„Die Gewalt entsteht oft aus Verzweiflung“
Holzmarkt und Bahnhof: Streetworker Bernhard Pesch hat in Ravensburg viel Arbeit
- Der soziale Brennpunkt in der Ravensburger Altstadt hat sich verschoben: Vom nördlichen Marienplatz, wo sich noch vor zwei Jahren junge Syrer und Afghanen beharkten, hin zum Bahnhofsvorplatz, wo seit Winter 2019 eine Szene von Alkoholikern und Drogenabhängigen das Bild prägt. Die Arbeit von Streetworker Bernhard Pesch hat sich als eine entscheidende Maßnahme gegen die sehr unterschiedlichen Probleme im Zentrum bewährt. Die Stadt verlängerte deshalb jetzt die Zusammenarbeit mit der Arkade als Träger. Es gibt weiter viel für ihn zu tun, berichtet Pesch: „Das größte Thema ist die Wohnsitzlosigkeit. Wenn es Gewalt am Bahnhof gibt, dann entsteht sie oft aus Verzweiflung.“
Im Sommer 2018 hat Pesch seine Arbeit in der Innenstadt aufgenommen: Am Holzmarkt waren junge Flüchtlinge immer wieder aneinandergeraten und mit der Polizei in Konflikt geraten. Andere Gruppen trafen sich dort ebenfalls. Die Folge: Viele Ravensburger fühlten sich in dem Quartier nicht mehr sicher. Die Polizei hatte mit massiver Präsenz reagiert, Bernhard Pesch suchte parallel den Kontakt zu den jungen Männern. „Ich habe recht schnell einen Draht aufbauen können“, berichtete der Streetworker jetzt im Sozialausschuss des Gemeinderates. Alkohol, Drogen und Gewalt, auch Machogehabe und ethnische Konflikte spielten am Marienplatz eine große Rolle. „Da waren 18-Jährige darunter, die hatten schnell 40 oder 50 Ordnungswidrigkeiten auf dem Kerbholz“, so Pesch. Die Szene löste sich unter Druck und begleitender Sozialarbeit aber bald auf. Kontakte hat der Streetworker immer noch: „Manche sind inzwischen gut integriert, andere im Gefängnis gelandet, einer wurde auch abgeschoben.“
Im Winter 2019 wurden dann die Probleme am Ravensburger Bahnhof sichtbarer. „Seitdem ist dort mein Hauptarbeitsfeld, und das größte Thema ist neben dem Drogenmissbrauch die Wohnsitzlosigkeit“, so Pesch. Gewalt gebe es auch, meist aber innerhalb der Szene. Die Menschen seien verzweifelt, lebten in prekären Situationen. Der Streetworker von der Arkade versucht zu unterstützen, wo es geht: „Es dreht sich häufig um Geldsorgen, um einen verlorenen Ausweis, um Zugang zu einem Konto.“Dabei freut sich Pesch über kleine und große Erfolge. Darüber beispielsweise, dass er zeitweise fünf Hilfsbedürftige in einer WG in Grünkraut unterbringen konnte und dass sie inzwischen in Weingartener Hotels wohnen dürfen (die SZ berichtete). 20 bis 30 Menschen sind es, die ihn fast jeden Tag direkt um Unterstützung bitten.
Die Lösung vieler Probleme liegt für Bernhard Pesch, der mit seiner markanten Erscheinung und dank seiner Präsenz inzwischen zum Straßenbild in Ravensburg gehört, auf der Hand: „Je besser die Unterbringung, desto weniger Probleme werden wir am Bahnhof haben.“Die Betroffenen brauchten Wohnungen, auch Aufenthaltsangebote am Tag. Derzeit säßen sie bei schlechtem Wetter im Bahnhofsvorraum und zunehmend auch in den überdachten Wartehäuschen am Busbahnhof. Das sorge für neuerliche Konflikte. Pesch kennt in der Szene viele Schicksale, spricht von Borderlinern, schwer Depressiven, auch Menschen mit einer geistigen Behinderung. Drei junge Menschen seien durch ihre Eltern schon im Ravensburger Bahnhofsumfeld groß geworden und hätten dort bis heute ihren Lebensmittelpunkt.