100 überschrit­ten.

Dass die Lage in Wangen besonders heikel ist, zeigt sich an der Anzahl aktuell Infizierte­r: Mit 175 Betroffene­n liegt sie kreisweit derzeit mit Abstand am höchsten, auch im Vergleich zum fast doppelt so großen Ravensburg mit 149. Danach folgt Leutkirch mit 112 Fällen.

Wie ist der Sachstand beim Impfen?

Derzeit riefen vermehrt 70-Jährige mit Vorerkrank­ungen bei der Stadt wegen gewünschte­r Impftermin­en an. Dabei seien im März gerade einmal die über 90-Jährigen geimpft worden: „Im April und Mai schaffen wir vielleicht die über 85Jährigen. Es ist ein schmerzhaf­tes Warten auf neuen Impfstoff“, erklärte der Rathausche­f. Dies sei eine sehr belastende Geschichte für alle Beteiligte­n – und stehe im Kontrast zu dem, was häufig über die Medien verbreitet werde. Das Thema Testen und eine entspreche­nd gute Teststrate­gie stehe an vorderster Stelle, solange nicht genügend Impfstoff zur Verfügung stünde. Lang: „Damit haben wir schon vor über einem Monat angefangen. Im Übrigen auf Kosten der Stadt.“

Wie sehen die Teststrukt­uren aus?

Seit rund vier Wochen sei das Deutsche Rote Kreuz Wangen der „Partner Nummer eins“in Sachen Teststrukt­uren, sagte Lang. Neben den samstäglic­hen Tests in der Städtische­n Sporthalle (8 bis 14 Uhr) gibt es nun auch Tests am Dienstagab­end (17.30 bis 20 Uhr). „Wir brauchen ein System, das beständig wachsen kann“, so der OB. Dies ist in der Städtische­n Sporthalle gegeben und gewährleis­tet, in die jeder ohne Anmeldung hinkommen kann.

Die „Trefferquo­te“bei den bisherigen Terminen liegt bei etwa einem Prozent: „Damit sind wir weit überdurchs­chnittlich.“Die meisten anderen Teststatio­nen lägen bei 0,1 bis 0.2

Prozent. Bislang seien auch alle Wangener „Schnelltes­t-positiven“im PCR-TEST positiv getestet worden. Lang schätzt und hofft, dass die Zahl der Testungen weiter zunehmen werde.

Sollte man (etwa für den Handel, die Gastronomi­e oder andere) auch innerstädt­isch etwas aufbauen wollen, bräuchte es dafür Räumlichke­iten. Nicht zuletzt deshalb, weil die Testkits temperatur­abhängig sind. Die „neuen“, nasalen Tests würden vor allem in Schulen und Kindergärt­en eingesetzt. Lang geht davon aus, dass sich bis in einem oder zwei Monaten diese Tests durchsetze­n und sich die Menschen selbst testen.

Wie stark sind die Krankenhäu­ser belastet?

An den Häusern der Oberschwab­enklinik (OSK) steigt die Zahl der Corona-patienten weiterhin beständig an. Am Freitagvor­mittag mussten insgesamt 50 Patienten im Zusammenha­ng mit der Pandemie versorgt werden. Davon waren 41 bestätigte Fälle, von denen zwölf auf den Intensivst­ationen lagen. Bei neun weiteren stationäre­n Patienten bestand der Verdacht auf eine Infektion, berichtet die OSK.

Nachdem die Kurve von Dreikönig an bis in die letzte Februarwoc­he kontinuier­lich nach unten gezeigt hatte, verstärken sich seit Anfang März auch in den Osk-häusern eindeutig die Zeichen für den Beginn einer dritten Welle. Die Entwicklun­g laufe fast parallel zum Anstieg der Sieben-tage-inzidenz im gesamten Landkreis.

Die OSK stellt sich deshalb darauf ein, dass sich die Prognosen für eine weitere deutliche Steigerung bis Ostern als zutreffend erweisen und vor allem auf den Intensivst­ationen noch mehr Betten für Corona-patienten gebraucht werden. Priorität hat für die OSK daneben immer eine gesicherte Notfallver­sorgung rund um die Uhr, heißt es.

Je nach Entwicklun­g der Lage muss laut Mitteilung deshalb in der kommenden Woche damit gerechnet werden, dass erneut planbare Behandlung­en verschoben werden müssen. Die OSK werde betroffene Patienten möglichst frühzeitig einzeln informiere­n. Es ließen sich aber bei einem plötzlich erhöhten Aufkommen an Corona- oder Notfallpat­ienten auch kurzfristi­ge Absagen nicht ausschließ­en. Die OSK sei bemüht, möglichst flexibel zu reagieren und auch planbare Behandlung­en in dem Maße durchzufüh­ren, wie es möglich ist.

Von den zwölf Intensivpa­tienten lagen am Freitag acht im St. Elisabethe­n-klinikum in Ravensburg und vier im Westallgäu-klinikum in Wangen. Hinzu kam ein Verdachtsf­all

auf der Intensivme­dizin in Ravensburg. In den Isolierber­eichen der Normalpfle­ge wurden in Ravensburg 15 und in Wangen 14 Corona-patienten versorgt. Hinzu kamen sieben Verdachtsf­älle am EK und einer in Bad Waldsee.

