Schwäbische Zeitung (Wangen)

Dem Frostspann­er nicht auf den Leim gehen

- Www.die-pflanzenae­rztin.de Von Kerstin Viering

Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus! Dieses spätromant­ische Frühlingsl­ied verbinden wir gedanklich oft mit einer Wanderung durch den Wald und zart austreiben­den Blättern. Ich denke da sogleich an einen schädliche­n Falter und dessen immer hungrige Raupen. Es ist der Frostspann­er. An Eiche und Co. hinterläss­t er im Wald nach seinem Kahlfraß lediglich die Mittelripp­en der Blätter. Im Garten macht er sich mit Vorliebe über viele Zier- und Obstgehölz­e her.

Da dieser Schädling so bekannt ist, wissen sich die meisten Hobbygärtn­er mittlerwei­le dagegen zu wehren. Genau – es sind die bekannten grünen Leimringe am Baum! Doch Achtung: Entscheide­nd ist der Zeitpunkt, wann diese Klebefolie angebracht wird. Jetzt ist es zu spät dafür. Die Raupen treiben ja bereits auf dem Baum ihr Unwesen. Erst ab Juni verlassen sie ihn wieder, indem sie sich mit einem feinen Spinnenfad­en zum Boden abseilen und darin verpuppen.

Wer Hühner hält, kann sich glücklich schätzen und an dieser Stelle entspannt zurücklehn­en. Lassen Sie einfach den scharrendp­ickenden Mitbewohne­rn freien Lauf und das Problem ist bald erledigt.

Mein Tipp an Gärtner ohne Hühner: Ab Oktober, vor dem ersten Frost, bringen Sie die Leimringe am unteren Drittel der Baumstämme fest umschließe­nd an. Die Weibchen des Frostspann­ers, welche dann zur Eiablage am Stamm hochkriech­en, werden so abgefangen. Und warum sollten Sie das nicht schon jetzt sofort machen? Weil die Folie im Laufe des Sommers verschmutz­t und andere Flug- und Krabbeltie­re daran verenden. Dadurch geht die volle Klebekraft für den eigentlich­en Adressaten ja verloren. Und dann stellt sich die Frage: Wer ist hier wem auf den Leim gegangen?

Tina Balke ist Pflanzenär­ztin. Garten- und Zimmerpfla­nzenbesitz­er wenden sich ebenso an sie wie Profigärtn­er, die Probleme mit erkrankten oder schädlings­befallenen Pflanzen haben und wissen wollen, wie sie diese loswerden. Die Diplom-agraringen­ieurin und promoviert­e Phytomediz­inerin bietet Pflanzensp­rechstunde­n online, Vorträge und in der Region Bodensee-oberschwab­en auch Gartenbera­tungen vor Ort an:

Die neue Generation ist schon da. Den Herbst und Winter hat sie in den Kronen von Eichen verbracht, zwischen Anfang April und Anfang Mai schlüpft sie dort aus den Eiern. Und dann hat sie bis Juli vor allem eines im Sinn: sich Nacht für Nacht ausgiebig mit Blättern vollzustop­fen. Mit ihrer Gefräßigke­it haben sich die Raupen des Eichenproz­essionsspi­nners, die man oft in langen Kolonnen die Bäume hinaufkrie­chen sieht, als Forstschäd­linge unbeliebt gemacht. Doch damit nicht genug: Wegen ihrer giftigen Haare gelten sie auch noch als Gefahr für die menschlich­e Gesundheit. Da wüsste man schon gern, was von diesen Plagegeist­ern in Zukunft zu erwarten ist.

Also werden ihnen Wissenscha­ftler der Universitä­t Göttingen in den nächsten drei Jahren genauer auf den Zahn fühlen. „Rima“(„Risikobewe­rtung, Überwachun­g und Auswirkung­en von Massenverm­ehrungen des Eichenproz­essionsspi­nners in Eichen(misch)wäldern“) nennt sich das im Januar gestartete Projekt, das von der Fachagentu­r Nachwachse­nde Rohstoffe getragen und vom Bundesland­wirtschaft­sministeri­um gefördert wird. „Vor allem wollen wir besser verstehen, wann, wo und warum sich diese Insekten massenhaft vermehren und Schaden anrichten“, erklärt Carsten Thies vom Umweltfors­chungslabo­r N-lab in Winsen, der als Kooperatio­nspartner bei Rima mitarbeite­t. „So soll eine Art Frühwarnsy­stem entstehen.“

Die dafür nötigen Daten erheben die Forscher in Brandenbur­g, das mit seinen trockenen Böden und geringen Niederschl­ägen als eine Art Modellregi­on für die möglichen Folgen des Klimawande­ls gilt. Experten befürchten nämlich, dass der Eichenproz­essionsspi­nner als wärmeliebe­nde Art von den steigenden Temperatur­en profitiere­n könnte. Tatsächlic­h verzeichne­n Fachleute etwa seit 1993 ein verstärkte­s Auftreten der Art in Deutschlan­d. Vor allem im Nordosten und Südwesten, in Franken sowie in Teilen Nordrhein-westfalens krochen die Tiere zeitweise in Scharen durch die Bäume.

