Schwäbische Zeitung (Wangen)

Wenn das Pflegeheim arm macht

Träger beklagen steigende Kosten – Warum sie von Minister Spahn enttäuscht sind

- Von Theresa Gnann

- Mehr als 2000 Euro zahlt ein Deutscher im Schnitt für seine Unterbring­ung in einem Pflegeheim. Besonders teuer ist es in Bayern und Baden-württember­g – Tendenz steigend. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) hatte deshalb angekündig­t, den Eigenantei­l von Pflegebedü­rftigen in Heimen zu deckeln. Inzwischen scheint klar: Die Reform wird so nicht kommen. Träger von Altenheime­n sind enttäuscht. Sie hatten sich von der Reform auch erhofft, ihre Pflegekräf­te besser bezahlen zu können und fordern jetzt eine Rückkehr zu den ursprüngli­chen Plänen.

Eigentlich hatte sich Minister Spahn in seiner Zeit als Bundesgesu­ndheitsmin­ister vor allem ein Thema vorgenomme­n: die Reform der Pflege. Doch mit dem Beginn der Corona-pandemie hatte Spahn plötzlich anderes zu tun. Gleichzeit­ig wurde deutlich, wie schlecht die Lage vieler Pflegekräf­te in deutschen Altenheime­n und Krankenhäu­sern ist. Im vergangene­n Herbst kündigte er schließlic­h an, Pflegekräf­te besser bezahlen und die Pflege zugleich bezahlbare­r machen zu wollen. In einem Entwurf zu einer Reform des Pflegegese­tzes schlug er unter anderem vor, die Eigenantei­le bei den Pflegekost­en für die Bewohner von Pflegeheim­en auf 700 Euro pro Monat und auf einen Zeitraum von 36 Monaten zu begrenzen. In Summe müsste ein Pflegebedü­rftiger dann maximal 25 000 Euro für seine stationäre Pflege zahlen. Dazu kommen Kosten für Unterkunft, Verpflegun­g und Investitio­nen.

400 000 Pflegebedü­rftige leben in Baden-württember­g. Bis 2050 wird die Zahl nach Angaben der Caritas um 93 Prozent steigen. Auch die Kosten für die Pflege steigen rasant. Wer etwa in einem baden-württember­gischen Pflegeheim lebt, zahlt im Schnitt dafür monatlich 2450 Euro. Dieser Eigenantei­l steigt jedes Jahr um rund 150 Euro. Bei Trägern der Altenhilfe stieß Spahn mit seinem Vorschlag deshalb zunächst auf Freude. „Wenn keine Reform kommt, werden wir in Baden-württember­g bei der Pflege spätestens in fünf Jahren einen Eigenantei­l haben, der in Richtung 4000 Euro geht“, sagt Alfons Maurer von der Paul-wilhelmvon-keppler-stiftung in Sindelfing­en, der gleichzeit­ig Sprecher des Netzwerks „Alter und Pflege“der Diözese Rottenburg-stuttgart ist. „Wer soll sich das noch leisten können?“Das Netzwerk, zu dem sich rund 70 katholisch­e Träger der Altenhilfe in

Württember­g zusammenge­schlossen haben, kämpft deshalb dafür, Pflegekost­en in Heimen bezahlbar und berechenba­r zu machen. „Wir brauchen unbedingt eine finanziell­e Entlastung der Pflegebedü­rftigen“, sagt Maurer. „Das ist die Voraussetz­ung für alle weiteren Reformen.“

Umso größer war für die Träger die Enttäuschu­ng, als im März die aktuelle Version von Spahns Reformplän­en auftauchte. Nun heißt es darin, dass Pflegebedü­rftige in vollstatio­nären Einrichtun­gen erst dann finanziell entlastet werden, wenn sie dort länger als zwölf Monate unterkomme­n. Konkret soll der Eigenantei­l, der für die reine Pflege anfällt, nach mehr als einem Jahr im Pflegeheim um 25 Prozent abgesenkt werden, nach mehr als zwei Jahren um die Hälfte und nach mehr als drei Jahren um 75 Prozent.

Aus Sicht des Netzwerks reicht das nicht aus, um pflegebedü­rftigen Menschen und ihren Angehörige­n die Sorge vor finanziell­er Überlastun­g zu nehmen. Aus ihrer Perspektiv­e muss deshalb zumindest der Eigenantei­l für die Pflege im Heim vom ersten Tag an begrenzt werden – so wie es noch im ersten Entwurf des Gesetzes vorgesehen war.

Auch Thomas Kalwitzki, Gerontolog­e der Universitä­t Bremen, kritisiert die neuen Pläne des Gesundheit­sministers. „Pflegebedü­rftige sollen ab dem vierten Jahr der Pflegebedü­rftigkeit ein Viertel des Eigenantei­ls selbst zahlen. Dadurch ist der Betrag unbestimmt hoch und er läuft unbestimmt lang“, erklärt er. „Wenn es so kommt und gleichzeit­ig das Mehrperson­al, das nötig ist, kommt, haben wir in drei Jahren wieder so viele Sozialhilf­eempfänger unter den Pflegebedü­rftigen wie heute. Dann sind wir keinen Schritt weiter.“

Aus Bayern kommen ähnliche Töne. Es brauche eine Deckelung des Eigenantei­ls, damit ordentlich­e Pflege nicht zum Luxusgut wird, sagt Tobias Utters vom Caritas-landesverb­and Bayern. Er weist außerdem darauf hin, dass die Pflegerefo­rm möglichst schnell umgesetzt werden soll. Eigentlich wollte Spahn die Reform noch in dieser Legislatur­periode auf den Weg bringen. Daraus scheint jedoch nichts mehr zu werden. „Um einen Kollaps des Pflegesyst­ems zu verhindern, muss das in der nächsten Regierung Priorität haben“, sagt Utters.

Anders sieht das Frank Höfle, Geschäftsf­ührer des Altenhilfe­zentrums Isny. Zwar findet auch er, dass Spahns Vorschlag vom vergangene­n Herbst, einen kalkulierb­aren Eigenantei­l einzuführe­n „richtig und wichtig“gewesen wäre, inzwischen habe er die Hoffnung auf eine zufriedens­tellende Pflegerefo­rm in dieser Legislatur­periode jedoch aufgegeben. „Am besten warten wir die Bundestags­wahl ab. Wenn dann eine Baden-württember­g-koalition kommt, sehe ich bessere Chancen, dass eine Reform zustandeko­mmt, die der Pflege wirklich dient.“

Bisher seien vor allem Hoffnungen geschürt worden, sagt er: In der Bevölkerun­g, dass Pflege endlich wieder bezahlbar wird und bei Trägern, dass sie aus dem Dilemma herauskomm­en, ihre Mitarbeite­r besser bezahlen und mehr Personal stellen können, ohne die Bewohner über Gebühr zu belasten. „Wir hatten große Hoffnung und dann kam der Stinkefing­er hinterher“, sagt er. „So kann Politik nicht funktionie­ren.“

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FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT/DPA Die Kosten für Pflegebedü­rftige und ihre Angehörige­n steigen. Eine Reform des Pflegegese­tzes sollte Abhilfe schaffen. Doch die Pläne haben sich geändert.

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