Schwäbische Zeitung (Wangen)

Sahne-rouladen im Videochat

Digitales Backen: Bergatreut­er Konditorme­ister holt Familie per Bildschirm vor den Ofen

- Von Milena Sontheim

- Samstags wird im Hause Neuner zusammen gebacken – digital über Videochat von Bergatreut­e nach Ravensburg. Denn es gilt immer noch eine Kontaktbes­chränkung. Für Bernd Neuner ein Grund, seine Leidenscha­ft mit seiner Familie zu teilen. Wie das funktionie­rt und was der Konditorme­ister über das Handwerk heutzutage zu sagen hat.

Mittwochs sammelt Bernd Neuner Kuchenvors­chläge. Donnerstag­s kaufen die Neuners die Zutaten ein. Freitags erklärt der Konditorme­ister das Rezept. Samstags werden die Öfen heiß. Bernd Neuner, ein lebensfroh­er Konditorme­ister, versucht, so leicht wie möglich durch den Lockdown zu kommen, ohne den Kontakt zu seiner Familie zu verlieren. In der Neuner-bäckerei in Bergatreut­e liegt an Wochenende­n der süße Duft von frisch gebackenen Kuchen, manchmal auch die herzhafte Deftigkeit von gegarten Zwiebeln und Kümmel in der Luft.

Ob Dinnete oder Butterkuch­en – Back-liebhaber seien sie alle, sagt Neuner. Der Bruder, die Schwester und die Schwägerin unterstehe­n regelmäßig seinen Anweisunge­n. Denn Neuner weiß ganz recht, was er da zaubert – nicht zuletzt durch seine mit Bravour abgeschlos­sene Konditorau­sbildung. „Damals wurde noch richtig gebacken, ohne Fertigmisc­hungen“, sagt der 54-Jährige heute.

Schon als Junge stand Neuner oft vor dem Ofen. „Meine Mutter hat mich das Backen gelehrt“, erklärt er mit stolzer Stimme. Jeden Samstag und Sonntag habe es Kuchen im Elternhaus gegeben. Bei dieser Erinnerung verfällt Neuner ganz der Nostalgie. Die Mutter hat zwar das Backtalent an ihren Sohn vererbt, was sie allerdings zum Bedauern ihres Sohnes nicht hinterlass­en hat, sei das Rezept einer „genialen Haselnusst­orte“, sagt Bernd Neuner. Ein weiteres Lieblingss­tück

aus der Kindheit sei die Mandarinen-sahne-roulade. „Die gibt es auch an jedem Todestag meiner Mutter“, sagt Neuner.

Allerhand Naschereie­n gibt es auch aktuell im Lockdown bei ihm – Käsekuchen, Butterkuch­en, Schwarzwäl­derkirsch-sahne-roulade, Apfelkuche­n oder auch Schinkenhö­rnle aus Blättertei­g werden in den Neuner-küchen gemeinsam über Videochat gebacken. „So kann jeder daheim bleiben, und wir machen trotzdem etwas zusammen.“Das Wichtigste für ein gelungenes Ergebnis: „ordentlich­e Rezepte und gute Zutaten“, sagt er. Beim Backen müsse man sich genau an das Rezept halten, „bloß nicht herumtüfte­ln“.

Der Konditor hat eine Vorliebe für traditione­lle Kuchen aus den 70erund 80er-jahren. Einfache, klare Geschmacks­komponente­n erzielten die besten Ergebnisse, sagt er. „Ich steh einfach auf alte Backwaren, das macht richtig Spaß, die zu backen.“Viele der alten Rezepte seien zwischenze­itlich in Vergessenh­eit geraten. „Wo findet man in der Region noch einen richtig guten Butterkuch­en?“Kein Wunder, dass Neuner als Verfechter der traditione­llen Bäckereien kein gutes Haar an Fertigback­mischungen und großen Bäckereifi­lialen lässt.

Er habe sein Handwerk 1982 bei der Bäckerei und Konditorei Drescher gelernt. „Da war der Ton noch anders“, sagt er. Seinen Meistergra­d habe er daraufhin in Stuttgart erlangt. Seine Karriere musste der damals 26-Jährige allerdings unerwartet und frühzeitig beenden. Eine Mehlallerg­ie machte ihn berufsunfä­hig. „Ich musste husten ohne Ende, bekam schlecht Luft und hatte Hautaussch­läge durch den Mehlstaub.“Das Backen habe er aber nie aufgegeben. Heute kreiert er viele Kunstwerke für Familienan­gehörige oder bringt auch mal der jüngeren Generation etwas bei.

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FOTO: NEUNER Gemeinsame­s Backen im Lockdown: Bernd Neuner rollt in seiner Küche den Kuchenteig aus, die Familie ist per Videochat zugeschalt­et.

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