Pepper der Pfleger
Die Stiftung Liebenau testet einen Roboter in der Pflege und hofft dadurch auf bessere Arbeitsbedingungen – Für die Zukunft der Pflege sind jedoch ganz andere Lösungen gefragt
- Etwas ungläubig blicken die Teilnehmerinnen der Gymnastikrunde auf den kleinen Pepper. „Guten Morgen, haben Sie alle gut geschlafen“, fragt der Roboter – Pepper spricht einwandfreie Sätze, nur die Betonung entlarvt ihn als nicht menschlich. Die fünf pflegebedürftigen Frauen des Hauses Magdalena in Ehningen im Landkreis Böblingen reagieren zurückhaltend. „Das müssen wir noch lauter machen“, sagt Pflegefachkraft Ruth Track und tippt zweimal auf das Tablet an Peppers Vorderseite. Seine Stimme ertönt plötzlich doppelt so laut. „Jetzet schrei mi halt ed so a“, schimpft Bewohnerin Elfriede Hartmann in Richtung Pepper – die Gruppe lacht.
Rund 20 Minuten begleitet der Roboter die fünf Frauen bei ihren Übungen. Er macht Bewegungen vor und muntert auf – die eigentliche Arbeit erledigt jedoch Ruth Track, die Peppers Tempo immer wieder auf die fünf Frauen anpasst. Eine von ihnen ist Maria Zeisel, sie ist erst vor Kurzem in die Einrichtung der Stiftung Liebenau gezogen. „Das Ding ist tot und doch irgendwie lebendig“, urteilt sie. Einen Nutzen sieht sie in dem Roboter nicht: „Naja, zum Putzen wäre er doch gut.“Und auch Pflegerin Ruth Track verrät, dass sie sich ein bisschen schwer tut mit Pepper. Selbst wenn man dem Roboter deutlich mehr Übungen einprogrammieren würde, könnte er nicht auf die Bedürfnisse der Einzelnen während so einer Gymnastikstunde eingehen.
Pepper könnte dennoch die Vorhut von etlichen Technologien sein, die eines der größten gesellschaftlichen Probleme lösen sollen: Mehr als vier Millionen Menschen sind in Deutschland aktuell auf Pflege angewiesen. Durch die Überalterung der Bevölkerung steigt die Zahl weiter an. Die Wissenschaft sagt voraus, dass bis zum Jahr 2035 rund 500 000 Fachkräfte in der Pflege fehlen werden. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung steckt daher allein in Forschungsprojekte der Robotik rund zehn Millionen Euro. Doch es gibt noch mehr Technologiefelder, die helfen sollen, eine immer älter werdende Gesellschaft zu versorgen.
Pflegefachkräfte in stationären Einrichtungen müssen immer mehr Aufgaben bewältigen, die Verantwortung im Beruf steigt – gleichzeitig plagt die Branche die Personalnot. „Für mich geht es daher nicht darum, durch Technologie Personal einzusparen, sondern denen, die da sind zu helfen“, sagt Julian Krüger. Er leitet das Haus Magdalena in Ehningen. Krüger könnte sich vorstellen, dass Roboter wie Pepper den Pflegenden einfache Aufgaben abnehmen. Beispielsweise die Pflegebedürftigen an das Trinken und ihre Medikamente erinnern – oder Menschen zwischenzeitlich zu unterhalten.
„Die größten Probleme unseres Berufes sind die körperlich schwere Arbeit und die psychische Belastung“, erklärt Krüger. Wenn Technologie diese zwei Strapazen verringere, werde der Beruf attraktiver. Die Digitalisierung würde in diesem Fall keine Fachkräfte ersetzen, ganz im Gegenteil: Laut Krüger wird sie zur Voraussetzung, junge Menschen in den Beruf zu locken – „die Branche könnte so der negativen Spirale entkommen“.
Doch wie weit ist überhaupt der technologische Fortschritt in der Pflege? Die Stiftung Liebenau probiert sich nicht nur an Pepper. In ihrem Haus der Pflege in Kressbronn versucht sie verschiedene Assistenzsysteme
zu verbinden. Beispielsweise smarte Betten, Bewegungsmelder und Telemedizin. Finanziert wird das von der Stiftung selbst, aber auch durch Zuschüsse der Berufsgenossenschaft oder im Fall Pepper von der Stiftung der Württembergischen Gemeinde-versicherung.
Es gebe zwar diese Unterstützung und Investitionen vom Bund, sagt Geschäftsführer Alexander Lahl. Die Stiftung Liebenau sei aber frühestens in fünf Jahren in der Lage, digitale Systeme in mehreren Einrichtungen anzubieten. Während für Unterkunft, Personal und Pflegeleistungen Fixbeträge gelten, die von Pflegekassen und Kommunen übernommen werden, gibt es bisher keine festgelegte Refinanzierung der digitalen Ausstattung.
In Deutschland fehle es an einer verlässlichen, langfristigen Finanzierung erfolgreicher Projekte, sagt Martina Lizarazo López. Sie leitet bei der Bertelsmann Stiftung das Projekt Demografieresilienz und Teilhabe. Zusammen mit dem Institut für Innovation und Technik hat sie die Studie „Potenziale einer Pflege 4.0“erarbeitet. Neuerungen würden fast nur da eingeführt, wo einzelne Personen oder Einrichtungen zu großer Eigenleistung fähig sind. Trotz dieser Schwierigkeiten herrscht laut López eine Aufbruchstimmung in der Branche. Viele Träger packen die Digitalisierung an, außerdem seien die Fachkräfte, mit denen die Wissenschaftler gesprochen haben, offen für Neuerungen.
