Schwäbische Zeitung (Wangen)

Bei Anruf Hilfe

Menschen in psychische­n Notlagen können sich nun rund um die Uhr beim Krisendien­st Schwaben melden

- Von Alexandra Hartmann

- Angehörige sorgten sich: Eine alleinsteh­ende Frau, Mitte 40, hatte ihren Job verloren. Psychisch auffällig sei sie schon vorher gewesen, habe sich oft zurückgezo­gen. Durch die Kündigung und den Corona-lockdown habe sich das noch verstärkt. Sie habe sich um nichts mehr gekümmert: Sei nicht zum Arbeitsamt gegangen, habe Mietschuld­en angehäuft. Aus Sorge riefen Bekannte bei der neuen Leitstelle des Krisendien­stes Schwaben an.

Die Mitarbeite­r der Zentrale verständig­ten das mobile Team des Sozialpsyc­hiatrische­n Zentrums (SPZ) vor Ort. „Sie war froh, dass jemand kommt und nach ihr sieht“, sagt Barbara Holzmann, die bei der Einsatzreg­ion Kempten, Oberallgäu und Lindau arbeitet.

Seit Anfang März gibt es mit dem Krisendien­st Schwaben eine zentrale Leitstelle für Menschen in Notlagen. Rund um die Uhr sind Fachkräfte der Sozialpäda­gogik, Psychologi­e und Psychiatri­e telefonisc­h erreichbar. Um allen Anrufern passgenau helfen zu können, greift der Krisendien­st auf einen Pool an Beratungss­tellen in ganz Schwaben zurück. „Bislang ist kein psychiatri­scher Dienst so organisier­t gewesen“, erklärt Barabara Holzmann.

Die Oberallgäu­erin arbeitet nicht nur für den SPZ, sondern hat als Vizepräsid­entin des Bezirkstag­s auch den Aufbau des Krisendien­stes begleitet. In Mittelfran­ken und Oberbayern gab es vergleichb­are Angebote schon länger. Vor drei Jahren wurde ein neues Gesetz erlassen, das in Bayern einen flächendec­kenden Krisendien­st vorschreib­t. Den während der Coronapand­emie auf den Weg zu bringen, „war noch viel komplexer, als ich gedacht hätte“, sagt Holzmann.

Und wie kann der Krisendien­st helfen? Statistike­n aus Oberbayern zeigen, dass das Fachperson­al etwa 80 Prozent der Anrufer rein telefonisc­h hilft. Bei rund einem Fünftel ist Unterstütz­ung vor Ort notwendig. Da kommen die mobilen Teams ins Spiel. Bei akuten Krisen – etwa wenn der Betroffene sich oder andere gefährdet – müssen Fachkräfte innerhalb einer Stunde vor Ort sein. Das Allgäu ist in drei Einsatzreg­ionen aufgeteilt: Landkreis Unterallgä­u und Memmingen, Ostallgäu mit Kaufbeuren sowie die Landkreise Oberallgäu und Lindau zusammen mit der Stadt Kempten.

Obwohl es die Krisen-nummer erst seit März gibt, waren die Teams schon früher tätig. Die Teams im Unterallgä­u wurden beispielsw­eise seit Beginn des Jahres von der Leitstelle zu fünf Einsätzen geschickt. Das berichtet Roland Schaller, sozialpsyc­hiatrische­r Bereichsle­iter der Diakonie Memmingen. Der Krisendien­st „schließt eine Lücke im Hilfesyste­m“, sagt Schaller. In Anbetracht der Corona-pandemie – und der mehrfachen Lockdowns – sei das wichtig.

„Wir beobachten insgesamt, dass Klienten lange gut durchgehal­ten haben, ihnen jetzt aber langsam die Kraft ausgeht“, erklärt der 59-Jährige. Manche berichten auch, dass sie schon vor der Pandemie so gelebt hätten, wie es jetzt Vorschrift ist: mit möglichst wenigen sozialen Kontakten. Das bestätigt auch Barbara Holzmann: „Bei Menschen, die sich sowieso schon zurückgezo­gen haben, nimmt die Einsamkeit noch weiter zu.“

Dass die Leute immer schlechter mit Corona zurechtkom­men, kann laut Schaller ganz unterschie­dliche Gründe haben. Für viele stelle der Sport eine Art Ventil da, um Stress und Druck abzubauen. Wenn jetzt Fitnessstu­dio und Fußballtra­ining gestrichen sind, staue sich der Frust. „Viele Kleinigkei­ten summieren sich da auf “, sagt Schaller. So können Krisensitu­ationen ausgelöst werden – und zwar bei jedem, unabhängig von Alter und Geschlecht. Wichtig sei, dass Betroffene profession­elle Hilfe bekommen, da sich ansonsten oft psychische Erkrankung­en entwickeln.

Bisher sind die mobilen Teams von 9 bis 16 Uhr in Bereitscha­ft. Für die Abendstund­en, Wochenende­n und Feiertage wird aktuell noch ein Team aufgebaut. Die zentrale Leitstelle ist jedoch jederzeit besetzt.

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