Musik, die Mut machen soll
Martin Kern hat im vergangenen Corona-jahr 40 „Hoffnungsmelodien“geschrieben – Der 64-Jährige aus Buchenberg arbeitet dabei gern mit der Zither
- Martin Kern weiß noch genau, wann es losging. Nach einem längeren Spaziergang mit seiner Frau am 28. März 2020 setzte er sich an den Tisch in seinem Musikzimmer, stellte die Zither drauf und begann zu improvisieren. In die zehn Finger, die die Saiten des Instruments anrissen, flossen die Gedanken und Gefühle hinein, die Martin Kern bewegten. Inspirieren ließ sich der Musikpädagoge und Komponist von den Gesprächen, die er und seine Frau auf dem Spaziergang rund um ihren Heimatort Buchenberg (bei Kempten) führten. Es ging damals – natürlich – um Corona. Der erste Lockdown hatte gerade das Leben heruntergefahren. Doch niemand wusste im März 2020 so genau, wie gefährlich das Covid-virus wirklich war und wie lange es die Menschen aus den gewohnten Bahnen werfen würde. Die Unsicherheiten und Zukunftsängste, die Sorgen und Nöte, auch angesichts des Stopps von Musikunterricht, verwandelten sich beim Spielen auf der Zither in Musik. Und die sollte nicht einfach verklingen.
Martin Kern, der nicht nur als Musikpädagoge arbeitet, sondern gern komponiert, holte sich einen Stift und Notenpapier zur Zither. Außerdem schaltete er sein Aufnahmegerät ein. Er wollte die Töne und Harmonien festhalten, die ihm durch die Wanderung und die Gespräche in den Sinn gekommen waren. Eine einfache Melodie in C-dur entstand, eine fröhlich hüpfende Tonfolge im Zweivierteltakt, zu der man auch tanzen könnte. Als Martin Kern fertig war, schrieb er das Wort „Hoffnungsmelodie Nr. 1“über die Noten. Denn für ihn als Optimisten war klar: Von der Pandemie wollte er sich sich nicht den Schneid abkaufen lassen. „Meine Musik soll ein Gegenmittel zu Corona sein.“
Schon zwei Tage später, am 30. März letzten Jahres, kam die nächste Hoffnungsmelodie dazu. Wieder nach einer wort- und gedankenreichen Wanderung. Und als Kern dann immer mehr Kompositionen nach solchen Spaziergängen aufs Papier gebracht hatte und er an Ostern vergangenen Jahres bei der „Hoffnungsfrohen Ostermelodie 7“angelangt war, entschloss er sich, diese kleinen Musikstücke zu verschenken. Seine Hoffnungsmelodien sollten Hoffnung verbreiten. Sollten anderen Menschen Mut machen, frei nach dem Heinrichheine-satz: „Wo Worte aufhören, beginnt die Musik.“
Inzwischen hat Martin Kern 40 Hoffnungsmelodien geschrieben. In Dur und in Moll, in heiterem und in melancholischem Duktus, mal schnell und mal getragen. Die letzte entstand am Weihnachtsfest und trägt das Datum 25. 12. 2020. Längst hatte er die Durchnummerierung aufgegeben und sich Titel einfallen lassen. Zum Finale notierte er einen „Fackeltanz“, ein quirliges Stück in a-moll, das zwischen Zweivierteltakt und Dreivierteltakt wechselt und fanfarenartig endet.
Nun möchte Kern seine 40 Kompositionen unter die Leute bringen. Dass dies funktioniert, hat er schon im vergangenen Frühjahr erfahren, als mehrere Dutzend Musikerinnen und Musiker seine Noten anforderten, nachdem unsere Zeitung über die ersten Stücke berichtet hatte. In zwei Bänden sollen die Kompositionen erscheinen, natürlich unter dem Namen „Hoffnungsmelodien“. Einen Grafiker hat Kern schon mit dem Gestalten der beiden Hefte beauftragt. Bald nach Ostern sollen sie zum Verkauf angeboten werden; 24,90 Euro werden sie kosten. Neben den Noten gibt es auch Fotos, die Martin Kern gemacht hat.
