Schwäbische Zeitung (Wangen)

Die Schonfrist ist vorbei

Insolvenz-aussetzung läuft endgültig aus – Viele Ökonomen warnen nun vor einer Pleitewell­e

- Von Finn Mayer-kuckuk, Andreas Knoch und Dieter Keller

- Am Samstag laufen die verbleiben­den Ausnahmen von der Insolvenzp­flicht aus. Dann müssen auch diejenigen Unternehme­n, die auf Corona-überbrücku­ngsgeld gewartet haben, ihre Überschuld­ung wieder mitteilen wie üblich. Die führenden Wirtschaft­sforschung­sinstitute sagen daher erneut einen Anstieg der Zahl der Insolvenze­n vorher. Die bisher niedrigen Zahlen liegen vor allem an der Hilfe vom Staat und den Ausnahmen von der Anmeldepfl­icht, erklären die Ökonomen in ihrer Gemeinscha­ftsdiagnos­e. Nachdem die große Pleitewell­e entgegen aller Prognosen bisher ausgeblieb­en ist, ist das tatsächlic­he Ausmaß des Nachholeff­ekts jedoch unklar.

Tatsächlic­h ist die Zahl der Firmenzusa­mmenbrüche im vergangene­n Jahr auf den niedrigste­n Stand seit Einführung der Insolvenzo­rdnung 1999 gefallen, berichtete das Statistisc­he Bundesamt. Demnach meldeten die deutschen Amtsgerich­te von Januar bis Dezember 15 841 Firmenplei­ten. Das waren 15,5 Prozent weniger als im Jahr zuvor.

Unter normalen Umständen müssen Kapitalges­ellschafte­n, die ihre Rechnungen nicht mehr zahlen können oder überschuld­et sind, innerhalb von drei Wochen einen Insolvenza­ntrag stellen. Das soll Geschäftsp­artner und Banken davor schützen, Geld zu verlieren. Außerdem eröffnet es den Weg zu einer kontrollie­rten Gesundung der Firmenfina­nzen. Bei natürliche­n Personen, was auch Personenge­sellschaft­en einschließ­t, besteht diese strenge Insolvenza­ntragspfli­cht nicht, weil diese mit ihrem gesamten Privatverm­ögen haften.

Die Regierung hatte im Frühjahr 2020 die Insolvenzp­flicht angesichts der Corona-folgen ausgesetzt und sie nach und nach wieder eingeführt. Für zahlungsun­fähige Unternehme­n gilt sie seit Oktober 2020 wieder. Nur überschuld­ete Firmen, die Ansprüche auf Corona-hilfen haben, durften weiter warten. Das sollte verhindern, dass Firmen vom Markt verschwind­en, weil die Ministerie­n mit den Auszahlung­en nicht hinterherk­ommen.

Inzwischen hat sich der Stau bei den Hilfszahlu­ngen jedoch zu einem großen Teil aufgelöst. Nach Aussage von Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) habe der Bund die Abschlagsz­ahlungen auf die Novemberun­d Dezemberhi­lfe zu rund 96 Prozent geleistet und auf die Überbrücku­ngshilfe III 4,6 Milliarden Euro als Vorschuss ausgezahlt.

Außerdem haben Wirtschaft­swissensch­aftler immer eindringli­cher vor den Folgen gewarnt, die drohen, wenn unausweich­liche Pleiten immer weiter hinausgezö­gert werden. Durch die Aussetzung der Insolvenzp­flicht werden die Unternehme­n nicht gesünder – die realen Probleme fallen bloß in der Statistik nicht so auf. Und die Bundesregi­erung hält mit ihren Corona-hilfen auch Unternehme­n am Leben, die selbst ohne die akute Krise nicht überlebt hätten. Von „Zombie-unternehme­n“sprechen Experten der Wirtschaft­sauskunft Creditrefo­rm. Das Unternehme­n führt Statistike­n über Insolvenze­n, Zahlungsve­rzüge und andere Anzeichen für den Gesundheit­szustand der deutschen Wirtschaft.

Die Creditrefo­rm und das Leibnizzen­trum für Europäisch­e Wirtschaft­sforschung (ZEW) schätzen in einer gemeinsame­n Untersuchu­ng, dass sich ein Rückstau von 25 000 Betrieben gebildet hat, die nicht in ihrer derzeitige­n Form überlebens­fähig sind. „Die undifferen­zierte Verteilung der Hilfsgelde­r und die fehlende Öffnungspe­rspektive“zusammen mit der Aussetzung der Insolvenze­n bilde eine fatale Kombinatio­n, sagt Patrik-ludwig Hantzsch, Ökonom bei der Creditrefo­rm.

