So will das RP nun Kunstflüge stoppen
Über dem Naturschutzgebiet Wurzacher Ried soll Ruhe einkehren
- Bewegung scheint in die Frage der Kunstflüge über dem Wurzacher Ried gekommen zu sein.
Seit mehreren Jahren sorgen die Kunstflüge über dem mit dem Europadiplom ausgezeichneten Naturschutzgebiet in der Stadt für Diskussionsstoff. Auch wenn sich nicht jeder in der Bürgerschaft daran stört, zeigen sich die Verantwortlichen in Stadt und Naturschutz zunehmend davon genervt. Alle Versuche, die Flüge zu unterbinden, liefen bislang aber ins Leere.
„Es ist rechtlich ganz schwierig, weil in der Höhe, in der der Kunstflieger unterwegs ist, die Gesetze so nicht mehr gelten, auch nicht das Naturschutzgesetz. Dort herrscht das Luftverkehrsrecht, und da brauche ich mit Naturschutz nicht zu kommen“, schilderte Horst Weisser, Leiter des Naturschutzzentrums (NAZ) Wurzacher Ried, im vergangenen Jahr die Lage, die so der „Schwäbischen Zeitung“auch vom Regierungspräsidium (RP) und der Deutschen Flugsicherung (DFS) bestätigt wurde.
Am Erdboden ist die Gesetzeslage eindeutig: Erst kürzlich war eine Spaziergängerin im Wurzacher Ried von der Polizei streng ermahnt worden, weil sie Naturschutzgebiet die erlaubten Wege verlassen hatte, um Aufnahmen von Vögeln zu machen. Ein „Warnschuss“in Richtung derer, die sich nicht an die Ge- und Verbote halten. Denn, so Weisser damals, ein Naturschutzgebiet sei eben in allererster Linie dafür gedacht, die Natur zu schützen.
Ausgewiesene Wege zu verlassen, könne „fatale Folgen“haben, erläuterte der NAZ-CHEF: „Die Frau war zum Beispiel ausgerechnet in der Ecke, in der unser einziges Kranichpaar gerade brütet. Und diese Tiere sind so sensibel, dass solche Störungen zur Aufgabe der Brut führen können.“Die Kraniche seien dabei derzeit nicht die einzigen, die in dieser wichtigen Zeit gestört werden können. „Alle Vögel sind im Moment am Brüten“, sagt Horst Weisser. Wenn nun schon Spaziergänger die Vögel dermaßen massiv stören, wie mag es den Tieren erst ergehen, wenn ein Flugzeug längere Zeit dröhnend über dem Ried seine Runden dreht?
Im Ried lebende Tiere, oftmals als gefährdete Arten streng geschützt, würden den Kunstflieger als Raubvogel wahrnehmen, „und dann verschwinden sie von hier eben einfach“, sagt Weisser. Hinzu kommen die Abgase, „die meiner Meinung nach bei so einem Flug freiwerden. Auch das braucht das Ried nicht.“Seine Meinung als oberster Riedverantwortlicher und Naturschutzexperte ist dabei eindeutig. „Über so einem Gebiet wie dem Wurzacher Ried dürfen keine Flüge stattfinden.“
Weisser weiter: „Die Flüge haben nicht nur eine nachteilige Wirkung auf die Tierwelt. Sie stellen die Sinnhaftigkeit des gesamten Naturschutzes mit all seinen Beschränkungen für den Menschen infrage.“Eine angestrebte einvernehmliche Lösung ist mit den Kunstflug-verantwortlichen – es handelt sich nach Auskunft des RP um die Flugschule im nahe gelegenen Tannheim – nicht erreicht worden. Er rückt offenbar von der genehmigten Kunstflugbox über dem Wurzacher Ried nicht ab. Und das zuständige Bundesverkehrsministerium sieht keinen Grund, die Gesetzeslage zu ändern. Es steht auf dem Standpunkt, dass diese den Schutzbedarf von Gebieten unter den Kunstflugboxen genügend berücksichtigt.
Nun habe die Höhere Naturschutzbehörde im Regierungspräsidium Tübingen weitere rechtliche
Möglichkeiten hierzu geprüft, informierte Weisser dieser Tage. Und dabei habe sich, so sein Kenntnisstand, ergeben, dass die Schutzgebietsverordnung (NSG-VO) das Verbot enthalte, „ohne zwingenden Grund Lärm zu verursachen“.
Rechtliche Konsequenz sei, dass die Flugschule zusätzlich zur grundsätzlichen Genehmigung ihrer Flüge eine naturschutzrechtliche Befreiung benötige.
Die Tübinger Behörde bestätigt Weissers Ausführungen auf Anfrage. „Es ist zutreffend, dass das Regierungspräsidium Tübingen die Flugschule Tannheim auf die Notwendigkeit einer zusätzlichen naturschutzrechtlichen Befreiung für die Durchführung von Kunstflügen über dem Naturschutzgebiet Wurzacher Ried hingewiesen hat. In diesem Zusammenhang wurde die Flugschule Tannheim auch auf die sich aus der Naturschutzgebietsverordnung ergebende Rechtslage hingewiesen“, heißt es in der Antwort aus der Rppresseabteilung. Ein entsprechender Antrag der Flugschule auf Befreiung von dem Verbot der Naturschutzgebietsverordnung sei beim Regierungspräsidium
Tübingen bislang nicht eingegangen.
Damit besteht in Weissers Augen nun die Möglichkeit, „mit großen Erfolgsaussichten“den „lärmenden Kunstflug“über dem Ried bei der Unteren Naturschutzbehörde im Landratsamt Ravensburg anzuzeigen und ahnden zu lassen.
Das höre sich „auf den ersten Blick sehr hoffnungsvoll an“, fasst Weisser zusammen. „Vielleicht lässt sich auf diesem Weg diesem seit Jahren Natur und Mensch stark belastenden Zustand, rein zum Vergnügen einiger Wenigen bar jedwedem Respekt und Verantwortungsgefühl für unsere sich ohnehin im freien Fall befindliche Artenvielfalt wie auch für die Gesundheit der örtlichen Bürgerschaft, ein Ende setzen.“
Der NAZ-CHEF ist sich freilich nicht sicher, „ob dies den luftfahrttechnischen Vorgaben Stand hält“. Das werde sich aber nach den ersten Anzeigen wohl schnell herausstellen.
Die Flugschule in Tannheim hat eine am Dienstag gemailte Bitte um ein Gespräch bis Redaktionsschluss nicht beantwortet.