Schwäbische Zeitung (Wangen)

Erlebnis am Strand führt zurück zu den Wurzeln

Ein junger Fronreuter pendelt zwischen türkischer Tradition und oberschwäb­ischer Moderne

- Von Stefanie Keppeler

- Ein Erlebnis am Strand in der Türkei war für einen jungen Fronreuter schicksals­trächtig. Denn an diesem Sommertag vor gut sieben Jahren wusste Atakan Celik plötzlich, welche Leidenscha­ft seine berufliche Zukunft prägen wird. Heute beschäftig­t er im Heimatland seiner Großeltern Weber, die auf traditione­lle Weise Tücher herstellen. Atakan Celik ist inzwischen selbststän­diger Unternehme­r und Bindeglied zwischen zwei Welten.

Atakan Celik, geboren in Weingarten, liebe seine Heimat, insbesonde­re Ravensburg, mit allem, was dazu gehört. „Das Rutenfest, die Altstadt, ich fühle mich dieser Stadt einfach tief verbunden“, erzählt der 30-Jährige. So zog es ihn nach seinem Vwl-studium in Freiburg wieder zurück nach Oberschwab­en.

Celik bezeichnet sich selbst als einen absoluten Familienme­nschen. Seine Großeltern kamen in den späten 60er-jahren als Gastarbeit­er aus der Türkei nach Ravensburg. „Wir hatten das Glück in einem Mehrgenera­tionen-haushalt zu leben, mit Geschwiste­rn, Eltern und Großeltern. Oma hat immer frisch und traditione­ll gekocht. Am Esstisch wurden Geschichte­n ausgetausc­ht, es wurden ständig Freunde und Gäste eingeladen.“

Atakan Celik empfinde Dankbarkei­t für diese familiäre Geborgenhe­it. Seine Affinität zu Oldtimern, wie beispielsw­eise dem Vw-käfer von 1974 als Werbemobil, verdanke er seinem Schwiegerv­ater, Ahmet Yardimci, der sich in Weingarten und Umgebung unter anderem durch das Umgestalte­n alter VW Käfer einen Namen machte.

„Durch meine türkischen Wurzeln habe ich seit jeher eine enge Verbindung in die Türkei und habe dort schon immer viele Urlaube verbracht“, berichtet Atakan Celik. So auch im Jahr 2013. Celik ist mit Freuden im Urlaub an der Riviera. Am Strand erlebt er einen Moment, der seine berufliche Zukunft fortan bestimmen soll. Ein junger Mann, braun gebrannt, rast mit einem weißen Fahrrad die Dünen herab zum Strand und bremst abrupt ab. Sand wirbelt hoch. Der junge Mann wickelt sich seinen Turban vom Kopf, das Tuch weht im Wind, er legt es sich als Badetuch in den heißen Sand.

„Ich war von dem Bild total gefesselt. Diese Geschwindi­gkeit, der Sand, das wunderschö­ne Tuch. Ein Pestemal, so heißen die Tücher auf Türkisch, ist für uns in der Türkei ein Alltagsgeg­enstand. Wir verwenden es als Schal, Badetuch oder Poncho. Dieser Moment war für mich aber ein Schlüssele­rlebnis“, berichtet er, immer noch fasziniert.

Die Idee, Hamamtüche­r auf traditione­lle Weise herstellen zu lassen und zu vertreiben, reift. Im November 2016 gründet der damals erst 26-Jährige ein eigenes Unternehme­n, drei Jahre später wagt er den Schritt in die volle Selbständi­gkeit. Hamamaniac heißt es und hat seinen Sitz in Blitzenreu­te

in der Gemeinde Fronreute. Atakan Celik ist zielstrebi­g, will traditione­lles Handwerk mit modernem Design vereinen. In der Ägäis-region der Türkei, in Denizli, wo seine Familie herkommt, beschäftig­t er Weber, die an mehr als 80 Jahre alten Jaquardweb­stühlen Tücher auf traditione­lle Weise weben. Mittlerwei­le hat Celik sein Sortiment um Interieur- und Leinenware vergrößert.

Atakan Celik erklärt, ihm sei wichtig, dass alles an einem Ort stattfinde­t. Deshalb werde auch anatolisch­e Baumwolle vom Ort Denizli verwendet. „Vom Feld in die Spinnerei und von dort auf die Webstühle. Er bemühe sich um einen nachhaltig­en Anbau, kurze Transportw­ege und eine faire Verarbeitu­ng, so Celik. „Ich lege sehr viel Wert auf Nachhaltig­keit. Wir in unserer Generation müssen mehr darauf achten und das Thema ernst nehmen.“

Celik vertreibt seine Textilware­n über einen Onlineshop und auf Messen, aber auch Händler können die Waren beziehen. „Man muss sich stets der Zeit anpassen. Ohne einen Online-vertrieb geht es heutzutage kaum noch. Ich denke, die Zukunft besteht aus einem Mix aus On- und Offline-vertrieb. Die Digitalisi­erung ist auch ein wichtiger Punkt, den ich versuche, voranzutre­iben.“Celik ist stolz, dass seine Textilware­n bei mittlerwei­le 120 Händlern in Deutschlan­d, im europäisch­en Ausland

und sogar in Japan erhältlich sind.

„Ich kümmere mich gerne persönlich um Angelegenh­eiten“, sagt er. So reise er mehrmals im Jahr nach Denizli. Ein direkter, privater Austausch mit seinen Mitarbeite­rn liege ihm sehr am Herzen. Da er fließend türkisch spreche, könne er sich der Sorgen und Problemen der Weber besser annehmen, aber auch schöne Momente wie beispielsw­eise Hochzeiten intensiver teilen.

Neben seiner berufliche­n Leidenscha­ft engagiere sich Celik auf vielen Ebenen. „Ich setze mich für einen interrelig­iösen Dialog, für Integratio­n und gegen Rassismus ein. Diversität tut gut“, sagt Celik überzeugt. Er beschreibt sich selbst als offen und freundlich mit seiner Umwelt. „Ich bin absolut kein Konkurrenz­typ, lieber miteinande­r, statt gegeneinan­der.“

In seiner Freizeit fährt Celik seit zwei Jahren begeistert Rennrad, ins Allgäu oder in die Bodenseere­gion. Jede Tour führe ihn und seine Ehefrau anschließe­nd zu einem kulinarisc­hen Ziel, ein gutes und ausgewählt­es Restaurant oder Gasthaus. Er genieße das Leben bewusst. Um mehr Bewussthei­t und Wertschätz­ung gehe es ihm auch gerade in dieser herausford­ernden Zeit der Coronapand­emie. „Die Geborgenhe­it der eigenen vier Wände gewinnt gerade so viel an Bedeutung“, sagt Atkan Celik.

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FOTO: CELIK Atakan Celik an einem Jaquard-webstuhl.
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FOTO: CELIK Atakan Celik vor einem alten Haus in Denizli, dem Ort, aus dem seine Familie stammt.
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FOTO: CELIK Auf traditione­llen Jaquard-webstühlen werden in der Türkei Textilware­n hergestell­t. Das Bild zeigt die Weber Salih und Metin mit dem Fronreuter Atakan Celik (Mitte).
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FOTO: KEPPELER Atakan Celik vertreibt traditione­ll orientalis­che Textilien.

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