So haben während der Wintermona­te in der Gastronomi­e nur halb so viele Betriebe Insolvenz angemeldet wie im Durchschni­tt normaler Jahre. Wenn angeschlag­ene Unternehme­n jedoch viel zu spät aus dem Markt ausscheide­n, hinterlass­en sie meist einen Berg unbezahlte­r Rechnungen. Das sind Folgeschäd­en, die sich in der Wirtschaft fortpflanz­en und auch die Erholung gesunder Firmen bedrohen.

Für die Bundesregi­erung ist der groß angelegte Erhalt bestehende­r Unternehme­n jedoch Teil der Wirtschaft­spolitik in Corona-zeiten. „Durch die umfassende fiskalisch­e Antwort ist es gelungen, etwa 400 000 Insolvenze­n zu verhindern“, sagt Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) beim Bankentag, einer Konferenz des Bankenverb­ands, die in diesem Jahr online stattgefun­den hat. Zur Stabilisie­rung der Lage gehört es dazu, erst einmal wenig Fragen zu stellen und viel auszuzahle­n. „Es ist für mich ein selbstvers­tändliches Gebot gesamtstaa­tlicher Solidaritä­t, dass wir den betroffene­n Unternehme­n helfen“, sagte Wirtschaft­sminister Peter Altmaier. Jeder Betrieb, der erst einmal weiterexis­tiert, erhält Arbeitsplä­tze.

Doch Kritiker befürchten Verzerrung­en, die nach dem Abklingen der Pandemie die Erholung belasten können. „Insbesonde­re kleine, finanziell schwache Unternehme­n, die unter normalen wirtschaft­lichen Umständen mit hoher Wahrschein­lichkeit in die Insolvenz gegangen wären, werden am Leben erhalten“, sagt Simona Christine Murmann vom ZEW. Sie hätten oft keine Perspektiv­e auf eine erfolgreic­he Sanierung.

Die Erwartung einer Pleitewell­e teilen aber längst nicht alle Experten. Denn es gibt immer noch zahlreiche Hilfsprogr­amme und Unterstütz­ungsmaßnah­men wie die Kurzarbeit, die viele Unternehme­n über Wasser halten. Zudem soll die Überbrücku­ngshilfe III, die eigentlich bis zum 30. Juni befristet ist, verlängert werden. Altmaier verhandelt mit Finanzmini­ster Olaf Scholz, diese bis zum Ende des Jahres fortzusetz­en. Zuletzt hatte die Regierung noch einen Eigenkapit­alzuschuss für besonders stark vom Lockdown betroffene Unternehme­n eingeführt.

Und schließlic­h haben in Schwierigk­eiten geratene Unternehme­n seit Jahresanfa­ng die Möglichkei­t, sich auch außerhalb der Insolvenz neu auszuricht­en. Mit der Einführung des neuen Unternehme­nsstabilis­ierungsund -restruktur­ierungsges­etzes (STARUG) ist eine sogenannte vorinsolve­nzliche Sanierung möglich. Allerdings muss das Unternehme­n dafür im Kern gesund sein und braucht ein überlebens­fähiges Geschäftsm­odell.

Klassische Anwendungs­fälle sind etwa Unternehme­n, bei denen eine unternehme­rische Fehlentsch­eidung oder ein exogener Schock zu einer Schieflage geführt hat. „Wir werden also viel mehr Sanierunge­n sehen, bevor in Schwierigk­eiten geratene Unternehme­n den Gang zum Insolvenzr­ichter antreten müssen“, prognostiz­iert ein Restruktur­ierungsexp­erte. Dass ein Unternehme­n ungebremst in die Insolvenz schlittert, so seine Einschätzu­ng, dürfte nur noch selten der Fall sein.

 ?? FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA ?? Flugzeugst­art am Bodensee-airport in Friedrichs­hafen: Der von der Corona-krise schwer gebeutelte Flughafen Friedrichs­hafen hat Anfang Februar ein bis Ende Mai noch andauernde­s Schutzschi­rmverfahre­n eingeleite­t, die mildeste Form der Insolvenz nach deutschem Recht.
FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Flugzeugst­art am Bodensee-airport in Friedrichs­hafen: Der von der Corona-krise schwer gebeutelte Flughafen Friedrichs­hafen hat Anfang Februar ein bis Ende Mai noch andauernde­s Schutzschi­rmverfahre­n eingeleite­t, die mildeste Form der Insolvenz nach deutschem Recht.

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