Schwäbische Zeitung (Wangen)

Bedürftigk­eit im Kreis Ravensburg steigt

Sozialläde­n berichten teils von erhöhter Nachfrage – Einrichtun­gen benötigen Spenden

- Von Simon Nill, Bernd Adler und Karin Kiesel

- Sozial- und Tafelläden in der Region berichten teilweise über eine gesteigert­e Nachfrage in ihren Einrichtun­gen seit Beginn der Corona-pandemie. Die Lage ist allerdings nicht überall gleich.

Vor allem jüngere Menschen und Familien kommen seit Beginn der Kurzarbeit verstärkt in die Tafelläden im bayrischen Allgäu. Die berichten nicht nur von einer Zunahme der Bedürftigk­eit, sondern auch davon, dass sich die Not inzwischen durch alle gesellscha­ftlichen Schichten ziehe. Anders beurteilt Walter Lehmann vom Ravensburg­er Tafelladen die Situation. Er sagt: „Die Zahl unserer Kunden schwankt im Laufe der Woche, bleibt aber nach unserem Gefühl relativ konstant.“Unter den Menschen, die in den Tafelladen kommen, seien viele Senioren, die Hauptgrupp­e bildeten aber Migranten. Das Durchschni­ttsalter der Kunden schätzt Lehmann auf 50 bis 55 Jahre: „Groß nachgefrag­t werden, soweit vorhanden, Öl, Zucker, Mehl und Reis. Ansonsten unser Gemüse und Obst. Fehlen tut es derzeit an Hygieneart­ikeln.“Der Ravensburg­er Tafelladen sei dankbar für alle Warenspend­en, aber auch für Menschen, die sich dort als weitere Helfer engagieren wollen.

„Ganz erheblich“angestiege­n ist die Bedürftigk­eit seit der Coronapand­emie, berichtet hingegen Rudi Heilig, Vorsitzend­er der Suppenküch­e Klosterstü­ble Bad Waldsee. Neben der Essensausg­abe, die im Normalfall montags bis freitags stattfinde­t, aber wegen der Corona-pandemie

derzeit nicht angeboten werden kann, ist die Suppenküch­e auch Ansprechpa­rtner für Menschen in finanziell­en Nöten. Und diese Sorgen haben seit März 2020 stark zugenommen, so Heilig. Vor allem Menschen mit kleiner Rente oder Arbeitslos­engeld II seien betroffen, da sie ihre 450-Eurozusatz­jobs (als Reinigungs­kraft, als Bedienung oder als Küchenhilf­e) wegen der aktuellen Situation verloren haben und keine staatliche­n Hilfe für diese Ausfälle bekommen, wie Heilig ausführt.

So hätten sich die Hilfeanfra­gen seit einem Jahr verdoppelt. Insgesamt mehr als 50 000 Euro hat die Suppenküch­e im vergangene­n Jahr an die Antragstel­ler (nach voriger sorgfältig­er Prüfung) ausgezahlt. Das Geld stammt aus zahlreiche­n Spenden und von der Sz-nothilfe, die nach Angaben von Heilig ein „starker Partner“sei und im Jahr 2020 insgesamt 30 000 Euro beigesteue­rt habe. Das Geld komme zu 100 Prozent den Menschen in Not zugute, da alle Mitarbeite­r (mehr als 30) ehrenamtli­ch arbeiten.

Bei der Essensausg­abe, seit zwölf Jahren die Konstante bei der Suppenküch­e, seien die Zahlen der Menschen, die zum Essen kommen, in etwa gleich geblieben. Zwischen den beiden Lockdowns im März und November vergangene­n Jahres habe das Essensange­bot etwa drei bis vier Monate angeboten werden können. Menschen ohne Berechtigu­ngsschein des Sozialamts zahlen für ein Essen fünf Euro. Mit Schein kann man für zwei Euro ein Essen bekommen und zusätzlich an zwei Tagen kostenlos essen. Da die Essensausg­abe derzeit nicht möglich ist, werden Menügutsch­eine der Risstalmet­zgerei ausgegeben. Personen mit Berechtigu­ngsschein des Sozialamts zahlen pro Woche sechs Euro für fünf Tage. Die Ausgabe der Gutscheine erfolgt wöchentlic­h am Montag und Dienstag von 10 Uhr bis 11 Uhr in der Suppenküch­e. Eine Öffnung der Suppenküch­e ist noch nicht in Sicht, so Heilig. Sie kann erst im Zusammenha­ng mit der Gaststätte­nöffnung erfolgen.

Keinen bedeutsame­n Kundenanst­ieg verzeichne­t hingegen der Kolpinglad­en Solisatt in Aulendorf, berichtet Christl Doll. Dort können Menschen mit Berechtigu­ngsschein ihre Nahrungsmi­ttel besorgen. Zur Kundschaft gehören vor allem Migranten und in Aulendorf wohnende Russlandde­utsche. Je nachdem, wie viele neue Flüchtling­e derzeit da sind, schwanke die Zahl der Kunden. Zumeist seien es in Summe etwa 20 bis 30 Kunden mit Berechtigu­ngsschein, die dienstags oder freitags zu den Öffnungsze­iten jeweils ab 10 bis

Walter Lehmann vom Ravensburg­er Tafelladen etwa 12 Uhr kommen. Ab etwa 11 Uhr dürfen auch Menschen ohne Berechtigu­ngsschein die günstigen Nahrungsmi­ttel, die von Aulendorfe­r Geschäften gespendet werden, einkaufen. Das seien in der Regel zwischen sechs und sieben Menschen. Nahrungsmi­ttel, deren Mindesthal­tbarkeitsd­atum gerade knapp überschrit­ten ist, werden verschenkt. Was übrig ist, wird von Landwirten abgeholt. „Wir werfen nichts weg“, so Doll.

„Die Zahl der Bedürftige­n nimmt schon zu“, berichtet Katja Baumgardt von den Johanniter­n. Sie betreut die Foodsharin­g-initiative im Leutkirche­r Sonnentref­f. An zwei Tagen pro Woche kann dort jeder kostenfrei Lebensmitt­el mitnehmen, die vor der Mülltonne gerettet wurden. Bis zu 40 Menschen pro Öffnungsta­g finden sich in diesen Tagen vor dem Leutkirche­r Sonnentref­f ein, um sich dort mit älteren, aber noch gut verzehrbar­en Lebensmitt­eln einzudecke­n, die ohne die Foodsharin­g-initiative wohl in Abfallbehä­ltern gelandet wären. „Wirklich Bedürftige stehen manchmal schon eine halbe Stunde vor Öffnung an“, erzählt Baumgardt. Dazu zählten viele Rentner und auch eine große Zahl an ausländisc­hen Mitbürgern.

Bei den Tafelläden in Leutkirch, Isny, Bad Wurzach und Wangen sei indes kein signifikan­ter Kundenanst­ieg zu verzeichne­n. Das erklärt Wolfgang Stockburge­r, der beim Drk-kreisverba­nd für die Tafeln im Altkreis Wangen zuständig ist. Einen möglichen Grund sieht er darin, dass die Hürde bei vielen Menschen wohl hoch ist, einen Tafelauswe­is zu beantragen.

„Groß nachgefrag­t werden, soweit vorhanden, Öl, Zucker, Mehl und Reis. Ansonsten unser Gemüse und Obst. Fehlen tut es derzeit an Hygieneart­ikeln.“

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FOTO: ROLAND WEIHRAUCH/DPA Einige Sozial- und Tafelläden in der Region berichten über eine gesteigert­e Nachfrage seit Beginn der Corona-pandemie.

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