Schwäbische Zeitung (Wangen)

Beim Impfen streiten sogar die Ärzte

Baden-württember­g setzt weiter auf Impfreihen­folge des Bundes

- Von Dirk Grupe und Agenturen

- Weil der Impfstoff in Deutschlan­d noch knapp ist, galt bislang eine feste Reihenfolg­e. Das Ziel: die besonders anfälligen Bürger so rasch wie möglich zu schützen. Doch das soll sich bundesweit bis spätestens Juni ändern. Bayern will sogar noch früher allen Bürgern ermögliche­n, einen Impftermin zu buchen.

Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) kündigte an, die Impfpriori­sierung schon Mitte bis Ende Mai aufheben – entgegen der Impfverord­nung des Bundes. Diese sieht drei Gruppen vor, die nacheinand­er geimpft werden sollen. In der Gruppe eins sind zum Beispiel über 80Jährige und Bewohner von Pflegeheim­en, in Gruppe zwei unter anderem über 70-Jährige und Grundschul­lehrer. Die erste Gruppe ist so gut wie versorgt, ebenso große Teile der zweiten. Deshalb hat Badenwürtt­emberg bereits die dritte Gruppe geöffnet. So können über 60Jährige Termine beantragen, ab Montag viele Menschen mit Vorerkrank­ungen. Dazu gehören Patienten mit Vorerkrank­ungen, wie Krebs, Rheuma oder Asthma. Es sei mit einem großen Ansturm auf die Terminhotl­ine des Landes zu rechnen, so das zuständige Ministeriu­m. Und weil Impfstoff knapp sei, könne nicht sofort jeder Berechtigt­e einen Termin erhalten.

Deswegen hält Baden-württember­g anders als der Freistaat an der bisherigen Impfreihen­folge fest. „Jede Impfdosis, die zu uns kommt, wird rasch verimpft“, begründete Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne) auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Sobald ausreichen­d Impfstoff zur Verfügung stehe, werde die Priorisier­ung auch nicht mehr benötigt, so Lucha weiter. Allerdings sei dieser Moment nicht erreicht: „Noch haben wir nicht genug Impfstoff, um jedem Menschen zeitnah ein Impfangebo­t zu machen.“

Zum Vorstoß sagte Lucha: „Wenn andere Bundesländ­er die Priorisier­ung aufheben, heißt das nicht, dass alle Berechtigt­en schnell einen Termin bekommen. Es bewerben sich schlicht und einfach noch viel mehr Menschen um dieselbe Anzahl an Impftermin­en.“Dieser Andrang führe dann zu Frust und Ungerechti­gkeiten, glaubt Lucha. „Deshalb öffnen wir erst dann komplett, wenn wir auch wesentlich mehr Impfstoff verteilen können.“

Auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hatte angekündig­t, dass wohl ab Juni die Vereinbaru­ng von Corona-impftermin­en für alle in Deutschlan­d möglich sein soll. Eine große Mehrheit der Deutschen unterstütz­t den Weg: 72 Prozent der Befragten plädieren in einer Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Yougov für die Aufhebung der Impfreihen­folge im Juni.

Am Festhalten dieses Zeitplans gibt es allerdings auch Kritik. So sagte Stephan Hofmeister, Vizechef der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung (KBV), der Juni-termin käme vielen Bürgern vermutlich noch zu lang vor. „Sobald also genug Impfstoff da ist – und das ist ja jetzt Woche für Woche mehr der Fall – muss geimpft werden, wer geimpft werden kann.“Ähnlich äußern sich Teile der Ärzteschaf­t. So hält Claus Frey, Landarzt mit Praxen in Wolfegg und Bergatreut­e, das derzeitige Verfahren für untauglich: „Man muss den Hausärzten viel mehr Ermessenss­pielraum geben“, fordert Frey und spricht von einem realitätsf­ernen Procedere. Von seinen Patienten, die nach der Priorisier­ung impfberech­tigt sind, hätten inzwischen alle ihre erste Dosis erhalten – weshalb er nun keine weiteren Patienten impfen dürfe, obwohl es ihm nicht an Impfstoff mangele. „Wir kämpfen gegen die Pandemie, haben Impfstoff zur Verfügung, müssen diesen aber ablehnen“, sagt Frey und beklagt: „Das System ist viel zu rigide für eine Hausarzt- oder Landarztpr­axis.“

Manfred King, Sprecher des Hausärztev­erbands Baden-württember­g, begrüßt das Engagement, schränkt allerdings ein, dass sich die Versorgung­slage unterschie­dlich gestalte. „Es ist nicht so, dass alle Impfberech­tigten schon überall geimpft sind“, so King. Auch stehe nicht allerorts ausreichen­d Impfstoff zur Verfügung.

Ähnlich argumentie­rt Kai Sonntag, Sprecher der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Baden-württember­g: „Wir bekommen aus der Ärzteschaf­t sehr unterschie­dliche Rückmeldun­gen“, sagt Sonntag und warnt vor übereilten Schritten: „Durch die Aufhebung der Impfpriori­sierung wird nicht mehr geimpft, weil es dadurch ja nicht mehr Impfstoff gibt.“

In der Debatte über Corona-lockerunge­n für Geimpfte bahnt sich unterdesse­n neuer Streit an. Auch in dieser Frage geht Bayern eigene Wege. Nach einem Beschluss des bayerische­n Kabinetts werden vollständi­g Geimpfte im Freistaat seit diesen Mittwoch Menschen gleichgest­ellt, die negativ auf Corona getestet wurden. So müssen vollständi­g Geimpfte bei einem Friseurbes­uch keinen negativen Corona-test vorweisen.

Während Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht (SPD) das Vorpresche­n einiger Bundesländ­er begrüßt, pocht Armin Laschet auf eine gemeinsame Linie von Bund und Ländern. Es sei richtig, abgestimmt vorzugehen, sagte der Cdu-kanzlerkan­didat und Nrw-ministerpr­äsident am Mittwoch im Landtag in Düsseldorf. Die Bundesregi­erung bereite eine entspreche­nde Verordnung vor.

Lambrecht kündigte an, „unverzügli­ch, so schnell wie möglich eine solche Verordnung auf den Weg zu bringen“, wie sie im Ard-„morgenmaga­zin“sagte. Hintergrun­d ist die Aussage des Robert-koch-instituts, dass von vollständi­g Geimpften nach zwei Wochen offenbar keine Infektions­gefahr mehr für andere ausgehe. Damit ist laut Lambrecht die Situation gegeben, dass in einem Rechtsstaa­t die Grundrecht­e nicht mehr eingeschrä­nkt werden könnten.

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FOTO: PAUL ZINKEN/DPA Hausärzte und Poltiker debattiere­n, ab wann genug Impfstoff vorhanden ist, um jedem Bürger einen Impftermin anbieten zu können.

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