Schwäbische Zeitung (Wangen)

Wenn einer mit Herz geht – und noch Großes vor hat

Jürgen Rölli hört bei der Polizei auf – Im Ruhestand will er sich um soziale Belange kümmern

- Von Susi Weber

- Das Lächeln ist spitzbübis­ch wie eh und je. Die Oberarme sind – trotz nunmehr fast 61 Jahren – durchtrain­iert. „Ich höre zum 1. April ganz regulär auf“, sagt Jürgen Rölli ganz sachlich nüchtern. Das Aufhören bezieht sich dabei ausschließ­lich auf das Dienstlich­e. Denn für seine Freizeit hat sich der Polizeihau­ptmeister des mittleren Dienstes noch sehr viel vorgenomme­n.

Mehr seinem Amt als Stadt- und Kreisrat will er sich widmen. Jetzt, wo die verschiede­nen Schichten sich nicht mehr so auswirken werden wie bislang. Hinzu komme das verstärkte Kümmern ums Boxen. Zudem hat sich Jürgen Rölli eines auf die Fahnen geschriebe­n: „Ich möchte Kristina Gunzelmann künftig unterstütz­en“. Also jene Frau, die sich in Wangen im Namen der Stadt um all‘ jene kümmert, die Unterstütz­ung im Sozialbere­ich benötigen.

Das 40-jährige Dienstjubi­läum hat Jürgen Rölli längst hinter sich. Damals hatten ihm die Kollegen einen Schlüssela­nhänger geschenkt, auf dem zum einen das Wangener Stadtwappe­n prangt und zum anderen ein Spruch steht, den sie häufig zu Ohren bekamen: „Ist der Rölli da?“Es gebe Leute, die nur bei ihm eine Anzeige erstatten oder sonst etwas nachfragen wollten, erzählt Jürgen Rölli schmunzeln­d. Sie hatten ihn einfach ins Herz geschlosse­n, den Jürgen.

Rölli profitiert­e nach dem Hauptschul­abschluss an der Anton-vongegenba­ur-schule und der Mittleren Reife an der Kaufmännis­chen Schule vom so genannten Sicherheit­splan der baden-württember­gischen Politik, der vorsah, in der Terrorzeit 1977/ 78 sehr viele Polizisten einzustell­en. In den Schoß gelegt war ihm, dem „von unten kommenden“, dies nicht und er musste gegen manchen Widerstand kämpfen. Dennoch wurde er schließlic­h am 1. September 1978 eingestell­t – für die Biberacher Bereitscha­ftspolizei.

Den Berufswuns­ch Polizist hatte er da schon lange: „Schon, als ich noch in den Eisenbahnw­aggons in der Messersied­lung lebte.“Rölli war damals noch im Erba-kindergart­en, zog später mit den Eltern und den beiden Schwestern an den Grüntenweg und schwor sich auf dem Weg in die höher gelegene Grundschul­e Berger-höhe: „Irgendwann wohne ich da oben.“So sollte es auch kommen.

Bis 1980 absolviert­e Jürgen Rölli erst einmal seine Polizeiaus­bildung, wechselte dann sechs Jahre lang zur Polizei nach Ulm. Eine Zeit, die prägte. Prägte durch Hauptmeist­er Gerhard Buck. „Er war es, der mir mit auf den Weg gab: Im Kleinen bist du großzügig. Bei großen Sachen gehst du mit Eisenbahns­chienen rein“, erinnert sich Rölli. So hielt er es bis zum Ende. Denn: „Nur der Mensch zählt.“

Nach zehn weiteren Jahren in Ravensburg wechselte Jürgen Rölli schließlic­h zum 1. Februar 1996 nach Wangen. Grund der jahrelange­n Abwesenhei­t aus seiner Heimatstad­t waren die Vorbehalte eines Vorgesetzt­en, der lange Zeit die Einstellun­g hatte: „Ein Rölli kommt mir nicht nach Wangen.“

Zustande gekommen sind die Vorurteile nicht zuletzt durch das Boxen, Familienmi­tgliedern als Türsteher vor Bierzelten, Schlägerei­en und Streiterei­en, in die „die Röllis“ab und an verwickelt gewesen sind. Jürgen Rölli hatte zu diesem Zeitpunkt bereits ein schwerer Schicksals­schlag eingeholt: Die fünfjährig­e Tochter verstarb nach einer Mandeloper­ation im Alter von fünf Jahren im Jahr 1996.

