„Künstler weinen am Telefon“
Wie sich die momentane Pandemiesituation auf die Kulturbranche auswirkt
- Die Vorhänge sind zu: Das kulturelle Leben steht nun schon lange Zeit still. Die „Schwäbische Zeitung“hat bei Kulturschaffenden in der Region nachgefragt, welche Folgen die Schließungen für den Kulturbetrieb haben.
Maria Neumann vom Joy-kleinkunstprogramm beschreibt ihre momentane Arbeitssituation so: „Ich kann nichts planen und musste dieses Jahr schon 18 Veranstaltungen absagen. Es ist deprimierend, man darf die Lust nicht verlieren. Wir müssen alle schauen, dass wir wieder die Kurve kriegen, damit es weitergehen kann.“
Sie ist sich sicher, dass die Kulturlandschaft nach der Corona-pandemie „total verändert“aussehen wird. „Viele Künstler wird es nicht mehr geben, weil sie sich umorientieren mussten. Der Tod der Kulturvielfalt droht.“Das Problem sei zudem, dass kein Streifen am Horizont sichtbar sei.
„Ich habe die Hoffnung, dass wir ab Juni Open Air-veranstaltungen machen dürfen, sonst wird es wohl nichts mehr geben bis Jahresende, schätze ich. Wenn es so weitergeht, sieht es schlecht aus. Wir wurden von der Regierung im Stich gelassen“, sagt Neumann.
Viele Künstler seien schon aus der Branche ausgestiegen und gingen anderen Berufen nach. Einige Künstler mussten schon aus ihren Wohnungen ausziehen, da sie die Miete nicht mehr bezahlen konnten. „Da ist eine große Not“, betont Neumann.
Dem Publikum fehle das kulturelle Angebot. „Es gibt ganz viele, die anrufen und nach Terminen fragen. Manche haben noch nicht registriert, dass wir keine Veranstaltungen mehr durchführen dürfen.“
Die Zukunft der Kultur wirke sich auf die ganze Stadt aus: „Die Stadt profitiert von den Kulturveranstaltungen, die wir anbieten, denn viele gehen vor dem Besuch bei uns noch etwas essen, einkaufen oder kommen extra nach Wangen mit Übernachtung für bestimmte Künstler“, so Neumann. Es sei jetzt ein Perspektivenwechsel nötig – weg von der Verhinderungskultur zur Ermöglichungskultur.
Die Ehrenamtlichen der Initiative „Musik schenkt Lächeln“musizieren bei der „Tour des Lächelns“für und mit Kindern, die sich in einer prekären Lebenslage befinden oder krank sind, um diesen ein freudiges Erlebnis zu schenken. Die Tour musste letztes Jahr coronabedingt ausfallen.
„Unser letzter Auftritt war Anfang Oktober auf einem Benefizkonzert zugunsten der deutschen Kinderkrebsstiftung. Es fehlt sehr viel: der Kontakt zu den Kindern, Einrichtungen und anderen Mitgliedern“, meint die Vorsitzende Tanja Gray aus Kißlegg.
Für die Tour letztes Jahr hat sich der Verein eine Alternative ausgedacht: die „Show des Lächelns“, ein Video mit zusammengefügten Auftritten
der Musiker. „Momentan arbeiten wir an einem Konzept, dass wir in abgespeckterem Rahmen auf Tour gehen können. Die Tour ist unser absolutes Ziel. Vielleicht können wir im Sommer im Innenhof spielen und die Kinder schauen vom Fenster aus zu“, hofft Gray. Die Musiker erstellen zurzeit auch ein Liederhörspiel mit Mitmachbuch als Alternative zum Liveprogramm.
Das Ehrenamt bedeutet der Altenpflegerin viel: „Es erdet wahnsinnig, wenn man denkt, mir geht es so schlecht und dann sieht man die Kinder, die mehr als zufrieden und glücklich sind, obwohl es ihnen viel schlechter geht.“
Viele Einrichtungen würden nach neuen Veranstaltungen fragen: „Die Einrichtungen schreiben uns regelmäßig, wann wir wieder kommen, und auch auf unsere ’Show des Lächelns’ haben wir viel Feedback bekommen.“
Auch beim Kulturamt in Wangen hat sich die Arbeitssituation gravierend verändert: Statt Veranstaltungen zu organisieren, werden jetzt Veranstaltungen verschoben, Verordnungen gelesen und Fördergelder
beantragt, berichtet die städtische Kulturmanagerin Susanne Hertenberger.
„Wir beraten Künstler und Vereine jetzt, wo es welche Förderanträge gibt und sind auch oft ein bisschen Seelsorge geworden. Die finanziellen Probleme rücken immer mehr in den Hintergrund, die Seele ist jetzt stärker betroffen. Teilweise weinen die Künstler am Telefon, weil sie seit einem Jahr nicht mehr auftreten können. Ihr Beruf ist ihr Lebensinhalt, eine Herzensangelegenheit“, so die Kulturmanagerin.
Manche Kulturschaffenden würden die Maßnahmen verstehen, aber es gebe immer mehr Menschen, denen es reiche. „Viele Künstler und Kulturschaffende sagen, die Politik denkt an die Wirtschaft, für große Unternehmen gibt es kaum Vorschriften. Aber an Künstler und an Familien wird nicht gedacht“, schildert die Veranstaltungsmanagerin.
Die Kultur habe keine Lobby und „muss schreien, bevor es richtig schlimm wird“. Die Proteste hätten vor allem digital stattgefunden, an Straßenprotesten hätten die Künstler nicht teilgenommen, um nicht in
Verbindung mit der rechten Szene und Querdenkern gebracht zu werden, so ihr Eindruck.
Die Baden-württembergischen Literaturtage mussten letztes Jahr wegen steigender Infektionszahlen abgebrochen werden. Die Stadt will einzelne Veranstaltungen nach dem Lockdown nachholen. Das Programm für die nächste Saison ist bereits fertig. Hertenberger hofft auf ein Freilichtprogramm im Juli und August.
Die Kulturmanagerin ist sehr dankbar für den Stellenwert der Kultur in der Stadt: „Wir müssen keine schwarzen Zahlen schreiben, wir bekommen Unterstützung und können deshalb so planen wie bisher.“Sie hofft, dass die Krise langfistig nicht zu viele Auswirkungen auf den Kulturbetrieb haben wird. Vor allem für Chöre und Vereine sei es gerade schwierig, die Mitglieder zu halten.
Im zweiten Teil der Kulturserie wird es um die momentane Situation der Opernbühne, des Altstadtund Museumsvereins und des Puppentheaters gehen.