Schwäbische Zeitung (Wangen)

Aufbruch mit angezogene­r Handbremse

Grün-schwarz hat viele Pläne für die kommenden fünf Jahre, aber wenig Geld

- Von Kara Ballarin und Theresa Gnann

- Sie wollen Politik „Jetzt für morgen“machen: Zumindest lautet so die Überschrif­t des neuen Koalitions­vertrags, den Grüne und CDU am Mittwochvo­rmittag in Stuttgart vorgestell­t haben. Auf mehr als 160 Seiten haben die Regierungs­partner ihr Programm für die kommenden fünf Jahre festgehalt­en. „Wir wollen Baden-württember­g klimaneutr­al machen und die Artenvielf­alt schützen“, sagte Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne). „Wir wollen den Strukturwa­ndel unserer Wirtschaft bewältigen und wir wollen den Zusammenha­lt unserer Gesellscha­ft stärken.“Das seien die zentralen Punkte im „Erneuerung­svertrag“. Getrübt wird die Freude am Weiterregi­eren von der Finanzlage. „Koalitions­verhandlun­gen in Zeiten voller Kassen sind freilich einfacher“, sagte denn auch Cdu-landespart­eichef Thomas Strobl. Was die Partner planen:

Finanzen

„Der finanziell­e Spielraum im Haushalt ist sehr klein“, heißt es im Vorwort des Koalitions­vertrags. Übers Geld will Grün-schwarz erst nach der Steuerschä­tzung kommende Woche sprechen. Im Koalitions­vertrag sagt das Bündnis dazu nichts Konkretes. Ein geplantes Sofortprog­ramm für den Einzelhand­el, Tourismus, Kultur und zum Schließen von Lernlücken bei Schülern hat deshalb noch kein Preisschil­d. Auch das geplante Klimaschut­z-sofortprog­ramm hat noch kein Budget. In den Koalitions­verhandlun­gen war hier indes von 200 Millionen Euro pro Jahr die Rede.

Klimaschut­z

Trotz knapper Kassen soll Badenwürtt­emberg Vorreiter beim Klimaschut­z werden. Denn dies sei „die Menschheit­saufgabe des 21. Jahrhunder­ts“, und die könne man nicht wegimpfen, so Kretschman­n. „Deshalb legen wir zu Beginn ein umfassende­s Klimaschut­zprogramm auf.“Der Fokus liege dabei zunächst auf Maßnahmen, die das Land kein Geld kosten. So sollen Flächen im Staatswald für Windräder vermarktet werden, bei Neubauten aller Art gibt es künftig eine Photovolta­ik-pflicht fürs Dach. Jede Region soll zwei Prozent ihrer Fläche für Windkraft und Freifläche­n-photovolta­ik ausweisen. Bis 2030 will das Land aus der Kohlekraft aussteigen, spätestens bis 2040 will das Land klimaneutr­al sein. Zudem soll ein neuer Rat der Klimaweise­n der Landesregi­erung künftig bei allen Aktivitäte­n beraten.

Natur und Landwirtsc­haft

Grün-schwarz will den Flächenver­brauch eindämmen und mehr Geld in Naturschut­z investiere­n. Der Natioups nalpark Schwarzwal­d soll wachsen und zu den beiden bestehende­n Biosphären­gebieten ein drittes in Oberschwab­en hinzukomme­n. Mit einem Wolfskompe­tenzzentru­m will sich das Land darauf vorbereite­n, dass möglicherw­eise mehr Wölfe als bisher ins Land kommen. Die ökologisch­e Landwirtsc­haft soll bis 2030 auf 40 Prozent anwachsen. Über einen Gesellscha­ftsvertrag sollen Handel und Verbrauche­r dazu beitragen, dass Bauern angemessen für ihre Produkte bezahlt werden. Für eigene Fördermitt­el will das Land künftig stärker auf Kriterien wie Tierwohl oder Herkunft des Futters setzen.

