„Das deckt nicht einmal meine Fahrtkosten“
Pianist Murat Parlak tritt seit 15 Jahren in Leutkirch auf – Wie er die Pandemie erlebt
- Seine Auftritte zählen zu den Höhepunkten beim jährlichen Altstadt-sommerfestival in Leutkirch: Seit nunmehr 15 Jahren ist der Pianist Murat Parlak fester Bestandteil des Events. Etliche Leutkircher lieben die Konzerte des Vollblutmusikers. Welche Verbindung der 45-Jährige, der mit seiner Familie in München lebt, mittlerweile zu Leutkirch hat und wie er mit der Corona-pandemie zurechtkommt, hat er im Gespräch mit Szredakteur Simon Nill verraten.
Herr Parlak, Sie treten seit 15 Jahren beim Altstadt-sommerfestival auf. Fühlen Sie sich mittlerweile ein bisschen als Leutkircher?
Ja, ich bin schon fast ein Leutkircher (lacht). Ein Wahl-leutkircher sozusagen. Ich glaube, ich bin in keiner Stadt so oft aufgetreten. Vor allem seit 15 Jahren ohne Unterbrechung. Die Leutkircher konnten zusehen, wie meine Haare grau wurden.
Warum kommen Sie denn immer wieder nach Leutkirch?
Ich verteile nicht gerne Honig. Aber ich habe allen Grund, Leutkirch zu loben. Ich bin dort immer sehr willkommen, das Publikum ist offen und sympathisch. Der zweite Donnerstag im August ist immer schon reserviert für den Auftritt beim Sommerfestival. Andere Anfragen für diesen Tag blocke ich im Vorfeld ab. Übrigens habe ich mich in meiner Jugendzeit ab und zu gerne mit Freunden in Leutkirch getroffen.
Rechnen Sie damit, dass Sie in diesem Jahr beim Sommerfestival spielen können?
Letztes Jahr hat es trotz Corona-pandemie auf dem Marktplatz gut geklappt. Ob es diesmal funktioniert, kann ich nicht beurteilen. Ich würde mich auf jeden Fall freuen, wieder Kunst machen zu dürfen.
Wann hatten Sie Ihren letzten Auftritt?
Das war im August 2020 in Locarno. Seither gab es nur noch ein kleines Hilfskonzert, das der Lions Club aus meiner Heimatstadt Kempten für mich organisiert hatte.
Wie fühlt sich ein Künstler, der so lange auf Konzerte verzichten musste?
Es ist wahnsinnig hart. Uns wird die ganze Arbeitsgrundlage weggenommen. Es ist finanziell, aber auch geistig schwierig. Ich übe jeden Tag am Klavier, kann aber die Früchte nicht nach außen tragen. Das ist eigentlich mein ganzes Hab und Gut.
Wie halten Sie sich finanziell über Wasser?
Ich lebe von Erspartem, von familiärer Hilfe und von Geld, das für mich gesammelt wurde – zum Beispiel vom Lions Club in Kempten. Von der finanziellen Unterstützung, die das Land Bayern versprochen hatte, habe ich fast nichts gesehen. Das ist ein wahrer bürokratischer Krieg. Ein Schlachtfeld, auf dem ich als Künstler eigentlich keine Chance habe. Die bayerische Regierung ist in dieser Hinsicht knallhart. Letztes Jahr habe ich einmal 2000 Euro bekommen. Aber das deckt ehrlich gesagt nicht einmal meine Fahrtkosten. Die Musik ist mittlerweile zweitrangig, es geht ums nackte Überleben.
Wie lange können Sie die finanzielle Notsituation noch durchhalten?
Wenn ich so gefragt werde: Eigentlich gar nicht mehr. Jeden Monat kann einmal das Auto oder die Waschmaschine kaputtgehen. Meine Ersparnisse will und kann ich eigentlich nicht komplett auf null herunterfahren.
Wie verbringen Sie Ihre unfreiwillig gewonnene Freizeit?
Ich hatte noch nie so viel Zeit mit meinen zwei kleinen Söhnen. Das ist der einzige Trost und einer der wenigen positiven Nebeneffekte der Pandemie. Außerdem lese ich viel, fahre Fahrrad und habe mittlerweile meine alten Schallplatten wieder herausgeholt. Generell ist gerade die Zeit des fruchtbaren Arbeitens, in der ich meine Klaviertechniken verfeinere.
Wie kann man sich Ihren Alltag in Vor-corona-zeiten vorstellen?
Ich war viel mit anderen Künstlern auf Tournee und manchmal die Hälfte des Jahres weg. Da sind einzelne Konzerte nicht mit eingerechnet. Als musikalischer Leiter am Stuttgarter Staatstheater war ich zeitweise quasi Tag und Nacht für alles da. Früher fand ich es geil, als Musiker ganz vielschichtig unterwegs zu sein. Das bedeutet aber Stress und eine Spaltung der Persönlichkeit. Als ich jünger war, habe ich fast jeden Auftritt angenommen. In Zukunft will ich nur noch bestimmte Sachen machen, die mir selber Spaß machen. Zum Beispiel der jährliche Auftritt in Leutkirch.