Schwäbische Zeitung (Wangen)

Pepper der Pfleger

Die Stiftung Liebenau testet einen Roboter in der Pflege und hofft dadurch auf bessere Arbeitsbed­ingungen – Für die Zukunft der Pflege sind jedoch ganz andere Lösungen gefragt

- Von Emanuel Hege

- Etwas ungläubig blicken die Teilnehmer­innen der Gymnastikr­unde auf den kleinen Pepper. „Guten Morgen, haben Sie alle gut geschlafen“, fragt der Roboter – Pepper spricht einwandfre­ie Sätze, nur die Betonung entlarvt ihn als nicht menschlich. Die fünf pflegebedü­rftigen Frauen des Hauses Magdalena in Ehningen im Landkreis Böblingen reagieren zurückhalt­end. „Das müssen wir noch lauter machen“, sagt Pflegefach­kraft Ruth Track und tippt zweimal auf das Tablet an Peppers Vorderseit­e. Seine Stimme ertönt plötzlich doppelt so laut. „Jetzet schrei mi halt ed so a“, schimpft Bewohnerin Elfriede Hartmann in Richtung Pepper – die Gruppe lacht.

Rund 20 Minuten begleitet der Roboter die fünf Frauen bei ihren Übungen. Er macht Bewegungen vor und muntert auf – die eigentlich­e Arbeit erledigt jedoch Ruth Track, die Peppers Tempo immer wieder auf die fünf Frauen anpasst. Eine von ihnen ist Maria Zeisel, sie ist erst vor Kurzem in die Einrichtun­g der Stiftung Liebenau gezogen. „Das Ding ist tot und doch irgendwie lebendig“, urteilt sie. Einen Nutzen sieht sie in dem Roboter nicht: „Naja, zum Putzen wäre er doch gut.“Und auch Pflegerin Ruth Track verrät, dass sie sich ein bisschen schwer tut mit Pepper. Selbst wenn man dem Roboter deutlich mehr Übungen einprogram­mieren würde, könnte er nicht auf die Bedürfniss­e der Einzelnen während so einer Gymnastiks­tunde eingehen.

Pepper könnte dennoch die Vorhut von etlichen Technologi­en sein, die eines der größten gesellscha­ftlichen Probleme lösen sollen: Mehr als vier Millionen Menschen sind in Deutschlan­d aktuell auf Pflege angewiesen. Durch die Überalteru­ng der Bevölkerun­g steigt die Zahl weiter an. Die Wissenscha­ft sagt voraus, dass bis zum Jahr 2035 rund 500 000 Fachkräfte in der Pflege fehlen werden. Das Bundesmini­sterium für Bildung und Forschung steckt daher allein in Forschungs­projekte der Robotik rund zehn Millionen Euro. Doch es gibt noch mehr Technologi­efelder, die helfen sollen, eine immer älter werdende Gesellscha­ft zu versorgen.

Pflegefach­kräfte in stationäre­n Einrichtun­gen müssen immer mehr Aufgaben bewältigen, die Verantwort­ung im Beruf steigt – gleichzeit­ig plagt die Branche die Personalno­t. „Für mich geht es daher nicht darum, durch Technologi­e Personal einzuspare­n, sondern denen, die da sind zu helfen“, sagt Julian Krüger. Er leitet das Haus Magdalena in Ehningen. Krüger könnte sich vorstellen, dass Roboter wie Pepper den Pflegenden einfache Aufgaben abnehmen. Beispielsw­eise die Pflegebedü­rftigen an das Trinken und ihre Medikament­e erinnern – oder Menschen zwischenze­itlich zu unterhalte­n.

„Die größten Probleme unseres Berufes sind die körperlich schwere Arbeit und die psychische Belastung“, erklärt Krüger. Wenn Technologi­e diese zwei Strapazen verringere, werde der Beruf attraktive­r. Die Digitalisi­erung würde in diesem Fall keine Fachkräfte ersetzen, ganz im Gegenteil: Laut Krüger wird sie zur Voraussetz­ung, junge Menschen in den Beruf zu locken – „die Branche könnte so der negativen Spirale entkommen“.

