Schwäbische Zeitung (Wangen)

China startet Bau seiner Raumstatio­n

Ambitionie­rte Pläne – Drei Raketenpro­jekte an zwei Raumbahnhö­fen parallel verfolgt

- Von Andreas Landwehr

(dpa) - Mit dem Bau einer eigenen Raumstatio­n beginnt China das bisher größte Vorhaben seines ehrgeizige­n Weltraumpr­ogramms. Am Raumfahrtb­ahnhof Wenchuan auf der Insel Hainan in Südchina steht seit dem Wochenende eine Rakete vom Typ „Langer Marsch 5B“auf der Startrampe. In ihrem Frachtraum steckt das „Tianhe“(Himmlische Harmonie) genannte Kernmodul für die Raumstatio­n, die „um 2022“fertiggest­ellt sein soll. Us-experten rechnen mit dem Start am Donnerstag, doch ist der Termin noch unbestätig­t. Zwei weitere Flüge sollen in den kommenden Wochen dicht nacheinand­er folgen.

Wenn die veraltete internatio­nale Raumstatio­n ISS in den kommenden Jahren ihren Dienst einstellen wird, wäre China danach die einzige Nation, die einen Außenposte­n im All betreibt. „Tianhe“ist 16,6 Meter lang mit einen Durchmesse­r von 4,2 Metern. Das Kernmodul sorgt für Strom und Antrieb, bietet Unterkünft­e für drei Astronaute­n, die bis zu sechs Monate an Bord bleiben können. Zwei weitere Teile für wissenscha­ftliche Experiment­e werden t-förmig angebaut.

„Der wesentlich­e Unterschie­d zur ISS ist, dass sonst keiner mitmacht“, sagte der frühere deutsche Astronaut Reinhold Ewald, heute Professor an der Universitä­t Stuttgart. Weder beim Bau noch beim Betrieb sind andere Länder dabei. Zumindest bei den geplanten wissenscha­ftlichen Experiment­en ist eines Tages eine internatio­nale Kooperatio­n unter anderen mit Deutschlan­d vorgesehen – mit dem Max-planckinst­itut für extraterre­strische Physik in Garching.

Mit rund 90 Tonnen wird Chinas Raumstatio­n, die nach der Fertigstel­lung „Tiangong“(Himmelspal­ast) heißen soll, deutlich kleiner als die 240 Tonnen schwere ISS. Zwar wurde die ISS schon als zu groß kritisiert, doch bietet Größe auch Sicherheit in Notfällen, wie Reinhold Ewald schildert. Er war 1997 an Bord der russischen Station Mir und hat später federführe­nd die Flüge europäisch­er Kollegen zur ISS vom Boden aus unterstütz­t.

„Auf der ISS wird es nicht gleich bedrohlich, sondern man kann einen Teil abtrennen und in Ruhe schauen, wie man Herr der Lage wird“sagte Ewald. „Das System ist stabiler durch die Größe. Es gibt mehr Redundanz, mehr Systeme, die füreinande­r eintreten können.“Auch gebe es mehr Raum und Möglichkei­ten für komplexe Forschungs­vorhaben und die Unterbring­ung von weiteren Astronaute­n.

Kurz nach dem Start des chinesisch­en Kernmoduls könnte im Mai das Cargo-raumschiff „Tianzhou 2“mit Treibstoff und Versorgung­sgütern folgen. Auch bereiten sich drei Astronaute­n vor, an Bord von „Shenzhou 12“möglicherw­eise im Juni zu „Tianhe“zu fliegen. Die Bauphase erfordert einen gedrängten Flugplan: Insgesamt sind elf Flüge geplant – drei Flüge mit Modulen, vier Frachtmiss­ionen und vier bemannte Raumflüge, wie das chinesisch­e Raumfahrtp­rogramm mitteilte.

Mit seinen beiden vorherigen Raumlabore­n „Tiangong 1“und „Tiangong 2“hat sich die junge Raumfahrtn­ation an das komplexe Vorhaben herangearb­eitet. Es wurden Rendezvous und Auftankman­över sowie Weltraumsp­aziergänge geübt. Eigentlich sollte der Bau der Raumstatio­n schon früher starten, aber Probleme mit der nötigen neuen Trägerrake­te sorgten für Verzögerun­gen. Die Bauphase wurde dafür jetzt verdichtet, damit man wie ursprüngli­ch geplant 2022 fertig wird.

„Wir werden an mehreren Fronten gleichzeit­ig kämpfen“, sagte Zhou Jianping, Chefdesign­er des bemannten Raumfahrtp­rogramms (CMS), laut Staatsfern­sehen. Drei Raketenpro­jekte werden an zwei Raumfahrtb­ahnhöfen gleichzeit­ig verfolgt. „Wir werden echt beschäftig­t sein – und was noch wichtiger ist: Wir müssen Erfolg, Qualität, Sicherheit und Verlässlic­hkeit wahren.“

All das werde eine große Herausford­erung, so der australisc­he Experte Morris Jones. „Eine Raumstatio­n muss in der Lage sein, menschlich­es Leben über längere Zeit zu unterstütz­en. Das erfordert hoch verlässlic­he Systeme.“Auf Betreiben der USA war China von dem Gemeinscha­ftsprojekt der ISS mit den Russen und Europäern ausgeschlo­ssen worden. „Wenn sie Zugang zu einer Raumstatio­n haben wollen, müssen sie schon selber eine bauen“, sagte Jones.

Bei einer Station gehe es nicht nur um Forschung in Schwerelos­igkeit, unter Strahlung oder im Vakuum, sondern auch um Erkenntnis­se mit Systemen, die für weitere Raumfahrtm­issionen

– wie etwa zum Mond oder Mars – wichtig sind. „Wir verstehen besser, wie sich das Weltall auf die Menschen auswirkt und wie die Technik zu entwickeln ist, um sie dort zu halten“, sagte Jones. Es gibt auch politische Motive: „Chinas Raumfahrtp­rogramm ist eine Quelle für Nationalst­olz, aber es hilft auch, internatio­nal Softpower zu projiziere­n.“

Ausruhen werden sich aber auch die etablierte­n Raumfahrtn­ationen nicht: Während Russland und die USA diskutiere­n, was mit der ISS geschehen soll, denken beide an eigene, neue Außenposte­n im All. Die russische Raumfahrtb­ehörde Roskosmos hätte gerne 2030 eine eigene Station in einer Erdumlaufb­ahn, während die Nasa den Mond im Blick hat. Die „Gateway“(Tor) genannte Us-station soll den Erdtrabant­en umrunden und Unterstütz­ung für eine „langfristi­ge Rückkehr von Menschen auf die Oberfläche des Mondes“sowie eine Basis für die Erkundung des tieferen Weltraums bieten. Frühestens 2024 könnten erste Komponente­n ins All gebracht werden, heißt es von der Nasa.

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FOTO: GUO WENBIN/XINHUA/DPA Die Kombinatio­n aus dem Kernmodul „Tianhe“der chinesisch­en Raumstatio­n und der „Langer Marsch 5B Y2“-rakete steht im Startberei­ch der Wenchang Spacecraft Launch Site in der südchinesi­schen Provinz Hainan. Mit dem Bau einer eigenen Raumstatio­n beginnt China das bisher größte Vorhaben seines ehrgeizige­n Weltraumpr­ogramms.

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