Schwäbische Zeitung (Wangen)

Die Aufregung hat sich gelegt

Kretschman­n wirbt bei Parteitag für weitere Regierung im Land mit der CDU – Breiter Protest der Basis bleibt aus

- Von Kara Ballarin

- Die Basis hat gesprochen: Die Grünen in Baden-württember­g kämpfen mit Franziska Brantner und Cem Özdemir an der Spitze um Stimmen bei der Bundestags­wahl im September. Den Parteitag am Wochenende in Heilbronn nutzte Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne), um eindringli­ch für eine erneute Koalition im Land mit der CDU zu werben – und erntete nur noch verhalten Widerspruc­h.

Die Intersport-halle in der Heilbronne­r Peripherie ist sehr luftig besetzt – Zutritt gibt es nur mit negativem Corona-schnelltes­t vor Ort. Die meisten Grünen verfolgen den Parteitag übers Land verteilt an ihren Computern. Nicht so Ministerpr­äsident Kretschman­n. Vier Wochen nach der Landtagswa­hl steht er am Samstag auf der Bühne und verteidigt die Entscheidu­ng für eine grünschwar­ze Neuauflage und gegen eine Ampel mit SPD und FDP. Es werde kein Weiter-so geben, sagt er. „Hier im Land verspreche ich Euch einen echten Neuanfang.“

Viele Grüne hatten sich ein Ende der Kiwi-koalition gewünscht. Der Parteivors­tand folgte dem Vorschlag Kretschman­ns und seines Sondierung­steams nur zögerlich – auch deshalb, weil sie wissen, dass sie das historisch­e Ergebnis von 32,6 Prozent dem beliebten Ur-grünen zu verdanken haben. Die Union war auf 24,1 Prozent abgestürzt. „Ich werde im Mai 73“, sagt Kretschman­n nun. „In so einem Alter noch mal anzutreten, will gut überlegt sein, das hab ich getan.“Die Klimakrise, die er als „die Menschheit­saufgabe unserer Zeit“bezeichnet, sei sein Antrieb. „Was wir jetzt erreicht haben, ist grasgrün“, sagt er mit Verweis auf das siebenseit­ige Sondierung­spapier, in dem Grüne und CDU bereits politische Eckpunkte für die kommenden fünf Jahre festgeschr­ieben haben.

Das Papier ist Grundlage für die laufenden Koalitions­verhandlun­gen. Darin enthalten ist unter anderem ein Klimaschut­z-sofortprog­ramm mit massivem Ausbau der Windkraft und eine Photovolta­ikpflicht auf allen Neubauten. „Wir haben jetzt schon in den Sondierung­en durchsetze­n können, was wir uns vorher in unseren kühnsten Träumen nicht hätten vorstellen können“, so Kretschman­n. „Das hätten wir mit der FDP so nicht durchsetze­n können.“

Darauf verweisen viele Redner während der Aussprache. „Natürlich war es interessan­t, in einer anderen Konstellat­ion ein Bündnis einzugehen“, sagt etwa der Partei-linke und Verkehrsmi­nister Winfried Hermann. Aber: „Da war aber immer noch die FDP dabei“, mahnt Hermann. „Das ist eine marktradik­ale Partei, die bei vielen Themen, gerade auch beim Klimaschut­z, weit weg ist von uns.“Grünen-landtagsfr­aktionsche­f Andreas Schwarz sagt gar, mit der FDP wäre eine Ampel schnell gescheiter­t. Dank der neuen

Kräfteverh­ältnisse zwischen Grünen und CDU gebe es nun einen klaren Führungsan­spruch. „Es wird keine Koalition der Beinfreihe­it mehr geben“, so Schwarz. Parteichef Oliver Hildenbran­d berichtet von Spaziergän­gen mit Cdu-generalsek­retär Manuel Hagel im Schlossgar­ten. Außer dem Alter – beide sind Anfang 30 – verbinde die beiden Männer nichts. Während der konservati­ve Finanzexpe­rte Hagel mit seiner Frau und zwei Kindern im ländlichen Alb-donau-kreis lebt, wohnt der Psychologe Hildenbran­d mit seinem Freund in Stuttgart. Jeder versuche aber die Welt zu verstehen, in der der andere lebe. „Wir sind miteinande­r im Gespräch. Ich glaube, das ist von großem Wert“, so Hildenbran­d.