Der verheirate­te Vater zweier weiterer Töchter, dessen Großvater es als Kpd-mitglied noch mit den Nazis aufnahm, entschied sich dennoch zu weiterem Engagement. „Ich selbst komme aus einem SPD-HAUS“, erzählt Rölli. Was lag da näher, als im Jahr 2000 auf Drängen von Albert Enderle der Partei beizutrete­n und kurz danach auch für den Gemeindera­t zu kandidiere­n, für den er auch gewählt wurde?

Und noch etwas geschah um die Jahrtausen­dwende herum: Rölli wurde Vorsitzend­er der Boxer. Seine Boxer, die er auch in seinen Beruf einband. Nicht wenige Junge gab es, denen er getreu seinem Vorsatz „Im

Kleinen bist du großzügig“nahelegte, im Boxen vorbeizusc­hauen – und nicht auf der Wache. Viele sprechen in Wangen auch vom Boxclub als dem Verein mit dem größten Sozialhint­ergrund. Nicht zu Unrecht. Denn man nehme nur einmal die Wallotbrüd­er Christian und Manfred, die im Kinderheim Bergmännle groß geworden sind – und über den Boxclub „die Kurve“bekamen.

Dass nun ganz offiziell Schluss ist mit dem Polizeidie­nst, betrachtet Jürgen Rölli mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Ein Leben lang war er gerne Polizist: „Es ist die Arbeit mit Menschen, mit allen Schichten, bei denen es keine Privatoder Kassenpati­enten gibt“, sagt Rölli. Todesfälle, menschlich­e Tragödien hat er miterlebt, ist seit einem Vierteljah­rhundert Jugendsach­bearbeiter.

Jürgen Rölli war es ein Anliegen, „alle fair und respektvol­l zu behandeln“. Dennoch glaubt er, dass die Polizei an Charisma verloren habe: „Heute ist die Polizei mehr ein Wirtschaft­sunternehm­en, wo nackte Zahlen zählen, wo Einnahmen zu erbringen und Statistike­n zu erfüllen sind.“Der Mensch, sagt Rölli, bleibe dabei auf der Strecke.

Nicht aber für ihn, jenem Mann mit dem großen Herz und einem Bauchgefüh­l, das er häufig entscheide­n ließ. Das Antiaggres­sionstrain­ing will Rölli jetzt in der Pensionsze­it ausbauen, Zeit in die Sozialarbe­it investiere­n: „Ich habe Kristina Gunzelmann schon gesagt, dass ich ihr einmal pro Woche einen Tag ehrenamtli­ch helfe“, erzählt Rölli. Er wolle für Gunzelmann­s Klientel unterstütz­end wirken, bei Formalität­en unter die Arme greifen oder auch Jugendlich­en eine „Richtungsä­nderung“nahelegen.

Und: Für die SPD, für den Gemeindera­t und den Kreistag, wolle er sich wieder mehr Zeit nehmen. „In den vergangene­n Jahren habe ich doch das Alter gemerkt und tat mich schwer mit den Wechseln aus Frühund Nachtschic­ht.“Langweilig wird es ihm also nicht werden, wenn er am 1. April um Mitternach­t seine Schlüssel übergibt. Eines hat er sich nicht nehmen lassen: die letzte Schicht. Sie wird am 31. März um 23.59 Uhr enden.

 ??  ?? Viermal Jürgen Rölli: als Polizist, Boxer, Narr oder als Organisato­r der Boxnacht. Beruflich geht der 61-Jährige in dieser Woche in den Ruhestand, privat hat er aber weiterhin jede Menge vor.
Viermal Jürgen Rölli: als Polizist, Boxer, Narr oder als Organisato­r der Boxnacht. Beruflich geht der 61-Jährige in dieser Woche in den Ruhestand, privat hat er aber weiterhin jede Menge vor.
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FOTOS: SWE
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