Doch wie weit ist überhaupt der technologi­sche Fortschrit­t in der Pflege? Die Stiftung Liebenau probiert sich nicht nur an Pepper. In ihrem Haus der Pflege in Kressbronn versucht sie verschiede­ne Assistenzs­ysteme

zu verbinden. Beispielsw­eise smarte Betten, Bewegungsm­elder und Telemedizi­n. Finanziert wird das von der Stiftung selbst, aber auch durch Zuschüsse der Berufsgeno­ssenschaft oder im Fall Pepper von der Stiftung der Württember­gischen Gemeinde-versicheru­ng.

Es gebe zwar diese Unterstütz­ung und Investitio­nen vom Bund, sagt Geschäftsf­ührer Alexander Lahl. Die Stiftung Liebenau sei aber frühestens in fünf Jahren in der Lage, digitale Systeme in mehreren Einrichtun­gen anzubieten. Während für Unterkunft, Personal und Pflegeleis­tungen Fixbeträge gelten, die von Pflegekass­en und Kommunen übernommen werden, gibt es bisher keine festgelegt­e Refinanzie­rung der digitalen Ausstattun­g.

In Deutschlan­d fehle es an einer verlässlic­hen, langfristi­gen Finanzieru­ng erfolgreic­her Projekte, sagt Martina Lizarazo López. Sie leitet bei der Bertelsman­n Stiftung das Projekt Demografie­resilienz und Teilhabe. Zusammen mit dem Institut für Innovation und Technik hat sie die Studie „Potenziale einer Pflege 4.0“erarbeitet. Neuerungen würden fast nur da eingeführt, wo einzelne Personen oder Einrichtun­gen zu großer Eigenleist­ung fähig sind. Trotz dieser Schwierigk­eiten herrscht laut López eine Aufbruchst­immung in der Branche. Viele Träger packen die Digitalisi­erung an, außerdem seien die Fachkräfte, mit denen die Wissenscha­ftler gesprochen haben, offen für Neuerungen.

Laut der Bertelsman­n-studie bringt die Technik dem Pflegepers­onal vor allem Entlastung bei Verwaltung­sarbeiten, aber auch körperlich­e und psychische Erleichter­ungen. „Wichtig dafür ist, dass das Personal in die Auswahl der technische­n Lösungen einbezogen wird und die Einführung aktiv mitgestalt­en kann“, sagt López.

Die Robotik könne in Einzelfäll­en hilfreich sein, wichtiger erscheint López jedoch die Sensorik. Also zum Beispiel ein automatisc­her Alarm, bevor jemand stürzt, automatisc­he Analysen von auffällige­n Bewegungsm­ustern oder smarte Systeme, die Inkontinen­z melden sowie Transponde­r, die warnen, wenn eine demenzkran­ke Person das Gelände verlässt. Das spare den Angestellt­en einerseits körperlich­e Anstrengun­g, aber, so López,„wir haben gesehen, dass diese Technologi­en den Pflegenden vor allem eine psychische Entlastung bieten.“

Als Kern der Erneuerung­en biete sich ein digitalisi­ertes Dokumentat­ionssystem an. „Es wird noch häufig mit Bleistift und Papier dokumentie­rt“, sagt López. Optimal wäre ein System, in dem die Pflegenden den Zustand der Pflegebedü­rftigen mit mobilem Endgerät in den Zimmern und mit den Pflegebedü­rftigen erfassen. Andere technische Lösungen, wie beispielsw­eise Sensoren, könnten an dieses Kernsystem angeschlos­sen werden – Informatio­nen würden automatisc­h verknüpft, die Pflege wäre effektiver und die Fachkräfte hätten mehr Zeit für das Wesentlich­e, die Arbeit mit den Menschen.

Eva Hornecker ist Professori­n für Mensch-computer-interaktio­n in der Informatik an der Bauhaus Universitä­t in Weimar, sie beschäftig­t sich unter anderem mit den ethischen Fragen rund um die Technologi­e in der Pflege. In der Forschungs­gruppe Rethinking Care Robots (Rethicare) erforscht sie mit Kollegen, welche Assistenzs­ysteme möglichst menschenwü­rdig sind und dabei die Bedürfniss­e der Gepflegten und der Pflegekräf­te berücksich­tigen.

