Bei Anruf Hilfe
Menschen in psychischen Notlagen können sich nun rund um die Uhr beim Krisendienst Schwaben melden
- Angehörige sorgten sich: Eine alleinstehende Frau, Mitte 40, hatte ihren Job verloren. Psychisch auffällig sei sie schon vorher gewesen, habe sich oft zurückgezogen. Durch die Kündigung und den Corona-lockdown habe sich das noch verstärkt. Sie habe sich um nichts mehr gekümmert: Sei nicht zum Arbeitsamt gegangen, habe Mietschulden angehäuft. Aus Sorge riefen Bekannte bei der neuen Leitstelle des Krisendienstes Schwaben an.
Die Mitarbeiter der Zentrale verständigten das mobile Team des Sozialpsychiatrischen Zentrums (SPZ) vor Ort. „Sie war froh, dass jemand kommt und nach ihr sieht“, sagt Barbara Holzmann, die bei der Einsatzregion Kempten, Oberallgäu und Lindau arbeitet.
Seit Anfang März gibt es mit dem Krisendienst Schwaben eine zentrale Leitstelle für Menschen in Notlagen. Rund um die Uhr sind Fachkräfte der Sozialpädagogik, Psychologie und Psychiatrie telefonisch erreichbar. Um allen Anrufern passgenau helfen zu können, greift der Krisendienst auf einen Pool an Beratungsstellen in ganz Schwaben zurück. „Bislang ist kein psychiatrischer Dienst so organisiert gewesen“, erklärt Barabara Holzmann.
Die Oberallgäuerin arbeitet nicht nur für den SPZ, sondern hat als Vizepräsidentin des Bezirkstags auch den Aufbau des Krisendienstes begleitet. In Mittelfranken und Oberbayern gab es vergleichbare Angebote schon länger. Vor drei Jahren wurde ein neues Gesetz erlassen, das in Bayern einen flächendeckenden Krisendienst vorschreibt. Den während der Coronapandemie auf den Weg zu bringen, „war noch viel komplexer, als ich gedacht hätte“, sagt Holzmann.
Und wie kann der Krisendienst helfen? Statistiken aus Oberbayern zeigen, dass das Fachpersonal etwa 80 Prozent der Anrufer rein telefonisch hilft. Bei rund einem Fünftel ist Unterstützung vor Ort notwendig. Da kommen die mobilen Teams ins Spiel. Bei akuten Krisen – etwa wenn der Betroffene sich oder andere gefährdet – müssen Fachkräfte innerhalb einer Stunde vor Ort sein. Das Allgäu ist in drei Einsatzregionen aufgeteilt: Landkreis Unterallgäu und Memmingen, Ostallgäu mit Kaufbeuren sowie die Landkreise Oberallgäu und Lindau zusammen mit der Stadt Kempten.
Obwohl es die Krisen-nummer erst seit März gibt, waren die Teams schon früher tätig. Die Teams im Unterallgäu wurden beispielsweise seit Beginn des Jahres von der Leitstelle zu fünf Einsätzen geschickt. Das berichtet Roland Schaller, sozialpsychiatrischer Bereichsleiter der Diakonie Memmingen. Der Krisendienst „schließt eine Lücke im Hilfesystem“, sagt Schaller. In Anbetracht der Corona-pandemie – und der mehrfachen Lockdowns – sei das wichtig.
„Wir beobachten insgesamt, dass Klienten lange gut durchgehalten haben, ihnen jetzt aber langsam die Kraft ausgeht“, erklärt der 59-Jährige. Manche berichten auch, dass sie schon vor der Pandemie so gelebt hätten, wie es jetzt Vorschrift ist: mit möglichst wenigen sozialen Kontakten. Das bestätigt auch Barbara Holzmann: „Bei Menschen, die sich sowieso schon zurückgezogen haben, nimmt die Einsamkeit noch weiter zu.“
Dass die Leute immer schlechter mit Corona zurechtkommen, kann laut Schaller ganz unterschiedliche Gründe haben. Für viele stelle der Sport eine Art Ventil da, um Stress und Druck abzubauen. Wenn jetzt Fitnessstudio und Fußballtraining gestrichen sind, staue sich der Frust. „Viele Kleinigkeiten summieren sich da auf “, sagt Schaller. So können Krisensituationen ausgelöst werden – und zwar bei jedem, unabhängig von Alter und Geschlecht. Wichtig sei, dass Betroffene professionelle Hilfe bekommen, da sich ansonsten oft psychische Erkrankungen entwickeln.
Bisher sind die mobilen Teams von 9 bis 16 Uhr in Bereitschaft. Für die Abendstunden, Wochenenden und Feiertage wird aktuell noch ein Team aufgebaut. Die zentrale Leitstelle ist jedoch jederzeit besetzt.