Vor der Prüfung steht die Testfrage
Neue Regeln für Abschlussprüfungen stellen vor allem die beruflichen Schulen im Südwesten vor schier unlösbare Probleme
- Alles auf Anfang: Seit Wochen bereiten sich Schüler und Schulleitungen in Baden-württemberg auf die bevorstehenden Abschlussprüfungen vor. Eine Woche vor Beginn der Prüfungszeit stehen nun die Regeln fest. Eine davon: Schulen müssen ihre Prüflinge auf verschiedene Räume aufteilen – je nachdem, ob sie sich auf das Coronavirus testen lassen oder nicht. Das ist zwar auch in Bayern so, dort bleibt zur Vorbereitung aber noch etwas mehr Zeit. Fassungslosigkeit herrscht vor allem an den beruflichen Schulen im Land. Was nun gilt und wo Probleme lauern.
Welche Vorgaben gibt es für die Abschlussprüfungen in Badenwürttemberg?
In einem Brief an die Schulen hat das Kultusministerium am Dienstag die Regeln verkündet und sie am Mittwoch veröffentlicht – sie gelten für die Prüfungen zum Abitur und zur Mittleren Reife ebenso wie für alle anderen Abschluss- und Zwischenprüfungen im Land. Das Abitur startet am kommenden Dienstag, in der selben Woche starten zudem Abschlussprüfungen für manche beruflichen Bildungswege. Wer am Unterricht teilnehmen will, muss sich inzwischen zwei Mal pro Woche auf das Coronavirus testen lassen. Diese Testpflicht gilt für die Teilnahme an einer Prüfung aber nicht. Die Schulen sollen ihren Prüflingen aber Tests anbieten – und das nicht am Prüfungstag, sondern vorher. Wie in anderen Bundesländern argumentiert auch das Stuttgarter Ministerium mit rechtlichen Gründen. „Die Teilnahme an Zwischen- und Abschlussprüfungen muss mit Blick auf die betroffenen Grundrechte auch ohne den Nachweis über einen negativen Covid-19-schnelltest zugelassen werden“, erklärt ein Sprecher von Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU). Um getestete Schüler vor möglichen Infektionen durch jene Schüler zu vermeiden, die sich nicht testen lassen, würden Getestete von Ungetesteten während der Prüfungen getrennt. Für beide Gruppen gelten alle sonstigen Hygiene-vorschriften: Die Schüler müssen unter anderem Masken tragen und 1,5 Meter Abstand zueinander einhalten. Zum
Essen und Trinken darf die Maske jederzeit abgenommen werden.
Welche Regeln gelten in Bayern und anderen Bundesländern?
Die Vorgaben in Bayern decken sich weitgehend mit denen im Südwesten, wie ein Sprecher aus dem Münchner Ministerium erklärt. Die Gymnasien seien bereits informiert – öffentlich sei der Brief aber nicht. „Für die Abschlussprüfungen aller anderen Schulen werden zu gegebener Zeit Hinweisschreiben folgen“, erklärt ein Sprecher von Bildungsminister Michael Piazolo (Freie Wähler). Doch die Rahmenbedingungen sind im Freistaat anders: Zum einen beginnt die Prüfungszeit erst eine Woche später – die Schulleitungen haben also mehr Zeit zur Vorbereitung. Zum anderen sind es dort weniger Prüfungstage: Das schriftliche Abitur etwa beschränkt sich auf vier Tage, in Baden-württemberg sind es rund drei Wochen. „Das ist eine Herausforderung, aber die werden wir stemmen“, sagt denn auch Jutta Merwald, Rektorin des Bodensee-gymnasiums im bayerischen Lindau. „Ich bin sehr froh über diese Vorgaben, weil sie genau das abbilden, was wir uns vorgenommen haben.“An den Prüfungstagen werden wohl alle anderen Stufen zu Hause selbstständig Aufgaben lösen müssen, da alle Lehrer für die Aufsicht gebraucht würden. „Die Klassenräume werden wir nur mit maximal zehn Prüflingen besetzen plus möglichst nur einer Lehrkraft“, erklärt Merwald. Die Abiturienten würden getrennt in Gruppen mit und ohne Test. Zudem bekommen Schüler, die eigentlich in Quarantäne sind, einen eigenen Raum – dann mit zwei Meter Abstand. Der Test könne den Abiturienten auch mit nach Hause gegeben werden. Wie sie das negative Ergebnis vorweisen sollen? „Das wird wohl auf Treu und Glauben hinauslaufen“, sagt Merwald. Es geht aber auch anders. In Hessen etwa laufen die Abiturprüfungen aktuell. Die Schüler bekommen auch dort ein Testangebot. Wer es annimmt und ein negatives Ergebnis hat, muss während der Prüfung keine Maske tragen – alle anderen schon. Eine Aufteilung der Schüler auf verschiedene Räume ist derweil nicht vorgegeben.
