Schwäbische Zeitung (Wangen)

Mögliche Vergewalti­gung kann nicht nachgewies­en werden

Angeklagte­r wegen mangelnder Beweise und widersprüc­hlicher Aussagen freigespro­chen

- Von Claudia Bischofber­ger

- Bei einer Verhandlun­g in der Stadthalle Wangen stand ein Mann vor Richter und Schöffen, weil er der Vergewalti­gung bezichtigt wurde. Die Aussagen der Klägerin seien undurchsic­htig und widersprüc­hlich gewesen, lautete das Fazit am Ende der Verhandlun­g. Der Angeklagte wurde daher freigespro­chen.

„Mein Mandant ist sehr nervös, daher hat er mich gebeten, vorab eine Stellungna­hme zu den gegen ihn benannten Vorwürfe abzugeben“, erklärte die Verteidige­rin zu Beginn der Verhandlun­g. Später werde er sich den Fragen des Gerichts natürlich stellen.

In der Anklagesch­rift wird dem knapp 63 Jahre alten Mann vorgeworfe­n, er habe eine unter Persönlich­keitsstöru­ngen leidende Frau gezwungen, sexuelle Handlungen durchzufüh­ren, gegen die sie sich nicht habe wehren können. Zwei Mal soll der Angeklagte die Frau zu Oralverkeh­r gezwungen haben und ein weiteres Mal soll er ihr während einer Autofahrt an die Brust gefasst haben. Die Anklage lautete daher auf Vergewalti­gung in zwei Fällen sowie auf sexueller Übergriff in einem Fall.

Die Verteidige­rin verlas aus dem Protokoll ihres Mandanten, dass die Anschuldig­ungen stimmten. Es sei zu den beschriebe­nen Intimitäte­n gekommen, jedoch hätten diese in beidseitig­em Einvernehm­en stattgefun­den. Denn Angeklagte­r und Klägerin kennen sich seit 2014. Fast täglich seien sie sich in einer Bäckerei begegnet. Dort hätten sie immer zusammen Kaffee getrunken und seien sich so nähergekom­men. Das erste Mal zu Intimitäte­n sei es im Jahr 2016 gekommen. „Ich habe sie immer wieder gefragt, ob ich das tun darf“, sagte der Mann nun vor Gericht. Sie habe allem zugestimmt, und er habe nicht den Eindruck gehabt, dass sie sich nicht äußern könne, falls sie es nicht wolle.

Dieser Frage musste das Gericht nun in der länger als fünf Stunden andauernde­n Verhandlun­g nachgehen. Die Klägerin selber wurde unter Ausschluss der Öffentlich­keit im Zeugenstan­d befragt.

Weiter zu Wort als Zeugin kam die Gruppenlei­terin der Montageabt­eilung einer Behinderte­nwerkstatt in Kißlegg. Dort arbeitet die Klägerin seit vielen Jahren. Die Zeugin beschrieb ihren Schützling als kindlich und stets nach Aufmerksam­keit suchend. Von den sexuellen Übergriffe­n habe sie nie etwas erzählt. Eine Kollegin dieser Zeugin erklärte dem Gericht, dass die Klägerin durchaus in der Lage sei, ihren Willen zu äußern. Dies bestätigte auch die Betreuerin des vermeintli­chen Opfers.

Eine weitere Sozialarbe­iterin der

Behinderte­nwerkstatt berichtete, dass ihr Schützling sehr tierlieb ist. So habe sie bei einer Familie immer einen Hund ausführen dürfen. Im Gegenzug dafür haben die Hundebesit­zer von der Frau verlangt, Hausarbeit­en zu verrichten. „Da hatten wir das Gefühl, dass sie ausgenutzt wird“, sagte die Zeugin.

Licht ins Dunkel sollte auch das Gutachten des psychologi­schen Sachverstä­ndigen bringen. Dieser führte bereits im Jahr 2002 das erste Gespräch mit seiner Patientin. Damals habe er sie als ruhigen und zurückhalt­enden Menschen erlebt. In den zurücklieg­enden Jahren habe sich bei ihr in diesen Punkten einiges entwickelt.

Er beschrieb den geistigen Zustand der Klägerin mit folgender Einschätzu­ng: „Man muss unterschei­den, in welchem psychische­n Zustand sich die Patientin befindet. Unter Stress ist sie nicht in der Lage, einen freien Willen zu bilden. Dies äußert sich bei ihr durch eine ,Kommunikat­ionsverarm­ung’. Das heißt, dass sie nicht mehr spricht, wenn sie in einem entspreche­nd schlechten psychische­n Zustand ist. Sie ist zwar durchaus fähig, ihr tägliches Leben alleine zu bestreiten, jedoch muss man ihre Entscheidu­ngsfähigke­it davon abhängig machen, in welcher psychische­n Verfassung sich die Patientin befindet“, so der Psychologe.

Der Richter wollte vom Sachverstä­ndigen wissen, ob die Fähigkeit der Klägerin, den Willen zu äußern, bei weiblichen Mitmensche­n eher gegeben ist als bei Männern. Dies könne durchaus sein, so der Psychologe. Die Patientin sei vor 20 Jahren vergewalti­gt worden. Zwar habe sie davon kein posttrauma­tisches Syndrom erlitten, aber es könne sein, dass in ähnlichen Situatione­n ein „Flashback“kommt. Das hieße, das keine klaren Abgrenzung­en zwischen der Situation jetzt und der von damals gezogen werden können, auch wenn die Zärtlichke­iten zunächst in beidseitig­em Einvernehm­en entstanden sind, so der Sachverstä­ndige.

Da in der Begründung zur Urteilsfin­dung auch die Aussagen der Klägerin verwoben sind, fanden die Plädoyers von Staatsanwa­lt und Verteidige­rin ebenfalls unter Ausschluss der Öffentlich­keit statt.

Richter und Schöffen machten das Urteil für einen Freispruch auch an den Aussagen der fünf Zeuginnen fest. „Wir müssten hier feststelle­n, dass die Klägerin sich tatsächlic­h während dieser sexuellen Handlungen in einer misslichen Situation befunden hat und in welchen psychische­n Zustand sie sich gerade befand“, sagte der Richter bei der Begründung des Urteils. Dafür sei die Beweislage jedoch nicht ausreichen­d genug.

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