Freizeitoase, Lebensraum und Jagdrevier
Wald im Spannungsfeld – Schäden durch Mensch und Tier – Achtung Radler: Jagdsaison startet
- Deutlich mehr Menschen zieht es seit der Corona-krise in die heimischen Wälder. Das ist angesichts fehlender Freizeitmöglichkeiten und ausfallender Urlaubsreisen mehr als verständlich sowie wohltuend für Körper, Geist und Seele. Dass der Wald zunehmend als Freizeitoase angesehen wird, hat jedoch Schattenseiten. So richten die zahlreichen Besucher – allen voran teilweise rücksichtslose Mountainbikefahrer – reichlich Schaden an, berichtet Bad Waldsees Stadtförster Martin Nuber. Da am 1. Mai die Jagdsaison beginnt, kann das schnelle und verbotene Fahren abseits der Wege zudem schnell zur Gefahr werden.
Besonders an diesem ersten Maiwochenende sei mit „richtig viel Jagdbetrieb in den Wäldern“zu rechnen. Wie schnell es zu einer brenzligen Situation kommen kann, hat der Förster, der selbst als Jäger im Altdorfer Wald tätig ist, bereits erlebt. So hatte er plötzlich einen rasant aus dem Dickicht auftauchenden Mountainbiker im Schussfeld. Die unschöne Situation ereignete sich im Oktober in der Nähe von Vogt. „Kurz vor der Schussabgabe“sei ihm der Mountainbiker im „letzten Büchsenlicht der Dämmerung“mitten in die Schusslinie herein gerauscht. „Das war knapp und gefährlich“, beschreibt er diesen prekären Moment.
Auch anderen Jägern sei es schon mal ähnlich ergangen, da die Anzahl der Mountainbiker im Wald deutlich zugenommen habe. Angesichts der Jagdmunition, die sofort töte und keine leichten Streifschüsse verursache (damit das Wild nicht leidet), sei das Radfahren abseits der Wege in der Jagdsaison (jährlich ab 1. Mai bis 31. Januar) brandgefährlich.
Unabhängig davon seien die Uneinsichtigen unter den Mountainbikern allen Förstern im Kreis Ravensburg ein zunehmend großer Dorn im Auge. Allein im 163 Hektar großen Distrikt „Großer Wald“, der von Hittisweiler bis zum östlichen Stadtrand Bad Waldsees inklusive Tannenbühl reicht, führen nach Angaben des Stadtförsters mehrere privat verursachte Trails – also angelegte Strecken – mitten durch den Wald.
Generell gilt laut baden-württembergischen Waldgesetz, dass Radfahren nur auf Wegen erlaubt ist, wenn sie breiter als zwei Meter sind. Das interessiert jedoch viele Radler und speziell Mountainbiker häufig nicht, beklagt der Stadtförster. Das Kreuzfeldeinfahren beschädige nicht nur Pflanzen, sondern störe auch die Tiere, die sich im Schutz der Bäume zurückziehen. „Viele können mit der persönlichen Freiheit nicht umgehen und halten sich nicht an die Regeln. Man sollte aber immer bedenken: Man ist nur zu Gast im Ökosystem Wald.“
Da angekurbelt durch Corona ein richtiger Fahrradboom zu bemerken sei und viele Menschen mittlerweile ein E-mountainbike besitzen, kommen sie laut Nuber nun „überall im Wald herum“– auch auf steilem und beschwerlichem Gelände. Hinzu komme die stetig verbesserte Technik der Räder. „Mit einem Fully mitsamt Federung ist alles möglich, also suchen sich die Leute immer extremere Routen, am liebsten mitten durch den Wald.“
Dabei gibt es in Bad Waldsee bekanntlich den „Saubadtrail“-parcours, den die Stadt in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Alpenverein angelegt hat. Die Strecke führt zum Großteil abseits der befestigten Wege, es gibt einfache und schwere Abschnitte. Derzeit werde eine „attraktive Erweiterung“mit weiteren großen Sprüngen gebaut. Weder in Ravensburg noch in einer anderen umliegenden Kommune gebe es ein solches Angebot. Viele Städte und Verbände interessieren sich für den Trail in Bad Waldsee und wollen so etwas auch bei sich umsetzen, berichtet Nuber. So haben sich unter anderem das Memminger Stadtparlament und auch Gäste aus München bereits den Parcours angeschaut.