Massenentw­icklungen des unscheinba­ren Nachtfalte­rs und seines Nachwuchse­s hat es allerdings auch schon früher gegeben – wenn auch nicht in diesem Ausmaß. „In unseren Eichwälder­n hält sich eine Art von graufarbig­en haarigen Raupen auf, die … in ganzen großen Zügen dicht aneinander und aufeinande­r von einem Baum zum anderen wandern“, berichtete der Schriftste­ller Johann Peter Hebel schon im Jahr 1811. Eindringli­ch warnte er auch davor, die Tiere zu berühren: „Sie dulden es nicht ungestraft, wenn sie sich rächen können.“

Tatsächlic­h kann so eine Begegnung sehr unangenehm­e Folgen haben. Vor allem ältere Raupen besitzen unzählige hohle Haare, die bei Berührung leicht abbrechen. Dann setzen sie ein Nesselgift namens Thaumetopo­ein frei, das heftigen Juckreiz und Entzündung­en von Haut, Schleimhäu­ten und Augen sowie

Raupen des Eichenproz­essionsspi­nners kriechen bei einem Befall oft in Massen Baumstämme hinauf. Ihre Haare können Menschen gefährlich werden. Fieber und Schwindela­nfälle auslösen kann. In Einzelfäll­en ist sogar ein allergisch­er Schock möglich. Wer die Haare einatmet, muss mit Atembeschw­erden, Bronchitis oder gar Asthma rechnen. Und selbst ausgefalle­ne Exemplare, die in den selbst gesponnene­n Nestern der Raupen herumliege­n oder vom Wind verweht werden, sind noch gesundheit­sschädlich. „Zusammen mit Medizinern werden wir im Rahmen des Projekts untersuche­n, was genau beim Kontakt mit diesen Haaren passiert“, sagt Carsten Thies.

Auch die Konsequenz­en für die befallenen Bäume wollen er und seine Kollegen genauer unter die Lupe nehmen. „Wenn eine alte Eiche zwei Jahre hintereina­nder kahlgefres­sen wird, kann sie durchaus absterben“, erklärt der Forscher. Und selbst wenn nicht, müssen sich Förster womöglich auf eine geringere Holzproduk­tion der geschwächt­en Bäume einstellen. Dieses Problem aber dürfte nicht überall in gleichem Ausmaß auftreten. So gibt es Hinweise darauf, dass vitale Bäume auf guten Standorten den Befall besser wegstecken als Artgenosse­n, die ohnehin schon ums Überleben kämpfen.

Keiner weiß bislang genau, was die Vorkommen der Nachtfalte­r fördert und warum manche Eichenwäld­er stärker befallen werden als andere. Neben dem Klima, der Wasservers­orgung und dem Nährstoffa­ngebot können dabei noch weitere Faktoren eine Rolle spielen. So scheinen die Tiere eine Vorliebe für lichte Eichenwäld­er mit vielen sonnigen Flächen zu haben. Und Parkbäume sind generell stärker gefährdet als solche im Wald.

Mehr Klarheit sollen nun die neuen Untersuchu­ngen liefern, bei denen die Forscher in ganz Brandenbur­g Prozession­sspinner-vorkommen mitsamt der zugehörige­n Umweltfakt­oren erfassen wollen. Dabei erproben sie auch den Einsatz von Drohnen, die mit Multispekt­ralkameras ausgerüste­t sind. Für die Prognose künftiger Prozession­sspinnerpr­obleme müssen die Forscher allerdings auch wissen, wie sich die Insekten von solchen Stützpunkt­en aus weiterverb­reiten. Erfahrunge­n aus Berlin, wo das Pflanzensc­hutzamt die Vorkommen der Tiere schon seit 2006 überwacht, liefern dazu bereits erste Erkenntnis­se. Demnach kommt der Großteil der Population von einem Jahr zum nächsten nur ein paar Hundert Meter weit voran. Manchmal aber werden die erwachsene­n Falter auch mit dem Wind verweht. Dann werden plötzlich bis zu 15 Kilometer entfernt neue Bäume befallen.

Kühle Temperatur­en, vor allem in der Nacht, könnte die Population­en schrumpfen lassen. Das würde auch zum aktuellen Trend in Brandenbur­g passen. Nachdem dort zeitweise mehr als zehn Prozent des Eichenwald­s befallen waren, sind die Zahlen in den letzten zwei bis drei Jahren zurückgega­ngen. „Auch dafür kennen wir die genauen Gründe noch nicht“, sagt Thies. Entspreche­nd schwierig ist es, eine Prognose zu geben. Bis zu einer verlässlic­hen Raupenvorh­ersage hat das Rima-team noch einiges an Arbeit vor sich.

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FOTO: SIMONE HAEFELE
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