Laut der Bertelsmann-studie bringt die Technik dem Pflegepersonal vor allem Entlastung bei Verwaltungsarbeiten, aber auch körperliche und psychische Erleichterungen. „Wichtig dafür ist, dass das Personal in die Auswahl der technischen Lösungen einbezogen wird und die Einführung aktiv mitgestalten kann“, sagt López.
Die Robotik könne in Einzelfällen hilfreich sein, wichtiger erscheint López jedoch die Sensorik. Also zum Beispiel ein automatischer Alarm, bevor jemand stürzt, automatische Analysen von auffälligen Bewegungsmustern oder smarte Systeme, die Inkontinenz melden sowie Transponder, die warnen, wenn eine demenzkranke Person das Gelände verlässt. Das spare den Angestellten einerseits körperliche Anstrengung, aber, so López,„wir haben gesehen, dass diese Technologien den Pflegenden vor allem eine psychische Entlastung bieten.“
Als Kern der Erneuerungen biete sich ein digitalisiertes Dokumentationssystem an. „Es wird noch häufig mit Bleistift und Papier dokumentiert“, sagt López. Optimal wäre ein System, in dem die Pflegenden den Zustand der Pflegebedürftigen mit mobilem Endgerät in den Zimmern und mit den Pflegebedürftigen erfassen. Andere technische Lösungen, wie beispielsweise Sensoren, könnten an dieses Kernsystem angeschlossen werden – Informationen würden automatisch verknüpft, die Pflege wäre effektiver und die Fachkräfte hätten mehr Zeit für das Wesentliche, die Arbeit mit den Menschen.
Eva Hornecker ist Professorin für Mensch-computer-interaktion in der Informatik an der Bauhaus Universität in Weimar, sie beschäftigt sich unter anderem mit den ethischen Fragen rund um die Technologie in der Pflege. In der Forschungsgruppe Rethinking Care Robots (Rethicare) erforscht sie mit Kollegen, welche Assistenzsysteme möglichst menschenwürdig sind und dabei die Bedürfnisse der Gepflegten und der Pflegekräfte berücksichtigen.
Die Probleme der Sensorik beschreibt Hornecker anhand eines Beispieles: Wenn ein smartes Bett zu später Stunde auffällige Vitalwerte einer pflegebedürftigen Person misst, muss das nicht an einer Veränderung des gesundheitlichen Zustands liegen – das könne genauso ein nächtlicher Liebesbesuch sein, erklärt Hornecker. Pflegende Verwandte bekommen das dann mit, in der stationären Pflege sieht es das Personal, die Daten sind gespeichert –„ein heftiger Eingriff in die Privatsphäre“.
Vor allem in der Robotik sieht sie noch viele Fragezeichen. Zum einen stehe der Aufwand der Programmierung nicht in Relation zum Nutzen, außerdem ist es laut Hornecker zumindest in näherer Zukunft kaum vorstellbar, dass Roboter autark am Menschen arbeiten. Selbst wenn es nur ein Roboterarm wäre, der den Pflegebedürftigen aus dem Bett hilft, sei das ein Risiko – „was ist, wenn der Roboter weiterarbeitet, obwohl er der Person wehtut?“. Nicht umsonst würden Roboter in der Industrie hinter Lichtschranken arbeiten.
„Wir müssen außerdem kritisch diskutieren, wenn wir Menschen vorspielen, das wären einfühlsame Wesen.“Es sei völlig normal, dass man den Menschen Maschinen vorsetzt, die sie therapieren, informieren oder unterhalten, so Eva Hornecker, das Problem sei „die Illusion der menschlichen Anteilnahme“. Zwar vermitteln Filme und Medien ein anderes Bild, doch Künstliche Intelligenz ist sehr weit davon entfernt, ein Bewusstsein zu entwickeln und Gefühle empfinden zu können. Hornecker und ihr Team wollen weg von Robotern und hin zu robotischen Assistenzsystemen. Unterstützende Technik, die nicht völlig autonom arbeitet, sondern immer zusammen mit dem Pflegeteam gedacht wird.
Dass derzeit ausgerechnet Pepper zum Aushängeschild der Digitalisierung in der Pflege wird – für Eva Hornecker unerfreulich, aber erklärbar. „Pepper ist einfach medienwirksamer, er bedient diese bestimmten Science-fiction-vorstellungen.“Ein humanoider, also menschenähnlicher Roboter wie Pepper stehe eben eher für Innovation als beispielsweise ein Transportroboter, der in der Pflege wohl nützlicher wäre. Außerdem ist es laut Hornecker einfacher Forschungsgelder bewilligt zu bekommen, wenn man an technisch anspruchsvollen und aus Sicht von Technikern „coolen“Projekten arbeitet.
Dass vor allem Roboter der Öffentlichkeit präsentiert werden, findet Krüger nicht weiter schlimm. „Wir signalisieren damit vor allem, dass etwas in der Branche passiert, dass wir die Bedingungen verbessern – das hilft Nachwuchs zu bekommen.“Denn dieser muss kommen. „Ich bin recht pessimistisch, man muss sich ja nur den demografischen Wandel anschauen. Ich sehe nicht, dass diese Masse an Mitarbeitern nachzieht.“
Obwohl eigentlich jeder wisse, dass Deutschland bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege braucht, kommt das laut Krüger in den Köpfen der Menschen irgendwie nicht an. Der Hausleiter vermisst nicht nur den politischen Willen, sondern auch die Einsicht der Menschen – das Bemühen der Solidargemeinschaft. Pflege koste eben viel Geld, sagt Krüger, durch die Digitalisierung vorübergehend noch mehr. „Wir müssen uns überlegen: Was ist uns das wert?“