Sind die Regeln im Südwesten umsetzbar?
Dazu gibt es verschiedene Meinungen. „Natürlich ist alles machbar“, sagt etwa Ralf Scholl, der als Vorsitzender des Philologenverbands für die Gymnasiallehrer spricht. Er wie auch Karin Broszat, Vorsitzende des Realschullehrerverbands, rechnen allerdings damit, dass kein Unterricht für andere stattfinden kann. „Andere Schüler müssen dann zu Hause materialgebunden lernen. Wir brauchen unsere Realschule dann für die Prüfung“, so Broszat. Denn, so Scholl: „Die Lehrkräfte, die Aufsicht halten, können nicht parallel Onlineunterricht machen.“Er rechnet nur mit wenigen Abiturienten, die sich nicht testen ließen. Die würde er in einem Raum versammeln – selbst wenn sie unterschiedliche Fächer bearbeiteten. Noch fraglich ist, wie die Schulen vorab Tests anbieten sollen – gerade wenn an einem Montag Prüfungstag ist.
Warum sind die beruflichen Schulen im Südwesten verärgert?
„Für die allgemeinbildenden Gymnasien ist die Regelung vielleicht praktikabel, für uns Berufler nicht“, sagt Peter Lehle, der das Kreisberufsschulzentrum Ellwangen leitet. Hier liefen neben den Abiturprüfungen viele weitere Abschlussprüfungen parallel. Das betreffe jedes Jahr etwa ein Drittel bis zur Hälfte aller Schüler an einer beruflichen Schule. Renate Granacher-buroh, Leiterin der gewerblichen Karl-arnold-schule in Biberach, rechnet allein am 10. Mai mit 600 Berufsschulabschlussprüfungen unterschiedlichster Bereiche. „Das Abitur bekomme ich vielleicht gestemmt, aber die Berufsschulabschlussprüfung ist so nicht organisierbar“, sagt sie. „Wir haben das Gefühl, dass man sich im Ministerium die Konsequenzen überhaupt nicht überlegt hat.“Soll die Schule etwa allen Prüflingen am Sonntag zuvor ein Testangebot machen? Viele Fragen wie diese blieben offen. Der Ablauf der Prüfungen sei bislang anders vom Ministerium kommuniziert und auch entsprechend geplant worden – nämlich ohne räumliche Trennung, betonen Lehle und Granacher-buroh. Die sei nicht nötig, wenn Maskenpflicht, Abstandgebot und alle anderen Hygiene-regeln eingehalten würden. „Es ist ein sehr großes Ärgernis, dass die Regelungen jetzt und mit diesem Inhalt kommen“, sagt sie. Thomas Speck, Vorsitzender des Berufsschullehrerverbands, zeigt sich empört. Von Anfang Mai bis Mite Juli rechnet er mit 120 000 Prüfungen an den beruflichen Schulen. Diese in Pandemiezeiten zu stemmen sei schwierig genug. „Wir haben keine Raum-kapazitäten und auch kein Personal, um Getestete und Nicht-getestete zu trennen“, sagt Speck. Allen Schülern in den Tagen zuvor auch noch Tests anzubieten sei praktisch unmöglich. Alle Rufe nach Unterstützung hierfür seien verhallt. „Den Schulen wird nichts anderes übrig bleiben als den Schülern zu sagen: Testet Euch nicht, weil wir es sonst nicht schaffen“so Speck.