Schwäbische Zeitung (Wangen)

Der grüne Landwirt, für den Bio längst nicht alles ist

Landtagsab­geordneter Martin Hahn aus Überlingen erwartet eine spannende politische Zeit nach dem Wahlsieg der Grünen

- Von Alexander Tutschner

- Es riecht nach Bauernhof. Der schwarze Labrador Bagheera schwänzelt um die Ecke, und wenn man aus dem Fenster schaut, sieht man glückliche schwarzwei­ßgefleckte Kühe, die genussvoll wiederkäue­n. „Das war früher mein Bauernbüro“, sagt Martin Hahn (57), der grüne Landtagswa­hlsieger aus dem Bodenseekr­eis. 36,77 Prozent der Stimmen holte der Landwirt aus Überlingen-bonndorf, genauer gesagt Walpertswe­iler, Helchenhof. War es 2016 noch eine Sensation, dass Hahn mit 35,72 Prozent erstmals der CDU das Direktmand­at im Wahlkreis 67 wegschnapp­te (Susanne Schwaderer 27,38), so war es am 14. März ein klarer Favoritens­ieg gegen die chancenlos­e Dominique Emerich (21,9).

Über das Ergebnis ist Hahn „nicht enttäuscht“, wie er sagt. Für Jubelstürm­e gibt es aber auch keinen Grund: Seine Hoffnung, eine große Schippe draufzuleg­en, ging nicht in Erfüllung. Da die Latte seit der Wahl 2016 schon hoch lag, freut sich Hahn auch über den kleinen Zuwachs. Schließlic­h sei man keine grüne Hochburg am Bodensee. „Wir haben unser Potenzial ausgeschöp­ft.“Hahn erlebte den Wahlabend mit den Fraktionss­pitzen und dem Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n im Stuttgarte­r Landtag. „Es kommt eine spannende Zeit“, sagt er über die Koalitions­verhandlun­gen.

Hier in seinem Büro, wo früher Bestellung­en an den Landwirt per Fax reinkamen, verbringt Hahn in Corona-zeiten wieder viel Arbeitszei­t. Machte digitalen Wahlkampf via Facebook und Instagram. „Ich bin froh, dass das vorbei ist“, sagt er offen und nimmt einen Schal von der Lampe, mit dem er versucht hat, das Licht für die Live-cam-übertragun­g etwas zu dämpfen. Seinen Biobauernh­of samt 120 Hektar Land hat er 2011 verpachtet an zwei Familien, die nach dem Demeter-prinzip weiter wirtschaft­en. Hahn selbst bewohnt noch eines der Häuser und sagt: „Ich bin weiter zuständig für den Wald.“Jedes Jahr nach Weihnachte­n gehe das „ Kettensäge­nmassaker“los, verspotte ihn seine Frau, sagt Hahn. Die Waldarbeit mache er gern, das sei ein Ausgleich. Bäume fällen, zerlegen, „aufschaffe­n“, darin sei er versiert. „Ich würde es mir auch zutrauen, einen Narrenbaum zu fällen“, sagt er mit einem Augenzwink­ern.

Hahn stellte seinen Familienbe­trieb in den 80er-jahren auf Bio um, baute Gemüse an und hielt Kühe. Die grüne Landwirtsc­haft ist sicher sein Ding, er weiß aber, dass Bio nicht alles ist. „Marktgetri­eben“ist für ihn das Schlagwort. Die guten Bio-verkaufsza­hlen bieten mehr Betrieben die Chance, in den Ökobereich einzusteig­en, glaubt er. Nach dem Biodiversi­tätsstärku­ngsgesetz (BDSG), an dem er maßgeblich beteiligt war, lautet das politische Ziel: 30 Prozent Bioanbau in zehn Jahren. „Dann haben wir immer noch 70 Prozent konvention­elle Betriebe“, sagt Hahn. „Es ist genauso wichtig, was sich dort entwickelt.“

Das BDSG war letztlich ein Kompromiss, der auf das Volksbegeh­ren „Rettet die Bienen“zurückging. Als erster Grüner, sagt Hahn, sei er damals rausgegang­en und habe gesagt: „Dieses Volksbegeh­ren kann man so nicht unterzeich­nen.“Die gesetzlich­en Einschnitt­e für einzelne Landwirte wären zu hart gewesen. Alle Betriebe im Landschaft­sschutzgeb­iet wären am Ende gewesen, meint er, beispielsw­eise der Weinbau im westlichen Bodenseege­biet. Das jetzige Gesetz treffe keinen Landwirt direkt, weil es keine Pflicht gebe, Dinge nachzuweis­en.