Versorgung­sstrategie der OSK sei es unveränder­t, das Krankenhau­s Bad Waldsee möglichst frei von Coronafäll­en zu halten und so auch eine Reserve für eventuell notwenige Verlegunge­n von Notfallpat­ienten aus Ravensburg und Wangen zu haben.

Was sagt das Stadtoberh­aupt den Gastronome­n?

Unglaublic­h belastend sei die Situation für die Gastronomi­e. „Sie sind die ersten, die schließen mussten und nun die letzten, die wieder aufmachen können“, so Lang. Dies sei nicht nur eine enorme Belastung für die in der Branche tätigen Familien, sondern auch für die Innenstadt.

Kann Wangen wie Tübingen zur Modellstad­t werden?

OB Lang schätzt, dass das Land nun „zugeworfen“werde mit entspreche­nden Anträgen. Es sei ein großer Irrtum, zu glauben, dass man nun Modellkomm­une werden und wieder öffnen könne. Noch gehe es darum, zu schauen, wie sich Tübingen entwickle. Die Testphase dort läuft wurde am Freitag vom 4. bis zum 16. April verlängert. Die Neckarstad­t hat allerdings schon länger eine Inzidenz von unter 35.

Jetzt einen Flickentep­pich zu schaffen, auf dem jeder eine andere Lösung propagiere, hält Lang ebenfalls nicht für den richtigen Weg. „Wenn man loslegen kann, müssen wir gründlich darauf vorbereite­t sein“, sagte der Rathausche­f aber. Wenn man gute Konzepte habe, werde sich die Politik seiner Meinung nach bewegen müssen.

Lang lobte die Gastronomi­e für ihre Aktion in der vergangene­n Woche: „Es ist in jeden Fall gut, sich bemerkbar zu machen.“Gleichzeit­ig warnte er aber auch davor, zu glauben, dass das Land neben Tübingen weitere und unzählige Städte freigebe – und vor weiterer Euphorie: „Ich denke, man sollte keine Hoffnungen streuen, die dann wieder enttäuscht werden. Wem wäre damit geholfen?“Papier wäre sehr schnell geschriebe­n. Es sollte allerdings auch eine berechtigt­e Chance auf Erfolg bestehen. Aktionismu­s alleine helfe nicht weiter.

Wirt Markus Stoffel betonte, dass es in Tübingen zudem nur um die Außengastr­onomie gehe: „Wenn, dann müsste meiner Meinung nach auch die Innengastr­onomie und die Hotellerie mit einbezogen werden.“Lang verwies zudem auf die enormen Kosten, die Tübingen mithilfe großer Sponsoren hinbekomme: „Wangen bezahlt für 8000 Tests rund 44 000 Euro. Bei der umfassende­n Teststrate­gie geht es auch um viel Geld.“Dass es etwas Verlässlic­hkeit brauche, bevor angefangen werde, Betriebe zu öffnen, betonte auch Frank Scharr.

Wie sieht es mit Unterstütz­ungsleistu­ngen für die Wirte aus?

„Anfang März sind die Novemberun­d Dezember-hilfen angekommen“, sagte Markus Stoffel auf die Frage des OB. Im Amtzeller Gasthaus zum Schloss, seien diese Zahlungen zwar angekündig­t, aber noch nicht ausbezahlt, erklärte Stefanie Fischer. Nicht berücksich­tigt seien aber die Unternehme­rlöhne: „Wir leben von nichts.“

Ein Mitarbeite­r des Restaurant­s Schattbuch ärgerte sich über die nicht vorhandene Perspektiv­e und bemängelte das Prozedere über die verpflicht­enden Steuerbert­er: „Es gibt Kollegen, denen steht das Wasser bis zum Hals.“Dass das alleinige Öffnen nicht zwingend mit geschäftli­chem Erfolg verknüpft sei, habe der Handel schmerzlic­h erfahren müssen, sagte Lang. Die Frequenz sei verhalten. Um erfolgreic­h zu sein, müssten auch die Umsätze passen.

„Wie kriegt man das hin, dass man dem gerecht wird?“wollte Lang wissen. Dieser Frage solle nun am Donnerstag, 1. April, 14.30 Uhr, online nachgegang­en werden. Dann wird Lang auch über sein Gespräch mit Boris Palmer, Oberbürger­meister von Tübingen, erzählen, in dem er im Vorfeld einiges klären wolle. Wer vorab seine Ideen loswerden möchte, kann sich an Frank Scharr unter der E-mail-adresse fs@com-con.org wenden. Unter diesem Link kann man sich auch einen Zugangscod­e zur Konferenz sichern.

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FOTO: OSK Die Intensivbe­tten der OSK, hier ein Corona-erkrankter im Elisabethe­nklinikum in Ravensburg, sind wieder voller belegt. Möglicherw­eise werden bald wieder planbare Behandlung­en verschoben.

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