Einen Gewinn möchte der 64-Jährige aus dem Projekt aber nicht schlagen. Der Reinerlös nach Abzug der Kosten wird Kern der Kartei der Not spenden, dem Leserhilfswerk unserer Zeitung. Damit Menschen, die (nicht nur wegen der Corona-krise) in Bedrängnis
geraten sind, ein wenig Trost und Hilfe erhalten.
All jene, die Martin Kerns Noten kaufen, sollen Trost in der Musik finden. Und gemeinsam spielen. Der Komponist, der bisher rund 1200 Stücke schrieb, hat die Melodien nämlich mit einer zweiten, manchmal auch mit einer dritten Stimme kombiniert und eine Begleitung mit Bass und Harmonietönen inklusive Akkordsymbolen arrangiert. So können musikalische Familien die Hoffnungsmelodien coronakonform spielen, später, wenn die Regeln gelockert werden, auch kleinere und größere Gruppen.
Ob das eine Saitenmusik ist, ein Bläserensemble mit Klarinetten, oder eines mit Trompeten und Flügelhörnern, Posaunen und Tenorhörnern sowie einer Tuba als Bassfundament, ist ganz egal. Kerns Musik klingt so oder so gut. Mal könnten die Polkas, Walzer und Märschlein zum Repertoire einer kleinen Blaskapelle oder einer Stubenmusik im Allgäuer Stil passen, mal hört sie sich nach Ethno- und Weltmusik an. Manche Stücke sind einfach zu spielen, manche haben es technisch in sich, vor allem im zweiten Teil der Sammlung, der ab dem Sommer entstand.
Damals besuchten die Kerns ihre Söhne, gingen zum Wandern in die Schweizer Berge, machten Urlaub in der Toscana. Nun heißen die Hoffnungsmelodien „Weisshornblick auf Chur“, „An der schönen wilden Isar“oder „Polca toscana speciale 2020“. Da sprudeln auch mal Sechzehntelnoten, Synkopen mischen den Rhythmus auf. Besonders freut Kern das 1898 von Alberto Pestalozza komponierte Volkslied „Ciribiribin“, das er in Italien entdeckte und in Lucca (bei Pisa) zum zweistimmigen Stück arrangierte.
Ein „Best-of“der 40 Stücke soll bald auch auf CD eingespielt werden – aber natürlich erst, wenn das Proben in Ensembles wieder erlaubt ist. Vielleicht ist dann auch Martin Kerber dabei. Der Oberallgäuer Musiker sei ihm „ein ganz wichtiger Wegbegleiter“gewesen in diesem Corona-jahr, sagt
Kern. Kerber hat mit ihm die fertigen Stücke immer wieder durchgespielt, um sie auszutesten und um Fehler zu finden.
Schwere Geburten waren die Hoffnungsmelodien nicht. „Wenn ich hier sitze, fällt mir immer was ein“, sagt Kern am Tisch im Musikzimmer seines Buchenberger Einfamilienhauses. Er lässt einfach seinen Gedanken freien Lauf, und die Finger setzen das – fast immer – in Musik um. „Ich brauche dazu bloß Muße und Ruhe. Dann wird die Zeit zeitlos.“Dabei erweise sich die Zither, die ja kaum noch jemand spielt, als ideales Komponierinstrument. Schließlich lassen sich mit den zehn Fingern mehrstimmige Melodien und die Begleitung gleichzeitig erzeugen. Im Gegensatz zu manchen Kollegen, die wegen Corona in eine Schaffenskrise geraten, geht dem Buchenberger Musikpädagogen die Energie und Kreativität nicht aus. „Ich bin ein psychisch stabiler Mensch“, sagt Kern. Einer halt, der Hoffnungsmelodien erfinden kann.
Wer Hoffnungsmelodien bei Martin Kern bestellen möchte, kann dies telefonisch unter der Rufnummer 08378 / 360 oder per E-mail an musikschulekern@hotmail.com tun.