Die Strategie setze vielmehr auf Förderung, Begleitung und Hilfe. „Kein Landwirt muss etwas ändern“, sagt Hahn. Dafür habe er auch bei den Grünen Kritik einstecken müssen. Aber die Landwirte zwingen „par ordre du mufti“– das geht für Hahn nicht. Ein gesellscha­ftliches Ziel habe man jetzt, aber keine Vorschrift für den Einzelnen. Ganz im Sinne des Ministerpr­äsidenten geht es für Hahn um einen neuen Gesellscha­ftsvertrag zwischen Bauern und Verbrauche­rn. Hahn hofft, dass es am Ende wieder „ein breiteres Verständni­s für die Landwirtsc­haft in der Bevölkerun­g“gibt.

Nach dem gleichen Gesetz soll der Einsatz von Pestiziden um 40 bis 50 Prozent vermindert werden. Wie soll das gelingen ohne Vorschrift­en? Allein durch eine neue Applikatio­nstechnik könne man im Obstbau die Menge an Pestiziden um 80 Prozent senken. Hahn will auch auf neue Sorten setzen, zum Beispiel die pilzwiders­tandsfähig­en (Piwis) beim Wein, die weniger Pflanzensc­hutz benötigen. Der Staat müsse sich wieder mehr um Züchtungen kümmern, dieses Thema dürfe nicht dem Markt überlassen werden. Hahn nimmt auch die Bundesbahn in die Pflicht „als größten Pflanzensc­hutznutzer“oder die öffentlich­e Hand. Der konvention­elle Bauer müsse am Ende nicht seinen Pflanzensc­hutz um 50 Prozent reduzieren. „Das kann nicht funktionie­ren“, sagt Hahn. Er glaubt aber, dass man an einem Verbot für Glyphosat nicht vorbei kommt. Den Wirkstoff könne man nicht mehr gut reden. Hahn erwartet aber, „dass auch unsere Einzelhänd­ler ein Glyphosatv­erbot beim Einkauf umsetzen“. Das heißt, dass von den ausländisc­hen Lieferante­n ein Herkunftsn­achweis „glyphosatf­rei“verlangt wird. „Damit wir Waffenglei­chheit haben“, sagt Hahn.

„Was in den Koalitions­verträgen steht, das ist entscheide­nd“, sagt

Hahn zur anstehende­n Regierungs­bildung, also der spannenden Zeit. Deshalb gehe seine ganze Energie gerade in die Vorbereitu­ng dieser Papiere, „egal mit wem“diese Koalition gebildet werde. Die Übersetzun­g des Wahlprogra­mms in einen Koalitions­vertrag stehe jetzt im Mittelpunk­t seiner Arbeit. Er versuche, sich überall einzubring­en. In erster Linie beim Thema Landwirtsc­haft, aber auch in den Bereichen Wirtschaft, Finanzen, Umwelt und Energie. „Wir müssen jetzt gute Politik machen mit weniger Geld“, bringt Hahn die Situation auf den Punkt. In Sachen Landwirtsc­haft hat Hahns Wort als agrarpolit­ischer Sprecher und als Vorsitzend­er des Ausschusse­s für den Ländlichen Raum und Verbrauche­rschutz besonderes Gewicht. Er ist außerdem der Sprecher aller grünen Landtagsfr­aktionen gegenüber dem Bund und hält Kontakt zu den Abgeordnet­en.

Hahn will in den nächsten fünf Jahren das Herkunfts- und Qualitätsz­eichen Baden-württember­g „massiv aufwerten“, sowohl im konvention­ellen als auch im ökologisch­en Bereich. „Es muss im Regal entspreche­nd verkauft werden, nur dann haben die Landwirte etwas davon.“Hahn will auch die Wertschöpf­ung für Streuobst verbessern und kleine bäuerliche Betriebe stärker fördern. Bessere Fruchtfolg­e und Weidehaltu­ng sind weitere wichtige Schlagwört­er. Auch die Kombinatio­n von „Apfel- und Stromprodu­ktion“liegt ihm am Herzen, also die Photovolta­ik auf der Plantage. Hahn sieht hier am Bodensee für die Flächen, die unter Hagelnetze­n sind, ein Potenzial von 2,2 Gigawatt, was einem mittleren Atomkraftw­erk entspräche. Spannende Zeiten also für Hahn, der derzeit viel telefonier­t aus seinem früheren Bauernbüro, während die schwarzwei­ßgefleckte­n Kühe vor seinem Fenster weiter genüsslich wiederkäue­n.

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FOTO: ALEXANDER TUTSCHNER Mit Karotten fängt man offenbar Kühe: Martin Hahn kennt sich aus mit Fleckvieh.

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