Frauen-netzwerk Bora gibt nicht klein bei
Das Landratsamt Ravensburg weigert sich zunächst, den Förderantrag anzunehmen
- „Politik ist eine viel zu ernste Sache, als dass man sie allein den Männern überlassen könnte.“Zum internationalen Frauentag und kurz vor der Landtagswahl hat ein Video-clip mit dieser Botschaft Frauen dazu eingeladen, in der Politik mitzumischen. Womit die Initiatorinnen nicht gerechnet hatten: Dass es so schwierig werden würde, dafür finanzielle Unterstützung zu bekommen. Denn Landrat Harald Sievers hat zunächst verhindert, dass der Antrag auf Fördergelder dem zuständigen Ausschuss zur Bewilligung vorgelegt wird. Wie es den Frauen trotzdem gelungen ist, ihren Antrag zu stellen, und wie es mit dem Videoclip und seiner Förderung dann doch geklappt hat.
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“So steht es im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Das funktioniert aber nur, wenn der Frauenanteil in Gemeinde- und Kreisräten dem Frauenanteil in der Bevölkerung entspricht, findet Carmen Kremer. Die Kreisrätin hätte gern mehr Kolleginnen in ihrem Gremium. Derzeit beträgt der Frauenanteil im Kreistag nicht einmal 20 Prozent. Deshalb engagiert sich Kremer bei Bora, einem
Netzwerk von mehr als 70 kommunalpolitisch aktiven Frauen aus dem Landkreis Ravensburg und dem Bodenseekreis.
Die Bora-frauen setzen sich parteiübergreifend und überregional für mehr politische Teilhabe von Frauen ein. In Zeiten der Corona-pandemie wollen sie einen Video-clip über die sozialen Medien verbreiten. Für den Kurzfilm will die Frauen-initiative Fördermittel aus dem Programm „Demokratie leben“des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend beantragen. Das Programm fördert zivilgesellschaftliches Engagement für ein vielfältiges und demokratisches Miteinander. Der Landkreis Ravensburg verwaltet für „Demokratie leben“einen
Aktionsfond, der in diesem Jahr 60 000 Euro zu vergeben hat. „Sie können jederzeit einen Antrag für den Aktionsfond stellen“, heißt es auf der Homepage des Landkreises. „Der Begleitausschuss entscheidet dreimal jährlich über die Anträge.“
Mitte Dezember schickt der Awo-kreisverband Bodenseeoberschwaben im Auftrag der Boranetzwerk-frauen einen Antrag auf Fördermittel ans Landratsamt. Dort wird der Antrag jedoch nicht angenommen und also auch nicht dem Begleitausschuss zur Entscheidung vorgelegt. Denn Landrat Sievers findet es „zweifelhaft“, ob der Videoclip „im engen zeitlichen Kontext von zwei Wahlen mit öffentlichen Mitteln unterstützt werden darf.“Er fürchtet offenbar, dass die Aktion als Wahlbeeinflussung gewertet wird. Aus seiner Sicht ist es bis zur Bundestagswahl am 26. September nicht zulässig, den Videoclip aus Mitteln des Bundesprogramms „Demokratie leben“zu fördern.
Der Landrat holt beim Regierungspräsidium eine Stellungnahme ein. Die kommt Mitte Januar. Darin heißt es: „Beantragt wird … die staatliche Förderung eines Projektes, durch das die Wählerinnen und Wähler bei den anstehenden Parlamentswahlen motiviert werden sollen, vermehrt Frauen zu wählen, was umgekehrt die Folge hätte, dass weniger Männer in die Parlamente gewählt würden.“Das Regierungspräsidium stellt fest, dass „der gestellte Förderantrag letztlich auf eine staatliche Beeinflussung des Wählerverhaltens im Sinne der Geschlechterparität abzielt.“Sein Fazit: „Die beantragte Förderung des Projektes kann aus rechtlichen Gründen nicht befürwortet werden.“
Daraufhin schreibt Landrat Sievers an die Projekt-initiatorinnen: „Ich hoffe auf Ihr Verständnis, dass wir deshalb den Förderantrag nicht dem Begleitausschuss vorlegen können.“Kreisrätin Kremer hat dafür überhaupt kein Verständnis. „Da stehen mir die Haare zu Berge“, sagt sie. Ihrer Ansicht nach ist es nicht Aufgabe des Landrats, die Anträge auf Fördermittel von „Demokratie leben“vorzusortieren. Und nur diejenigen an den Ausschuss weiterzureichen, die der Landrat für förderfähig hält. Inzwischen drängt für die Bora-frauen die Zeit. Also starten sie auf eigenes Risiko: Sie engagieren Schauspielerin Jutta Klawuhn und Regisseurin Hannah Rech, beide vom Theater Ravensburg. Mit ihnen zusammen erarbeiten Kommunalpolitikerinnen aus verschiedenen Parteien das Drehbuch und setzen das Projekt um. Mitte Februar wird der 80 Sekunden lange Videoclip fertig – rechtzeitig zum internationalen Frauentag am 8. März und zur badenwürttembergischen Landtagswahl am 14. März. „Hinterher hätte es keinen Sinn mehr gehabt“, sagt Kreisrätin Kremer. „
Nebenher bleiben die Frauen bei der Fördersache am Ball. Sie können sich nicht vorstellen, dass es rechtens ist, wie der Landrat mit ihrem Antrag umgeht. Also wenden sie sich an den Deutschen Juristinnenbund. Dessen Einschätzung: „Es besteht kein Anlass, den Projektantrag nicht dem Begleitausschuss vorzulegen.“Die Argumentation von Landkreis und Regierungspräsidium sei „abwegig und schwer nachvollziehbar“. Auch der Landesfrauenrat setzt sich für das Projekt der Bora-frauen ein: Immerhin entscheide der Begleitausschuss über die Anträge und nicht der Landrat selbst. Der Landesfrauenrat ist die politische Interessenvertretung von über 50 landesweit aktiven Frauenorganisationen und damit die größte Frauenlobby Baden-württembergs.
Letztlich setzen die Frauen sich durch: Der Antrag wird nun doch dem Ausschuss vorgelegt. Und der bewilligt das beantragte Fördergeld. Auch das Landratsamt signalisiert im Nachhinein Zustimmung. Pressesprecherin Nussbaumer schreibt auf Nachfrage der SZ: „Der Videoclip ist, so wie er jetzt umgesetzt ist, sehr gut. Deshalb freut sich Herr Sievers über das Votum des Begleitausschusses.“Auf die Sz-frage, ob es üblich sei, dass der Landrat persönlich die Anträge auf Demokratie-leben-fördermittel vorsortiert, teilt Nussbaumer mit: Die „verwaltungsmäßige Prüfung“von Anträgen auf Demokratieleben-fördermittel sei nicht Sache des Landrats. Zu seinem Eingreifen im konkreten Fall sei es gekommen, weil sich die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises, Sabine Fietz, mit Zweifeln an der Förderfähigkeit an ihn gewandt habe. Die Frauen vom Netzwerk Bora sind froh, dass es mit der Förderung ihres Videoclips nun doch noch geklappt hat. „Wir sind sehr zufrieden“, sagt Kreisrätin Kremer. „Wir Frauen hier haben mal gezeigt, dass es so nicht läuft und dass wir nicht klein beigeben.“
Der Videoclip „Frauen macht Politik“ist online zu sehen unter www.bora-frauenpolitik.de