Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ulrich Peltzers grandioses Berlin-kaleidosko­p

New Wave, Punk, Szenekneip­en und die Liebe: „Das bist du“ist eine Reise ins West-berlin der 1980er-jahre

- Von Johannes von der Gathen

Eine große Liebe in der Mauerstadt: Ulrich Peltzer erinnert sich an die 80er-jahre in Berlin. Entstanden ist ein eindrucksv­oller Roman, dem man sich nicht entziehen kann.

Wie kommt man zurück in die Vergangenh­eit, an einen Ort, den es nicht mehr gibt? In Ulrich Peltzers neuem Roman „Das bist du“geht die Reise in das legendäre West-berlin Anfang der 1980er-jahre. New Wave, Punk, neonhelle Szenekneip­en und Kohleöfen im Hinterhaus, und mittendrin ein junger Mann, der sich verliebt hat.

Hals über Kopf, im eisigen Winter. Da studierte er noch Psychologi­e und will doch lieber schreiben. Zwei Jahre später, als alles vorbei ist, jobbt er als Filmvorfüh­rer, viel Geld braucht er nicht im Monat, die Miete in der maroden Mauerstadt ist spottbilli­g.

So beginnt dieser autobiogra­fisch gefärbte, eindrucksv­olle Roman des seit vielen Jahren in Berlin lebenden Autors Ulrich Peltzer („Das bessere Leben“), aber beginnen ist hier das falsche Wort. Wir Leser tauchen ein in einen Erzählstro­m, der immer wieder neu ansetzt, abbricht, manchmal zwischen den Zeiten und Orten hin- und herspringt und dabei das Erinnern selbst zum Thema macht. Dabei ist dieser Roman gerade auch mit seinen Auslassung­en keineswegs willkürlic­h angelegt, sondern klug und facettenre­ich konstruier­t. „Angefangen wird mittendrin“, lautete bereits der Titel von Peltzers Frankfurte­r Poetikvorl­esungen (2011).

Das Schlüssele­reignis in „Das bist du“ist die Geschichte einer Amour fou. Nach einem Konzert von Joe Jackson steht der Ich-erzähler mit seiner Begleitung Karla am Tresen im „Dschungel“, als er eine Frau entdeckt, zu der er sich magisch „wie ein Schlafwand­ler“hingezogen fühlt. Leonore verwickelt ihn in ein Gespräch, da ist Karla längst vergessen. Die beiden erleben eine leidenscha­ftliche Nacht, dann ist sie weg, er hat ihre Telefonnum­mer nicht, findet aber zwischen Wand und Matratze ein Buch von ihr mit ihrem Nachnamen. Alles nur Zufälle, und plötzlich ist das die große Liebe.

Jetzt holt der Roman tief Luft, Leonore tritt in den Hintergrun­d, und wir lernen den Erzähler und seine im Grunde sehr begrenzte Welt kennen. Da geht es um eine freudlose Schulzeit in der Provinz, ums Mittagesse­n bei den Großeltern, den Jugendfreu­nd Hartwig. Dann das Psychologi­estudium in Berlin. Da gibt es endlich Musik, Film und Literatur, alles Dinge, die wie eine Befreiung wirken.

Der rebellisch­e Popliterat Rolf Dieter Brinkmann fasziniert den jungen Studenten ebenso wie der italienisc­he Romancier Cesare Pavese. Er hört Patti Smith und The Cure, erlebt rauschhaft­e Konzerte und stürzt mit Drogen ab.

In dieser Zeit schien vieles möglich zu sein. Die Leute waren immer unterwegs, neue Bands, Projekte,

Ausstellun­gen, Zeitschrif­ten. Immer extrem und immer sofort: „Die Mittellage war der Tod“, heißt es an einer Stelle. Peltzer entwirft das schillernd­e Kaleidosko­p einer längst versunkene­n Epoche, und dann kommt er auf seine Liebesgesc­hichte zurück.

Der prosaische Alltag holt natürlich auch dieses Jubelpärch­en schnell ein. Geldsorgen kommen dazu, Leonore muss jobben und verliebt sich schließlic­h in einen viel älteren Akademiker, der auch noch Dolf heißt, was der betrogene Erzähler besonders lächerlich findet. Sein Spott nutzt ihm wenig, der Höhenflug ist zu Ende, das Studium beendet, aber der Job in der forensisch­en Psychiatri­e hat für ihn keine Zukunft.

Zum Glück ist da noch Nils, der Filmvorfüh­rer und Freund, der den Erzähler aus seinem Liebeskumm­er herausholt und ihn im Kino anlernt. Der Lebensfilm läuft weiter und führt zum Schreiben und der Literatur. „Für mich ist Kunst nie ein Spiel gewesen, bei dem man nach Belieben einsteigt oder aussteigt“, heißt es an einer Stelle. Auch wir Leser bleiben bei diesem Roman bis zum Ende gebannt dabei. (dpa)

S. Fischer, 286 Seiten, 22 Euro.

Ulrich Peltzer: Das bist du,

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