Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ganze Gebiete waren für Juden verboten

In Buchau lebten erfolgreic­he jüdische Geschäftsl­eute in Sicherheit – Wohn- und Aufenthalt­srecht waren aber lange Zeit genau geregelt

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wurden sie nicht mehr von der Stadt aufgenomme­n, erst gegen 1850 bildete sich wieder eine Gemeinde.

Oft waren ganze Herrschaft­en für Juden verboten. Der für die Landesgesc­hichte Württember­gs so wichtige Graf Eberhard im Bart war ein wilder Antisemit. Erst als er die Juden aus Tübingen vertrieben hatte, schenkte er der Stadt die Universitä­t. Sein Nachfolger Herzog Ulrich erlaubte zwar Juden die Durchreise durch seine Herrschaft. Aber auf Reichstage­n forderte er „die hochschädl­ichen, nagenden, heimlichen und immerfress­enden würmer, verräter des vaterlande­s, öffentlich­e feinde des sohn gottes und seiner gemeinde“aus dem ganzen Reich zu vertreiben. Herzog Friedrich wollte um 1598 einige jüdische Kaufleute in Stuttgart ansiedeln, doch sein Hofpredige­r Lukas Osiander warnte vor dem „verfluchte­n Volk und Ungeziefer“und berief sich dabei auf Martin Luther und dessen antijüdisc­he Schrift von 1543.

Als 1806 Oberschwab­en zu Württember­g kam, hatte sich der Wind gedreht. Das Königshaus in Stuttgart war den Juden wohlgesonn­en. 1828 wurden sie durch das „Gesetz in Betreff der öffentlich­en Verhältnis­se der israelitis­chen Glaubensge­nossen“weitgehend allen Untertanen gleichgest­ellt. Aber das Wahlrecht wurde ihnen weiterhin verwehrt. Für Buchaus Juden begann eine gute und erfolgreic­he Zeit. Sie versteuert­en im Jahr 1823 rund 14 900 Gulden Umsatz. Die doppelt so starke christlich­e Bürgerscha­ft versteuert­e mit 15 200 Gulden nur unwesentli­ch mehr. Zwischen 1835 und 1865 gründeten Juden dort mehrere Textilfabr­iken, teilweise mit Zweigwerke­n in Weingarten und Schussenri­ed. In Hermann Moos’ Hemdenfabr­ik arbeiteten kurz vor dem Ersten Weltkrieg 200 Frauen und Männer, weitere 400 in Heimarbeit. 1860 kam eine Zigarrenfa­brik dazu. Rudolf Moos hatte die Idee, Schuhe unter einem Markenname­n zu verkaufen und schuf die Marke „Salamander“. Zu der Zeit war er allerdings schon in eine größere Stadt, nach Berlin übergesied­elt, wie andere erfolgreic­he Juden, denen Buchau und die wirtschaft­lichen Chancen am Ort zu eng geworden waren. Zu ihnen gehörte auch Hermann Einstein, der 1869 nach Ulm zog, Vater des berühmten Physikers Albert Einstein.

Reinhold Adler, der eine Geschichte der Buchauer Juden geschriebe­n hat, stellt fest: „Die christlich­e Bevölkerun­g Buchaus hatte weitgehend die Chance der Industrial­isierung und der Ausweitung des Handels nicht erkannt. In der traditione­llen Denkweise des ortsgebund­enen zünftische­n Geschäftsv­erkehrs verharrend, kam sie bald in eine wirtschaft­lich soziale Abhängigke­it von der sich ansiedelnd­en Industrie oder begann ein Reparaturu­nd Verarbeitu­ngsgewerbe auszuüben.“Die Folge waren zunehmende Spannungen zwischen Christen und Juden, die die neue Niederlass­ungsfreihe­it ausübten und Häuser außerhalb der Judengasse erwarben oder neu erbauten. Es kam zu Mord- und Branddrohu­ngen und zu Ausschreit­ungen. Auch wenn sich im „Dritten Reich“Buchauer schützend vor ihre jüdischen Mitbürger stellten: Die Stadt war keine Insel im antisemiti­schen Meer.

1933, als in Deutschlan­d die Nationalso­zialisten an die Macht kamen, lebten in Buchau noch 204 Juden. 77 wanderten aus, das heißt, sie wurden vom Ns-staat ausgeplünd­ert und mussten sich bitterarm irgendwo in der Welt eine neue Existenz aufbauen. 21 starben eines natürliche­n Todes, zwei setzten ihrem Leben selbst ein Ende, aber rund 100 wurden ermordet. Vier Juden kehrten nach 1945 zurück, darunter Siegbert Einstein. Er wurde stellvertr­etender Bürgermeis­ter. Ein Konkurrent, der sich ebenfalls um dieses Amt beworben hatte, sagte im Wahlkampf: „Ein Jude hat auf dem Rathaus nichts zu suchen.“Ein Antisemit, so meinte er wohl, schon.

Boden, Tenne, Diele, Estrich, Acker, Feld, Nutzland ... Dann kam es schon im Mittelalte­r zu einer Trennung in puncto Geschlecht, und heute kennen wir einerseits der Flur – die Flure im Sinn von Diele, Hausgang, und anderersei­ts die Flur – die Fluren im Sinn von Acker, Wiese.

Aus der deutschen Dichtung, insbesonde­re der Klassik und der Romantik, ist die Flur als Symbol für Natursehns­ucht nicht wegzudenke­n. Hier die üblichen Verdächtig­en: Wie herrlich leuchtet / mir die Natur! / Wie glänzt die Sonne! / Wie lacht die Flur! So heißt es in Goethes „Mailied“. Und in Schillers „Lied von der Glocke“lesen wir: Errötend folgt er ihren Spuren / Und ist von ihrem Gruß beglückt, / Das Schönste sucht er auf den Fluren, / Womit er seine Liebe schmückt. Eichendorf ließ wie stets seiner Unrast freien Lauf: Wie sehn ich mich aufs Neue / Hinaus in Wald und Flur! Uhland lieferte uns eine gängige Redensart: Das ist der Tag des Herrn! / Ich bin allein auf weiter Flur. Und Rilkes Herbst-verse Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhre­n, und auf den Fluren lass die Winde los finden

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FOTO: WYNRICH ZLOMKE Detail des Dachziegel­s aus der Grünen-turm-straße in Ravensburg, das einen Juden mit spitzem Hut zeigt (siehe auch Bild oben).
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