Doch nicht nur Radfahrer, auch Wanderer halten sich oft nicht an die Regeln und stören Vögel beim Brüten, kommen Rehwild zu nahe oder beunruhigen andere Tiere mit ihrem Auftauchen abseits der Wege. Grundsätzlich sind seit Corona „viel mehr Leute im Wald, das hat extrem stark zugenommen“, stellt der Stadtförster fest. Wenn sich die Besucher angemessen verhalten, sei das prinzipiell in Ordnung. Allerdings werde der Lebensraum Wald derzeit von vielen Lebewesen gleichzeitig beansprucht, das führe automatisch zu Konflikten. Zudem ist der Wald durch die Holzerzeugung auch noch Wirtschaftsfaktor – eine weitere Nutzung.
Und auch die nun beginnende Jagd spielt sich im Wald ab, die nächste Ausschöpfung dieses Ökosystems. Von Tier- und Naturschützern sowie großen Teilen der Gesellschaft wird sie kritisch gesehen, schließlich gibt es keinen existenziellen Grund für Menschen, wildlebende Tiere als Nahrung zu erbeuten. Wie Nuber erklärt, sei es jedoch speziell für das Anwachsen von jungen Bäumen wichtig, die Rehwildpopulation zu regulieren. „Ansonsten gelingt der Waldumbau nie.“
Was er damit meint, zeigt er bei einer Waldbesichtigung rund um das Tannenbühl. Die Schäden an Bäumen, die vom Rehwild verursacht wurden, sind vielerorts zu sehen. So ist die Rinde vieler junger Douglasien vom Geweih der Rehböcke beschädigt. Weiteres Problem: die Verbissschäden. Gerade Rehe sind Feinschmecker und beißen die schmackhaften Knospen junger Bäume (vor allem Tannen) ab und hindern sie so in ihrem Wachstum.
Für die Förster ist das alles ein großes Problem. Vor dem Hintergrund des immer trockener werdenden Klimas sei es ohnehin bereits ein „Riesenaufwand“, junge Bäume überhaupt zum Anwachsen zu bekommen. Da vor allem Fichten die zunehmende Trockenheit schlecht vertragen, setzen Förster vermehrt auf Tannen oder Douglasien, die beide wiederum bei Rehwild beliebt sind.
Seit Jahren versucht der Förster, den Stadtwald mit klimafesten Bäumen umzubauen („Förster schlägt Alarm: Stadtwald leidet unter der Trockenheit“, SZ vom 20. Juni 2020). Mehrere Zehntausend neue Klimawandelgehölze wie Pekanuss, Tulpenbaum, Roteiche, Esskastanie, Hainbuche oder Schwarzkiefern, die trockenes und heißes Klima besser vertragen, wurden gepflanzt.
Nun sind neue exotische Baumarten dazu gekommen: Hybridlärche, Kaukasische Flügelnuss und Libanon-zeder. Das sind alles Versuche, die Wälder für das immer trockener werdende Klima zu rüsten. Doch der Waldumbau ist teuer. Exotische Baumarten kosten pro Stück um die 4,50 Euro, eine Tanne beispielsweise zwischen 0,80 und 1,20 Euro.
Hinzu kommen Ausfälle durch Trockenheit, Wildschäden oder rücksichtslose Menschen. „Bäume, Tiere, Menschen, Forstwirtschaft und Jagd – es wird immer enger im Wald.“