Schwäbische Zeitung (Wangen)

Aus dem Zimmer hinaus in die Welt

Der neue Roman von Andreas Maier birgt Reiseerinn­erungen ganz eigener Art

- Von Stephan Maurer

Mit „Das Zimmer“hatte es begonnen, dann nahm Andreas Maier „Das Haus“in den Blick, es folgt „Der Ort“, „Die Universitä­t“, „Die Familie“. In seinem groß angelegten autobiogra­fischen Zyklus unter dem Titel „Ortsumgehu­ng“wendet sich der Autor aus dem hessischen Friedberg nun dem Reisen zu. Sein neuer Roman heißt „Die Städte“– es ist wieder ein schmaler Band von knapp 200 Seiten, oft komisch, manchmal auch etwas trocken.

Maier, Jahrgang 1967 (Foto: dpa), ist alles andere als ein typischer reiselusti­ger Deutscher. Er bewegt sich eher selten aus seiner hessischen Heimat heraus. „Ich bin kein Tourist, habe Reisen nie gemocht“, schrieb er im vergangene­n Jahr in einem Artikel für die „Frankfurte­r Allgemeine Zeitung“(FAZ). Nur zweimal in seinem Leben sei er überhaupt geflogen. Seine Romanschil­derungen beginnt er denn auch mit einer Reise, gegen die er sich nicht wehren konnte: Als Siebenjähr­iger mit Eltern und Geschwiste­rn nach Südtirol.

„Nürnberg, Brenner, Brixen“, heißt das Kapitel und beschreibt eine typische Urlaubsrou­te der damaligen Zeit. „Am Vorabend wurde gepackt, die Koffer wurden neben die Eingangstü­r postiert und der Wecker auf eine so frühe Uhrzeit gestellt, dass wir noch vor dem Berufsverk­ehr das Autobahnkr­euz Nürnberg passiert hatten.“Der Wagen rast über die Autobahn, der Vater steuert, die Mutter reicht Brote nach hinten. Es sind die typischen, beiläufig einfließen­den Andreas-maierbeoba­chtungen, die das Lesen vergnüglic­h machen: „Kreuz soundso, Kreuz soundso. Bald sind wir am nächsten Kreuz, und der Vater kündigt es an: Bald sind wir am Kreuz soundso. Vielleicht ist es der einzige Satz, der in einer Zeitspanne von zwanzig, dreißig Minuten fällt.“

Ein paar Jahre später macht Maier mit Eltern und Schwester eine Rundreise durch Griechenla­nd und entdeckt die Vorteile des Ouzotrinke­ns. Als Sechzehnjä­hriger trampt er nach Südfrankre­ich. Im Piemont plant er gar einen Selbstmord, weil seine bisherigen

Schreibver­suche nichts gebracht haben, doch stattdesse­n trifft er auf eine attraktive junge Italieneri­n.

Mit erstaunlic­hem Erinnerung­svermögen beschreibt Andreas Maier diese Reisen. Manches liest sich etwas zäh, allzu protokolla­risch („Der Tag verlief dem gestrigen ähnlich, wir kauften wieder Baguette, Käse und Wein“), doch dafür entschädig­en seine lakonische­n Bemerkunge­n, etwa über die gefürchtet­en Urlaubsfot­os: Eine Freundin präsentier­t ihm stapelweis­e Fotos aus Bangkok; sie weiß zwar nicht mehr, was diese eigentlich zeigen, versichert aber, dass es dort „schön“und „toll“gewesen sei. Der Roman endet schließlic­h in Weimar, wo der junge Autor eine Lesung hat.

In „Die Städte“entfaltet Andreas Maier mit scharfer Beobachtun­gsgabe das Porträt einer mobilitäts­besessenen Gesellscha­ft – und das ausgerechn­et in einer Zeit, in der ein Virus das Reisen nahezu unmöglich gemacht hat. (dpa)

„Wenn diese ganze gesellscha­ftliche Aufregung vorbei ist, dann werden wir auf entgegenge­setzte Weise unaufgereg­t akzeptiere­n, dass wir in einer neuen Normalität angekommen sind. Es ist ein Paradigmen­wechsel.“

Zitat aus dem Buch

Suhrkamp Verlag, 190 Seiten, 22 Euro.

Andreas Maier: Die Städte.

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Andreas Maier
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