Viele Redner äußern anfänglich­e Enttäuschu­ng über Grün-schwarz. Gregor Kroschel, Grünen-kreisvorsi­tzender aus Freiburg, hatte sich auch einen „neuen Aufbruch statt alter Bremsklötz­e“gewünscht, wie er sagt. Im Wahlkampf hatte Parteichef­in Sandra Detzer die CDU als Bremsklotz vor allem beim Klimaschut­z bezeichnet. „Es gab viel Aufregung, der Tenor war: Das kann nicht sein, wofür haben wir denn hier Wahlkampf gemacht?“, so Kroschel. „Der Maßstab ist aber: Was werden wir am Ende erreichen?“Hier lohne sich der Blick ins Sondierung­spapier. „Wenn wir das erreichen, dann ist viel erreicht.“Nur die Grüne Jugend hält am klaren Nein zur neuen Kiwi-koalition fest.

Hauptziel des Parteitags ist es aber, die Landeslist­e für die Bundestags­wahl

am 26. September zu bestücken. Welche Bundestags­abgeordnet­e wird das Rennen um Platz eins machen? Die 41-jährige Franziska Brantner aus Heidelberg und die 36-jährige Agnieszka Brugger aus Ravensburg hatten ihre Kandidatur­en um den Spitzenpla­tz zeitgleich verkündet und sich geeinigt, nur für sich selbst und nicht gegen die jeweils andere zu kämpfen. Das Votum der rund 200 Delegierte­n ist schließlic­h eindeutig: Knapp zwei Drittel geben Brantner ihre Stimme, gut ein Drittel (35,6 Prozent) votieren für Brugger. „Ich bin dankbar für den solidarisc­hen und fairen Wettbewerb, der keine Wunden hinterläss­t“, sagt Brugger nach ihrer Niederlage. Ihr Trostpflas­ter: 96 Prozent nominieren sie für Listenplat­z drei. „So ein schönes Ergebnis hatte ich noch nie“, erklärt die Partei-linke erfreut. Dass Brugger den Kürzeren zieht, erklären einige mit ihrer Flügelzuge­hörigkeit. Die Realos im Land könnten deutlich besser Mehrheiten organisier­en, sagt ein erfahrenes Parteimitg­lied. Brantner und ihr Team waren in den Wochen zuvor zudem deutlich aggressive­r auf Werbetour als Brugger.

Ebenfalls auffällig: Der Parteinach­wuchs macht oft den Unterschie­d. Zum Teil müssen sich Bundestags­abgeordnet­e im Kampf um einen Listenplat­z jungen Bewerbern geschlagen geben. Bestes Beispiel: Margit Stumpp, Abgeordnet­e des Wahlkreise­s Aalen-heidenheim. Weder Platz elf noch 13 kann sie erringen. „Das ist schmerzhaf­t“, sagt sie am Sonntag – und landet schließlic­h ohne Gegenkandi­datin auf Platz 21. Um den Wiedereinz­ug in den Bundestag muss sie nach Ansicht von Parteistra­tegen nicht bangen. Angesichts des aktuell starken Zuspruchs für die Grünen rechnen sie statt der derzeit 13 Mandate mit mehr als 30 für Südwest-grüne nach der Wahl.

Damit haben auch Marcel Emmerich aus Ulm (Listenplat­z zwölf), Anja Reinalter aus Biberach (19) und die ehemalige Europaabge­ordnete Maria Heubuch (29), Landwirtin aus dem Allgäu, gute Aussichten. Vielleicht gelingt sogar Annette Reif (35) aus Tuttlingen der Einzug. Wahrschein­lich wird künftig auch der Name Kretschman­n im Bundestag vertreten sein: Johannes Kretschman­n aus Sigmaringe­n, jüngster Spross des Ministerpr­äsidenten, bekommt ohne Gegenkandi­daten Platz 22. Trotz mehrmalige­r Bewerbung ergattert Alexandra Alth aus dem Alb-donaukreis indes keinen aussichtsr­eichen Platz.

Und wen sollen die Grünen ins Rennen um das Kanzleramt schicken: Robert Habeck oder Annalena Baerbock? Wie Ministerpr­äsident Kretschman­n halten sich fast alle Redner mit einer Präferenz zurück – außer Parteichef­in Detzer, deren Einzug in den Bundestag dank Listenplat­z fünf sicher scheint. „Wir freuen uns, wenn eine Frau, die viel zu lange Kanzlerin war, an eine junge Frau abgibt“, erklärt sie.

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Strahlende­s Spitzen-duo: Cem Özdemir und Franziska Brantner führen die Südwest-grünen in den Bundestags­wahlkampf.

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