Vom Arbeitslosen zum glücklichen Tellerwäscher
Markus Gessler war arbeitslos und wog mehr als 200 Kilogramm – Eine 1,50-Euro-maßnahme rettet ihn
- Lindau ist als schöne Touristenstadt bekannt, doch auch hier sind Menschen von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen, deren Geschichten bewegen. Markus Gessler war jahrelang erwerbslos und wog zwischenzeitlich über 200 Kilogramm. Ein 1,50-Euro-job beim Unternehmen Chance war sein Start in ein neues Leben.
Markus Gessler hat kein Problem damit über seine Vergangenheit zu reden. Eine Vergangenheit mit dunklen Phasen, in denen er kaum das Haus verließ, dafür umso mehr aß. Der 43-Jährige spricht über seine Vergangenheit, weil er sich rausgekämpft hat und jetzt zufrieden ist mit seinem Leben.
Gesslers Geschichte beginnt 1999, als er seine Lehre als Metzger beendet. Damals bietet sich ihm keine Perspektive in seinem gelernten Handwerk durchzustarten. Nach einiger Zeit fängt er als Spülkraft an, erst in einem Hotel, dann in einem Seniorenheim. Als das ihm 2015 kündigt, fällt Markus Gessler in ein Loch. „In dieser Zeit war meine Psyche ganz schön belastet, und ich habe mich hängen lassen“, blickt Gessler zurück. Damals geht er kaum noch aus dem Haus, beginnt immer mehr zu essen. Irgendwann wiegt Markus Gessler über 200 Kilogramm und muss operiert werden – die Ärzte verkleinern seinen Magen. Ein Wendepunkt.
„Wenn ich jetzt zurück denke, kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, einen ganzen Tag zu Hause zu bleiben“, sagt Markus Gessler heute. Nach der Operation geht es für einige Monate in die Reha, dort bekommt er unter anderem Unterstützung von einem Psychologen. Die Gespräche helfen, er findet seinen Lebensmut wieder und die Lust an der Bewegung. Mittlerweile fährt Markus Gessler die meisten Wege mit dem Fahrrad, am Wochenende engagiert er sich bei „We Care Lindau“und führt Hunde Gassi, deren Besitzer dazu nicht in der Lage sind.
Den nächste Schritt zu einem normalen Leben nimmt Gessler Anfang 2018, als er ein Angebot des Jobcenters akzeptiert. Er arbeitet in einem Tierheim, verdient dort zwar kaum etwas, „aber ich dachte mir, dann bist du wenigstens ein paar Stunden sinnvoll beschäftigt.“Vom Tierheim wechselt Markus Gessler 2019 in die nächste Maßnahme des Jobcenters. Jetzt putzt er für das Unternehmen Chance Verkaufsräume und unterstützt den Transportdienst.
„Mir ist Herr Gessler direkt aufgefallen, der war immer aktiv“, sagt Claudia Mayer, Geschäftsführerin des Unternehmens Chance. Durch die Arbeit in diesem sozialen Beschäftigungsprojekt sollen Menschen wie Markus Gessler wieder Anschluss finden. Es sei nicht immer leicht, diese Leute zu motivieren, sagt Mayer, bei Gessler sei das jedoch kein Problem gewesen. „Rumstehen gibt es bei mir nicht, es gibt immer etwas zum Schaffen“, sagt er über sich selbst.
Während sich Gessler im Unternehmen Chance wieder an einen Arbeitsalltag gewöhnt, geht ein wichtiger Mitarbeiter Guido Gierers in Rente. Gierer ist Chef von Metzgerei und Partyservice Schmieger in Aeschach und braucht Ende 2019 dringend eine neue Spülkraft. „Wir hatten einige Leute zum Probearbeiten da, das hat aber nicht funktioniert“, sagt Gierer. Er spricht Claudia Mayer an, die weiß sofort, wer zur Jobbeschreibung Gierers passt. Markus Gessler darf ausgerechnet in der Weihnachtszeit zur Probearbeit, die wohl anstrengendsten Wochen im Kalender der Partyservice-branche. Er habe es gut gemacht, sagt Guido Gierer heute – im Januar 2020 stellt er Gessler ein.
Gierer weiß, dass seine Spülkraft eigentlich eine Ausbildung zum Metzger beendet hat. Manchmal hängt Gessler auch Würste auf oder bringt Produkte in die Auslage, „als Metzger wird er aber nicht mehr arbeiten“, sagt Gierer. „Er war einfach zu lange aus dem Beruf raus und kennt sich nicht mehr mit der Technik aus.“Markus Gessler nickt, er sieht das auch so.
Für Claudia Mayer ist es trotzdem eine Erfolgsgeschichte. Sie weiß, wie schwer sich Menschen tun, ihr Leben nach Krankheit, Sucht oder Strafvollzug wieder in die richtige Bahn zu lenken. „Wenn man einmal fällt, ist man ganz schnell aus der Leistungsgesellschaft raus und braucht Hilfe wieder reinzukommen.“Claudia Mayer beschäftigt 19 feste Mitarbeiter, die sich teilweise aus der Arbeitslosigkeit über eine Maßnahme des Jobcenters bis zu ihr in die Festanstellung gekämpft haben.
Dazu kommen zehn 1,50-Eurojobber, wie Markus Gessler einer war. Dann noch vier Personen, die Sozialstunden leisten und immer mal wieder Geflüchtete, die eine Beschäftigung brauchen. „Wir sind im Landkreis schon privilegiert, die Arbeitslosigkeit ist nicht sehr hoch, dennoch gibt es Menschen, die unsere Hilfe brauchen.“
Klar sei aber auch, dass einige ihrer Arbeitskräfte eher widerwillig kommen, gesteht Mayer: „Viele sagen: Für 1,50 Euro in der Stunde arbeite ich doch nicht.“Sie findet, das ist zu kurz gedacht. Zu den 180 Euro, die monatlich zusammenkommen, addieren sich laut Mayer andere Leistungen dazu. Mache man sich das bewusst, seien die 1,50 Euro pro Stunde gar nicht so wenig. Außerdem gehe es im Unternehmen Chance in erster Linie um den geschützten Rahmen, in dem Langzeitarbeitslose wieder an einen geregelten Tagesablauf und soziale Strukturen herangeführt werden.
Seit der Einführung der 1,50- beziehungsweise 1-Euro-jobs 2005, hat die Zahl dieser Maßnahmen deutschlandweit wieder stark abgenommen. Das Ansehen dieser Programme habe darunter gelitten, dass die Bedingungen nicht eingehalten wurden, sagt Tobias Bevc, Abteilungsleiter für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik beim DGB Bayern. Beispielsweise darf die 1-Euro-stelle keinen existierenden Arbeitsplatz ersetzen, die Arbeit muss im öffentlichen Interesse sein und zeitlich begrenzt. „Das alles wurde aber zu wenig kontrolliert und dann eben ausgenutzt“, so Bevc. Drei von vier Befragten, die bei so einer Maßnahme mitgemacht haben, hätten außerdem ausgesagt, dass ihnen der Job letztendlich nicht geholfen habe.
Für Gessler war die 1,50-Euromaßnahme genau das Richtig. Er sei immer gerne zur Arbeit im Tierheim und im Unternehmen Chance gegangen. Als Belastung habe er das nie wahrgenommen, sondern als Segen: „Ich hatte eher Angst vor dem Zeitpunkt, wenn die Maßnahme beim Unternehmen Chance ausläuft.“