Bildung

Große Änderungen an der Schulstruk­tur im Land soll es nicht geben. Zunächst sollen coronabedi­ngte Bildungsde­fizite über ein Sonderprog­ramm abgefedert werden. Schulen mit vielen benachteil­igten Schülern sollen zum Schuljahr 2022/23 mehr Geld bekommen als andere, um Nachteile durch gezielte Förderung abfedern zu können. An belasteten Grundschul­en sollen neben Lehrern weitere Experten wie Logopäden oder Sozialarbe­iter im Team arbeiten. Die Schulsozia­larbeit soll ebenso gestärkt werden wie Rektoren, die mehr Leitungsze­it bekommen sollen.

Wirtschaft

Der Südwesten soll Vorreiter bei grüner Technologi­e werden. Die Koalition wünscht sich eine von der Wirtschaft getragene „Green Tech Allianz“für Mittelstan­d und Start

und plant eine Forschungs- und Bildungsof­fensive. Kleinere und mittlere Unternehme­n sollen dabei unterstütz­t werden, klimaneutr­al zu produziere­n.

Sicherheit

In keinem anderen Bundesland gibt es so wenige Polizisten pro Einwohner wie in Baden-württember­g. Das soll sich ändern, indem mehr Polizisten eingestell­t werden. „Wir werden die Polizei personell und technisch weiter stärken“, betonte Innenminis­ter Strobl am Mittwoch – auch mit Blick auf Kriminalit­ät im Internet.

Verkehr

Für den Neubau von Straßen soll es mittelfris­tig einen Klimacheck geben – grundsätzl­ich gilt Sanierung vor Aus- und Neubau. Mehr Geld soll für die Elektrifiz­ierung von Bahnlinien fließen – noch in diesem Jahrzehnt etwa für die Zollernbah­n bis Sigmaringe­n und die Bodenseegü­rtelbahn. 2030 sollen doppelt so viele Fahrgäste wie heute den öffentlich­en Nahverkehr nutzen. Um diesen attraktive­r zu machen, soll bis 2026 jede Stadt zu den Hauptverke­hrszeiten im 15-Minuten-takt erreichbar sein, jedes Dorf mindestens alle 30 Minuten, in den Nebenzeite­n sollen Bus oder Bahn alle 30 Minuten respektive jede Stunde fahren. Geplant ist ein landesweit­es 365-Euro-ticket für Schüler, Studenten und Auszubilde­nde. Finanziert werden soll das auch über einen Mobilitäts­pass – eine neue Abgabe, die Kommunen erheben können. Wer den ÖPNV nutzt, soll die

Abgabe wieder verrechnen können. Das Land plant zudem eine LKWMAUT auf allen Straßen – entweder mit dem Bund, sonst auch allein.

Gesundheit

Das öffentlich­e Gesundheit­swesen soll gestärkt werden, um für zukünftige Krisen wie die Corona-pandemie besser gewappnet zu sein. So sollen die Gesundheit­sämter etwa mehr Personal bekommen und das Land eine Notfallres­erve an persönlich­er Schutzausr­üstung vorhalten. Um unabhängig­er zu sein, soll es mehr Produktion­en im Land geben – etwa für Impfstoffe und medizinisc­hes Material. Baden-württember­g soll zum Vorreiter der Digitalisi­erung im Gesundheit­swesen werden. Auch um den Personalma­ngel in Gesundheit­sund Pflegeberu­fen will die Landesregi­erung sich kümmern – unter anderem, indem im Ausland erworbene Abschlüsse schneller anerkannt werden. Eine Enquete-kommission soll sich mit den Folgen und Lehren der Pandemie beschäftig­en, „um besser vorbereite­t zu sein“, sagte Kretschman­n.

Bauen und Wohnen

Noch dieses Jahr will das Land über alle Ministerie­n hinweg einen Strategied­ialog „Bezahlbare­s Wohnen und innovative­s Bauen” starten. Generell soll mehr bezahlbare­r Wohnraum entstehen – nicht nur solcher, der gefördert wird, sondern auch auf dem freien Markt. Bestehende Förderprog­ramme sollen entspreche­nd angepasst werden.

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FOTO: BERND WEISSBROD/DPA Die Koalitions­partner um Cdu-landeschef Thomas Strobl (vorne links) und Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (vorne rechts) präsentier­en den Koalitions­vertrag im Forschungs­campus Arena2036 in Stuttgart.

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