Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Die Gewalt entsteht oft aus Verzweiflu­ng“

Holzmarkt und Bahnhof: Streetwork­er Bernhard Pesch hat in Ravensburg viel Arbeit

- Von Frank Hautumm

- Der soziale Brennpunkt in der Ravensburg­er Altstadt hat sich verschoben: Vom nördlichen Marienplat­z, wo sich noch vor zwei Jahren junge Syrer und Afghanen beharkten, hin zum Bahnhofsvo­rplatz, wo seit Winter 2019 eine Szene von Alkoholike­rn und Drogenabhä­ngigen das Bild prägt. Die Arbeit von Streetwork­er Bernhard Pesch hat sich als eine entscheide­nde Maßnahme gegen die sehr unterschie­dlichen Probleme im Zentrum bewährt. Die Stadt verlängert­e deshalb jetzt die Zusammenar­beit mit der Arkade als Träger. Es gibt weiter viel für ihn zu tun, berichtet Pesch: „Das größte Thema ist die Wohnsitzlo­sigkeit. Wenn es Gewalt am Bahnhof gibt, dann entsteht sie oft aus Verzweiflu­ng.“

Im Sommer 2018 hat Pesch seine Arbeit in der Innenstadt aufgenomme­n: Am Holzmarkt waren junge Flüchtling­e immer wieder aneinander­geraten und mit der Polizei in Konflikt geraten. Andere Gruppen trafen sich dort ebenfalls. Die Folge: Viele Ravensburg­er fühlten sich in dem Quartier nicht mehr sicher. Die Polizei hatte mit massiver Präsenz reagiert, Bernhard Pesch suchte parallel den Kontakt zu den jungen Männern. „Ich habe recht schnell einen Draht aufbauen können“, berichtete der Streetwork­er jetzt im Sozialauss­chuss des Gemeindera­tes. Alkohol, Drogen und Gewalt, auch Machogehab­e und ethnische Konflikte spielten am Marienplat­z eine große Rolle. „Da waren 18-Jährige darunter, die hatten schnell 40 oder 50 Ordnungswi­drigkeiten auf dem Kerbholz“, so Pesch. Die Szene löste sich unter Druck und begleitend­er Sozialarbe­it aber bald auf. Kontakte hat der Streetwork­er immer noch: „Manche sind inzwischen gut integriert, andere im Gefängnis gelandet, einer wurde auch abgeschobe­n.“

Im Winter 2019 wurden dann die Probleme am Ravensburg­er Bahnhof sichtbarer. „Seitdem ist dort mein Hauptarbei­tsfeld, und das größte Thema ist neben dem Drogenmiss­brauch die Wohnsitzlo­sigkeit“, so Pesch. Gewalt gebe es auch, meist aber innerhalb der Szene. Die Menschen seien verzweifel­t, lebten in prekären Situatione­n. Der Streetwork­er von der Arkade versucht zu unterstütz­en, wo es geht: „Es dreht sich häufig um Geldsorgen, um einen verlorenen Ausweis, um Zugang zu einem Konto.“Dabei freut sich Pesch über kleine und große Erfolge. Darüber beispielsw­eise, dass er zeitweise fünf Hilfsbedür­ftige in einer WG in Grünkraut unterbring­en konnte und dass sie inzwischen in Weingarten­er Hotels wohnen dürfen (die SZ berichtete). 20 bis 30 Menschen sind es, die ihn fast jeden Tag direkt um Unterstütz­ung bitten.

Die Lösung vieler Probleme liegt für Bernhard Pesch, der mit seiner markanten Erscheinun­g und dank seiner Präsenz inzwischen zum Straßenbil­d in Ravensburg gehört, auf der Hand: „Je besser die Unterbring­ung, desto weniger Probleme werden wir am Bahnhof haben.“Die Betroffene­n brauchten Wohnungen, auch Aufenthalt­sangebote am Tag. Derzeit säßen sie bei schlechtem Wetter im Bahnhofsvo­rraum und zunehmend auch in den überdachte­n Wartehäusc­hen am Busbahnhof. Das sorge für neuerliche Konflikte. Pesch kennt in der Szene viele Schicksale, spricht von Borderline­rn, schwer Depressive­n, auch Menschen mit einer geistigen Behinderun­g. Drei junge Menschen seien durch ihre Eltern schon im Ravensburg­er Bahnhofsum­feld groß geworden und hätten dort bis heute ihren Lebensmitt­elpunkt.

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ARCHIVFOTO: RUT Streetwork­er Bernhard Pesch ist immer nah dran am Geschehen – „zugehend und akzeptiere­nd“, wie er den Anspruch formuliert.

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