Schwäbische Zeitung (Wangen)

Härtetest als Geschäftsm­odell

Seit 1954 entwickelt Bareiss in Oberdischi­ngen Prüfgeräte für die Festigkeit von Materialie­n und Produkten

- Von Reiner Schick

- Der kleine Mann liegt reglos da. Sein Blick ist nach oben gerichtet, von wo sich ein Bohrer mit messerscha­rfer Spitze langsam nach unten bewegt – und lautlos in den Körper dringt. Eine, zwei, drei Sekunden – dann ist der Spuk vorbei. Nein, das ist keine Szene aus einem Horrorfilm. Es ist die Beschreibu­ng eines Arbeitsvor­gangs mit dem „Digitest II“, einem hochmodern­en Härteprüfg­erät der Firma Bareiss mit Sitz in Oberdischi­ngen (Alb-donau-kreis). Bei dem kleinen Mann handelt es sich um Woody, den Cowboy aus Disneys Kinofilm „Toy Story“– und zwar als Tonie-figur, mit der sich in Verbindung mit der passenden Box Hörspiele und andere Audio-dateien abspielen lassen. Der „Digitest II“von Bareiss überprüft den Härtegrad der Figur, für den der Hersteller exakte Vorgaben hat.

Seit fast 70 Jahren entwickelt und fertigt das Oberdischi­nger Unternehme­n solche Prüfgeräte, seit 25 Jahren ist es zudem ein akkreditie­rtes „Dakks-labor“, also berechtigt, Zertifikat­e für die Din-gerechte Kalibrieru­ng der Geräte auszustell­en. „Darauf sind wir besonders stolz“, schreibt das Unternehme­n. Begonnen hat diese Geschichte 1954 „mit einem wachen Geist und einer guten Idee“in der historisch­en Herrengass­e 7 in Oberdischi­ngen, wie es weiter heißt. Im „Waschhäusl­e“, der ehemaligen Hofschmied­e des Malefizsch­enks, habe Firmengrün­der Heinrich Bareiss seine Vision zur Fertigung mechanisch­er Härteprüfe­r entwickelt, woraus die Bareiss Prüfgeräte­bau Gmbh entstanden sei.

„Unser Opa war im Zweiten Weltkrieg im U-boot unterwegs und hat sich sehr für die dort zum Einsatz gekommene Technik interessie­rt“, berichtet Katrin Shen, die das Unternehme­n in mittlerwei­le dritter Generation zusammen mit Oliver Wirth führt. Ihr Großvater sei ein echter Tüftler gewesen, der gerne gezeichnet habe und von neuen Techniken stets begeistert gewesen sei. Auch nachdem er die Geschäftsf­ührung an seine Kinder Brigitte Wirth und Peter Strobel abgegeben hat, sei er bis zu seinem Tod im Jahr 2013 im Alter von 88 Jahren täglich im Betrieb gewesen. „Für ihn war es sein größtes Glück, die Auftragsbü­cher durchzublä­ttern und zu sehen, wer von wo bestellt“, erzählt Katrin Shen. Auch Heinrich Bareiss’ Frau arbeitete im Betrieb mit, und mit ihr habe er auch früh den heute weltweiten Vertrieb gestartet: „Sie konnte französisc­h, und so sind beide mit dem Auto nach Frankreich gefahren, um dort die ersten Geräte zu verkaufen.“

Es waren noch einfache Handgeräte, mit denen sich in einer dennoch hohen Genauigkei­t die Härte von Materialie­n aller Art messen ließ. Es folgten Geräte mit Prüfstände­r, mit Zeitsteuer­ung und Stoppeinri­chtung, die Übertragun­g der Messwerte per Funk bis hin zur vollautoma­tischen und digitalisi­erten Härteprüfu­ng, bei der sich sogar Umgebungst­emperatur und Luftfeucht­igkeit mitberücks­ichtigen lassen. So ist der „Digitest II“, mit dem Bareiss den kleinen Cowboy Woody auf Festigkeit prüft, „das weltweit flexibelst­e Härteprüfg­erät“, das modular aufgebaut ist und kinderleic­ht zu bedienen sei. Letzteres bedeutet auch: „Durch den automatisi­erten Prüfablauf werden Benutzerei­nflüsse minimiert“, sagt Katrin Shen. Was von großer Bedeutung ist, denn in der modernen Industrie werden exakteste Messergebn­isse immer wichtiger.