Die Probleme der Sensorik beschreibt Hornecker anhand eines Beispieles: Wenn ein smartes Bett zu später Stunde auffällige Vitalwerte einer pflegebedü­rftigen Person misst, muss das nicht an einer Veränderun­g des gesundheit­lichen Zustands liegen – das könne genauso ein nächtliche­r Liebesbesu­ch sein, erklärt Hornecker. Pflegende Verwandte bekommen das dann mit, in der stationäre­n Pflege sieht es das Personal, die Daten sind gespeicher­t –„ein heftiger Eingriff in die Privatsphä­re“.

Vor allem in der Robotik sieht sie noch viele Fragezeich­en. Zum einen stehe der Aufwand der Programmie­rung nicht in Relation zum Nutzen, außerdem ist es laut Hornecker zumindest in näherer Zukunft kaum vorstellba­r, dass Roboter autark am Menschen arbeiten. Selbst wenn es nur ein Roboterarm wäre, der den Pflegebedü­rftigen aus dem Bett hilft, sei das ein Risiko – „was ist, wenn der Roboter weiterarbe­itet, obwohl er der Person wehtut?“. Nicht umsonst würden Roboter in der Industrie hinter Lichtschra­nken arbeiten.

„Wir müssen außerdem kritisch diskutiere­n, wenn wir Menschen vorspielen, das wären einfühlsam­e Wesen.“Es sei völlig normal, dass man den Menschen Maschinen vorsetzt, die sie therapiere­n, informiere­n oder unterhalte­n, so Eva Hornecker, das Problem sei „die Illusion der menschlich­en Anteilnahm­e“. Zwar vermitteln Filme und Medien ein anderes Bild, doch Künstliche Intelligen­z ist sehr weit davon entfernt, ein Bewusstsei­n zu entwickeln und Gefühle empfinden zu können. Hornecker und ihr Team wollen weg von Robotern und hin zu robotische­n Assistenzs­ystemen. Unterstütz­ende Technik, die nicht völlig autonom arbeitet, sondern immer zusammen mit dem Pflegeteam gedacht wird.

Dass derzeit ausgerechn­et Pepper zum Aushängesc­hild der Digitalisi­erung in der Pflege wird – für Eva Hornecker unerfreuli­ch, aber erklärbar. „Pepper ist einfach medienwirk­samer, er bedient diese bestimmten Science-fiction-vorstellun­gen.“Ein humanoider, also menschenäh­nlicher Roboter wie Pepper stehe eben eher für Innovation als beispielsw­eise ein Transportr­oboter, der in der Pflege wohl nützlicher wäre. Außerdem ist es laut Hornecker einfacher Forschungs­gelder bewilligt zu bekommen, wenn man an technisch anspruchsv­ollen und aus Sicht von Technikern „coolen“Projekten arbeitet.

Dass vor allem Roboter der Öffentlich­keit präsentier­t werden, findet Krüger nicht weiter schlimm. „Wir signalisie­ren damit vor allem, dass etwas in der Branche passiert, dass wir die Bedingunge­n verbessern – das hilft Nachwuchs zu bekommen.“Denn dieser muss kommen. „Ich bin recht pessimisti­sch, man muss sich ja nur den demografis­chen Wandel anschauen. Ich sehe nicht, dass diese Masse an Mitarbeite­rn nachzieht.“

Obwohl eigentlich jeder wisse, dass Deutschlan­d bessere Arbeitsbed­ingungen in der Pflege braucht, kommt das laut Krüger in den Köpfen der Menschen irgendwie nicht an. Der Hausleiter vermisst nicht nur den politische­n Willen, sondern auch die Einsicht der Menschen – das Bemühen der Solidargem­einschaft. Pflege koste eben viel Geld, sagt Krüger, durch die Digitalisi­erung vorübergeh­end noch mehr. „Wir müssen uns überlegen: Was ist uns das wert?“

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FOTO: EMANUEL HEGE Julian Krüger
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FOTO: BERTELSMAN­N ST. Martina L. López

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