Mögliche Vergewaltigung kann nicht nachgewiesen werden
Angeklagter wegen mangelnder Beweise und widersprüchlicher Aussagen freigesprochen
- Bei einer Verhandlung in der Stadthalle Wangen stand ein Mann vor Richter und Schöffen, weil er der Vergewaltigung bezichtigt wurde. Die Aussagen der Klägerin seien undurchsichtig und widersprüchlich gewesen, lautete das Fazit am Ende der Verhandlung. Der Angeklagte wurde daher freigesprochen.
„Mein Mandant ist sehr nervös, daher hat er mich gebeten, vorab eine Stellungnahme zu den gegen ihn benannten Vorwürfe abzugeben“, erklärte die Verteidigerin zu Beginn der Verhandlung. Später werde er sich den Fragen des Gerichts natürlich stellen.
In der Anklageschrift wird dem knapp 63 Jahre alten Mann vorgeworfen, er habe eine unter Persönlichkeitsstörungen leidende Frau gezwungen, sexuelle Handlungen durchzuführen, gegen die sie sich nicht habe wehren können. Zwei Mal soll der Angeklagte die Frau zu Oralverkehr gezwungen haben und ein weiteres Mal soll er ihr während einer Autofahrt an die Brust gefasst haben. Die Anklage lautete daher auf Vergewaltigung in zwei Fällen sowie auf sexueller Übergriff in einem Fall.
Die Verteidigerin verlas aus dem Protokoll ihres Mandanten, dass die Anschuldigungen stimmten. Es sei zu den beschriebenen Intimitäten gekommen, jedoch hätten diese in beidseitigem Einvernehmen stattgefunden. Denn Angeklagter und Klägerin kennen sich seit 2014. Fast täglich seien sie sich in einer Bäckerei begegnet. Dort hätten sie immer zusammen Kaffee getrunken und seien sich so nähergekommen. Das erste Mal zu Intimitäten sei es im Jahr 2016 gekommen. „Ich habe sie immer wieder gefragt, ob ich das tun darf“, sagte der Mann nun vor Gericht. Sie habe allem zugestimmt, und er habe nicht den Eindruck gehabt, dass sie sich nicht äußern könne, falls sie es nicht wolle.
Dieser Frage musste das Gericht nun in der länger als fünf Stunden andauernden Verhandlung nachgehen. Die Klägerin selber wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Zeugenstand befragt.
Weiter zu Wort als Zeugin kam die Gruppenleiterin der Montageabteilung einer Behindertenwerkstatt in Kißlegg. Dort arbeitet die Klägerin seit vielen Jahren. Die Zeugin beschrieb ihren Schützling als kindlich und stets nach Aufmerksamkeit suchend. Von den sexuellen Übergriffen habe sie nie etwas erzählt. Eine Kollegin dieser Zeugin erklärte dem Gericht, dass die Klägerin durchaus in der Lage sei, ihren Willen zu äußern. Dies bestätigte auch die Betreuerin des vermeintlichen Opfers.
Eine weitere Sozialarbeiterin der
Behindertenwerkstatt berichtete, dass ihr Schützling sehr tierlieb ist. So habe sie bei einer Familie immer einen Hund ausführen dürfen. Im Gegenzug dafür haben die Hundebesitzer von der Frau verlangt, Hausarbeiten zu verrichten. „Da hatten wir das Gefühl, dass sie ausgenutzt wird“, sagte die Zeugin.
Licht ins Dunkel sollte auch das Gutachten des psychologischen Sachverständigen bringen. Dieser führte bereits im Jahr 2002 das erste Gespräch mit seiner Patientin. Damals habe er sie als ruhigen und zurückhaltenden Menschen erlebt. In den zurückliegenden Jahren habe sich bei ihr in diesen Punkten einiges entwickelt.
Er beschrieb den geistigen Zustand der Klägerin mit folgender Einschätzung: „Man muss unterscheiden, in welchem psychischen Zustand sich die Patientin befindet. Unter Stress ist sie nicht in der Lage, einen freien Willen zu bilden. Dies äußert sich bei ihr durch eine ,Kommunikationsverarmung’. Das heißt, dass sie nicht mehr spricht, wenn sie in einem entsprechend schlechten psychischen Zustand ist. Sie ist zwar durchaus fähig, ihr tägliches Leben alleine zu bestreiten, jedoch muss man ihre Entscheidungsfähigkeit davon abhängig machen, in welcher psychischen Verfassung sich die Patientin befindet“, so der Psychologe.
Der Richter wollte vom Sachverständigen wissen, ob die Fähigkeit der Klägerin, den Willen zu äußern, bei weiblichen Mitmenschen eher gegeben ist als bei Männern. Dies könne durchaus sein, so der Psychologe. Die Patientin sei vor 20 Jahren vergewaltigt worden. Zwar habe sie davon kein posttraumatisches Syndrom erlitten, aber es könne sein, dass in ähnlichen Situationen ein „Flashback“kommt. Das hieße, das keine klaren Abgrenzungen zwischen der Situation jetzt und der von damals gezogen werden können, auch wenn die Zärtlichkeiten zunächst in beidseitigem Einvernehmen entstanden sind, so der Sachverständige.
Da in der Begründung zur Urteilsfindung auch die Aussagen der Klägerin verwoben sind, fanden die Plädoyers von Staatsanwalt und Verteidigerin ebenfalls unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Richter und Schöffen machten das Urteil für einen Freispruch auch an den Aussagen der fünf Zeuginnen fest. „Wir müssten hier feststellen, dass die Klägerin sich tatsächlich während dieser sexuellen Handlungen in einer misslichen Situation befunden hat und in welchen psychischen Zustand sie sich gerade befand“, sagte der Richter bei der Begründung des Urteils. Dafür sei die Beweislage jedoch nicht ausreichend genug.