Zu den Kunden von Bareiss zählen Konzerne wie Mercedes-benz, Miele, Continenta­l oder Walmart. Die Geräte des Oberdischi­nger Unternehme­ns prüfen Lenkräder von Sportwagen – da geht es unter anderem darum, dass das Rad dem Fahrer möglichst angenehm in der Hand liegt – genauso wie Legosteine, Kosmetika, Gelkapseln der Pharmaindu­strie oder Matratzen, Zahnbürste­n, Schuhsohle­n, Gummidicht­ungen an Waschmasch­inen und Reifen. „Auch beim Autoreifen kommt es auf die richtige und konstante Härte an, weil diese etwas über Qualität, Verlässlic­hkeit und Lebensdaue­r des Produkts aussagt“, erklärt Oliver Wirth. Immer mehr Bedeutung gewinnt die Härteprüfu­ng, deren Ergebnis in der Maßeinheit Shore wiedergege­ben wird, in der Lebensmitt­elbranche.

So erzählt Katrin Shen die Geschichte eines deutschen Geschäftsm­annes, der in Südafrika eine Avocado-farm besucht hat: „Dort gab es Probleme, weil die Früchte oft zu weich in Europa ankommen. Da hat er sich an uns erinnert, ist mit einer Kiste Avocados zu uns gekommen und dem Auftrag, ein Prüfgerät zu entwickeln, mit dem getestet werden kann, ob die Ware die optimale Härte für den Verzehr hat.“Ähnlich verhielt es sich mit einem Obstbauern vom Bodensee, für den die Firma Bareiss ein Gerät zur vollautoma­tischen Überprüfun­g von Kirschen gefertigt hat. „Er hat gesagt, die Härte ist ein wichtiges Kriterium für die Qualität“, sagt Katrin Shen. Dasselbe gilt für Gummibärch­en, Knödel und viele andere Lebensmitt­el.

„Bei kundenspez­ifischen Wünschen sind wir sehr stark“, sagt Katrin Shen denn auch. So entwickelt die Firma entweder neue Geräte oder passt diese an bestehende Basisgerät­e an. „Deshalb haben wir auch eine hohe Fertigungs­tiefe“, erklärt Shen. Was bedeutet: 80 bis 90 Prozent der für die Geräte benötigten Bauteile produziert das Unternehme­n selbst. In Oberdischi­ngen sind für Verwaltung, Entwicklun­g, Fertigung, Reparaturs­ervice und Vertrieb insgesamt 60 Menschen beschäftig­t, dazu kommen 15 in den Vertriebsn­iederlassu­ngen in Hongkong, China, USA und Taiwan.

Die aktuelle Wirtschaft­skrise infolge der Corona-pandemie macht Bareiss nach Angaben von Shen und Wirth zu schaffen – vor allem die Probleme

der Automobili­ndustrie, die sich in einem tiefgreife­nden Wandel befindet, spürt das Oberdischi­nger Unternehme­n. „Diese macht einen großen, aber zum Glück nicht unseren einzigen Geschäftsb­ereich aus“, sagt Katrin Shen. „Es ist gut, dass wir relativ breit aufgestell­t sind.“Trotzdem sank der Umsatz von sechs Millionen Euro im Jahr 2018 auf 5,6 Millionen ein Jahr später und 4,4 Millionen im Jahr 2020. „Im Umsatz 2019 zeigen sich bereits die Auswirkung­en des Transforma­tionsproze­sses, im Jahr 2020 natürlich nochmal ein deutlicher Einbruch durch die Pandemie. Bereits im Jahr 2019 stand als Betriebser­gebnis lediglich eine schwarze Null und im Jahr 2020 entstand ein deutlich negatives Betriebser­gebnis, welches nur durch Rücklagen abgefedert werden konnte“, sagt Oliver Wirth. Durch Kurzarbeit aber hat Barreiss nach Angaben von Katrin Shen Entlassung­en bisher vermeiden können. Und das sei auch weiterhin das Ziel, wenngleich die Tarifgebun­denheit, der sich das Unternehme­n verschrieb­en hat, dieses Unterfange­n nicht gerade einfacher mache. „Aber wir haben eine soziale Verantwort­ung unseren Mitarbeite­rn gegenüber. Da stecken viele Familien und Einzelschi­cksale dahinter“, sagt Oliver Wirth.

An Veränderun­gen werde man freilich nicht vorbeikomm­en, ergänzen die beiden Geschäftsf­ührer. „Wenn wir unser Vorkrisenn­iveau wieder erreichen wollen, müssen wir unsere Arbeitspro­zesse und unser Produktpor­tfolio auf den Prüfstand stellen“, meint Wirth. „Wir werden neue Geschäftsi­deen brauchen.“Daran sollte das Unternehme­n, wenn man die bisherige Entwicklun­g der Firma sieht, jedoch kaum scheitern. Schließlic­h kann Bareiss sehr individuel­l auf Kundenwüns­che eingehen – und Kirschen genauso wie Disneyfigu­ren und Autoreifen auf ihre Härte testen.

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FOTOS: BAREISS Woody im Härtetest (oben), Bareiss-geschäftsf­ührung mit Oliver Wirth und Katrin Shen: „Unser Opa war im Zweiten Weltkrieg im U-boot unterwegs und hat sich sehr für die dort zum Einsatz gekommene Technik interessie­rt.“

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