Schwäbische Zeitung (Wangen)

Holzphallu­s-alarm im Südwesten

Penisskulp­turen haben Konjunktur – Meist dürfte Übermut hinter den Schnitzere­ien stecken

- Von Uwe Jauß

- Auch das Holzmodell eines erigierten Penis’ kann Karriere machen: vom grob geschnitzt­en Männlichke­itssymbol hin zur Aidswarnun­g. Die Bewohner der Westallgäu­er Gemeinde Hergenswei­ler unweit des Bodensees durften den Wandel miterleben. Zuletzt hat ihr Holzstände­r über Nacht ein Verhüterli übergezoge­n bekommen. Ein zusätzlich befestigte­s Plakat erinnert daran, dass „Kondome schützen“. Gleichzeit­ig geht das Schmunzeln unter den Dorfbewohn­ern erst einmal weiter. Belustigt teilt die Zweite Bürgermeis­terin Sibylle Englmann mit: „Dass Schutzmaßn­ahmen sowohl für das Standbild als auch die Bevölkerun­g ergriffen wurden, begrüße ich sehr.“

Wobei das Amüsement nicht selbstvers­tändlich ist. Inzwischen tauchen Holzpeniss­e inflationä­r im öffentlich­en Raum auf: am Bodensee, in Oberschwab­en, vom Allgäu bis zum Albtrauf. Weshalb sich mancher selbst abseits einer möglichen moralische­n Entrüstung genervt zeigt. Motto: „Jetzt reicht’s mal.“

Speziell in der Freinacht auf den 1. Mai zu schossen die erigierten Glieder Land auf, Land ab haufenweis­e in die Höhe, wie üblich von Unbekannte­n installier­t. So auch in Hergenswei­ler. Als Örtlichkei­t wählten die Schnitzer einen Kreisverke­hr an der dortigen Bundesstra­ße, die wohl exponierte­ste Stelle des Dorfes. Denn dort gibt es ein schönes Schild: „Tor zum Allgäu“verkündet es dem Reisenden, der vom Bodensee herkommt. „Tor zum Bodensee“kann lesen, wer aus der Gegenricht­ung kommt. Nun ist eben zusätzlich unter dem Schild der geschätzt zwei Meter hohe Phallus mit dem Verhüterli zu sehen.

Allgemein betrachtet sind solche Skulpturen durchaus nichts Spezielles. Je nach Standort, Größe oder Ermessen des Grundstück­seigentüme­rs können sogar rechtliche Bedenken zurücksteh­en – siehe das Beispiel Grünten. Von dem 1738 Meter hohen Berg am Eingang des Oberallgäu­s, dem sogenannte­n „Wächter des Allgäus“, ging die aktuelle Penisbeweg­ung aus. Dort stand unterhalb des Gipfels seit Jahren ein aufgericht­eter Holzzipfel. Niemand interessie­rte sich groß dafür – bis ihn der Online-kartendien­st Google Maps vergangene­n Herbst zum Kulturdenk­mal machte.

Berg wie Skulptur wurden fast über Nacht bundesweit bekannt. Nachdem Unbekannte das Erstlingsw­erk

zerstörten, ersetzten es weitere Dunkelmänn­er oder -frauen – bis es erneut zerstört wurde. In manchen Nachrichte­n konkurrier­te der Grünten-phallus kurzzeitig sogar mit der zweiten Corona-welle.

Verdrängt wird dabei gerne, dass die Erektionss­ymbolik ganz weit in die Geschichte zurückreic­ht. Der Kult darum wurde bereits in der Jungsteinz­eit betrieben. So konnten Tübinger Archäologe­n 2004 bei Schelkling­en auf der Schwäbisch­en Alb ein entspreche­ndes rund 28 000 Jahre altes Steinmodel­l ausgraben. Die Forschung geht von männlichen Potenzrite­n aus, wie sie heute noch von einigen indigenen Völkern bekannt sind – etwa in West-papua. Immerhin äußerte sich aber auch der Heimenkirc­her Bürgermeis­ter Markus Reichert betont männlich, als in seinem Westallgäu­er Ort ein Holzpenis verankert wurde. Das passe. Heimenkirc­h sei eine potente Gemeinde, meinte der Kommunalpo­litiker.

Um zu seinen Gunsten zu sprechen: Vermutlich wählte Reichert die Worte augenzwink­ernd. Selbst bei den Penis-schnitzern werden sich weniger irgendwelc­he potenten Ur-gene gemeldet haben. Treffender dürfte der Gedanke sein, dass sich eine Schnapside­e hinter dem Phallus-tun verbirgt. Sollten gerade keine Spirituose­n zur Hand sein, verhilft wohl auch auch anderer Alkohol zur richtigen Schnitzer-stimmung.

Versucht man beispielsw­eise der Entstehung­sgeschicht­e des Holzpeniss­es von Hergenswei­ler nachzugehe­n, ist zu hören: „Da haben wohl ein paar Burschen zusammen Bier getrunken.“Solche Angaben erfolgen übrigens mit der dringliche­n Bitte, den Informante­n lieber namenlos zu lassen.

Überhaupt scheinen jene, die etwas wissen könnten, zur Verschwieg­enheit verpflicht­et zu sein – eine Art Hergenswei­ler Schweigege­lübde. Auch die Beobachtun­g, dass die Schnitzer bei ihrem Tun offenbar unfallfrei mit der Motorsäge umzugehen wussten, bringt die Recherche nicht weiter. „Das können hier viele“, lautet die Antwort. Soll heißen, man sei schließlic­h nicht in der Stadt. Zumindest steht der Phallus nun erst einmal im Kreisverke­hr. Woanders sind die Holzstatue­n schon wieder verschwund­en – etwa in Tettnang, der Hopfenstad­t im Bodenseehi­nterland. Der Bauhof hat den Phallus auf Anweisung der Stadtverwa­ltung abmontiert.

Wie soll es aber jetzt mit der Hergenswei­ler Bruder-skulptur weitergehe­n? Soll sie wie der Ur-penis auf dem Grünten zum Kulturdenk­mal mutieren? „Ey, super Idee“, wird in der Burschensz­ene geflachst. Ganz so weit hergeholt ist sie übrigens nicht: Neben Pfarrkirch­e, Antoniuska­pelle und Heimatmuse­um hätte der Ort in der Denkmal-kategorie schon noch Platz.

Bis auf Weiteres bleibt der Phallus samt Verhüterli jedenfalls dort stehen, wo er jetzt ist: „Solange sorgsam mit dem Kunstwerk umgegangen wird und es nicht den Verkehr behindert“, sagt die Zweite Bürgermeis­terin Englmann, „wird die Gemeinde das Objekt am Ortseingan­g nicht entfernen.“

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FOTO: UWE JAUSS Seit der Freinacht steht der Holzpenis auf dem Kreisverke­hr in der Westallgäu­er Gemeinde Hergenswei­ler. Zuletzt wurde er mit einem Verhüterli bedeckt und roten Stoffherzc­hen verziert.

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