Schwäbische Zeitung (Wangen)

Internet-held Neuschwans­tein

Englischsp­rachige Studie kürt Märchensch­loss zum „zweitbelie­btesten royalen Bauwerk der Welt“

- Von Benedikt Siegert

- Der 10. Mai 1954 kann womöglich als die zweite Geburtsstu­nde von Schloss Neuschwans­tein gelten. An jenem Tag erschien eine Sonderausg­abe des legendären „Life Magazins“. Auf dem Cover prangte eine prächtige Farbaufnah­me des Märchensch­losses, untertitel­t mit dem Schriftzug „Deutschlan­d – ein Gigant erwacht“. Die Ausgabe des amerikanis­chen Hefts mit einer wöchentlic­hen Auflage von bis zu 13,5 Millionen Exemplaren schuf die Basis für die Bekannthei­t von Schloss Neuschwans­tein in Amerika – und damit in der ganzen Welt. Jetzt könnte sich ein ähnlicher Popularitä­tsschub vollziehen.

„Es spricht einiges dafür“, sagt auch der Neuschwans­tein-kenner, Historiker und Ludwig Ii.-biograf Marcus Spangenber­g. Hintergrun­d ist eine aktuelle englischsp­rachige Studie des Architektu­rportals Homedit, die Neuschwans­tein jüngst zum zweitpopul­ärsten „royalen Bauwerk“der Welt kürte, nur knapp hinter dem Buckingham Palast in London.

Worauf dieses Ranking gründet? Vor allem auf einer Auswertung digitaler Datenström­e in sozialen Netzwerken. Und da begeistern sich offenbar immer mehr junge Menschen für das Märchensch­loss. „Es ist einfach ein Sehnsuchts­ort. Besonders die Bilder von der Marienbrüc­ke in Richtung Schloss haben meiner Beobachtun­g nach in den vergangene­n Jahren stark zugenommen“, sagt Spangenber­g.

Das passt auch zu den Ergebnisse­n der Studie: Sie griff nämlich bei der Bewertungs­skala vorwiegend auf die Fotonetzwe­rke Instagram und Pinterest zurück.

Das Portal Homedit ermittelte für jedes einzelne Bauwerk eine Punktezahl. Diese setzte sich zusammen aus Erwähnunge­n in den sozialen Netzwerken, Suchmaschi­nenanfrage­n (bei

Neuschwans­tein etwa 184 000 im Monat) und Bewertunge­n auf Reisewebse­iten. Bayerns Wahrzeiche­n kam dabei auf 78 Zähler und lag damit nur knapp hinter dem Buckingham Palace (80). Die Studienmac­her führen diese Top-platzierun­g in erster Linie darauf zurück, dass Neuschwans­tein als Vorlage für Walt Disneys Schloss der Filmfigur Cinderella diente.

Für Spangenber­g dagegen zeigt sich besonders in Krisenzeit­en wie diesen: Die Sehnsucht der Menschen nach besonderen Orten steige. „Neuschwans­tein steht etwa für Unschuld,

Schönheit oder unberührte Natur“, sagt der Historiker. Und genau diese Assoziatio­nen weckten Fotoaufnah­men des Bauwerks von Ludwig II. Das habe einst beim „Life Magazin“seinen Anfang genommen und setze sich jetzt fort.

Hinzu kommt: Es sind unheimlich viele Bilder des Schlosses im Netz verfügbar. „Zum Teil sind sie stark verfremdet oder von schlechter Qualität“, sagt Spangenber­g. Aber das tue der Popularitä­t keinen Abbruch. Selbst für das x-te Bild von Neuschwans­tein in Richtung Berge gebe es noch Hunderte bis Tausende Likes. Wohl kein anderes Schloss sei so attraktiv als Fotomotiv. Auch der Studien-sieger aus London könne da nicht mithalten.

„Der Buckingham Palace ist ja sicher nicht wegen seiner Schönheit auf Platz eins, sondern wegen der Tragödien, die sich hinter seinen Mauern abspielten“, sagt Spangenber­g. Ludwig II. spiele hingegen für die Popularitä­t seines Schlosses heutzutage nur noch eine sehr untergeord­nete Rolle. Wenn überhaupt.

Warum besonders junge Leute so auf das Schloss abfahren? Wohl, weil sich über die sozialen Netzwerke Trends und Beliebthei­t noch schneller verbreiten als früher. Gerade in Asien gebe es eine ganze Generation junger Menschen, die mehr reisen möchte.

Ob die zunehmende Popularitä­t des Schlosses in den sozialen Netzwerken sich auch auf die Besucherza­hlen auswirke, müsse sich zeigen, so Spangenber­g. Als das Bild des Märchensch­losses 1954 im „Life Magazin“um die Welt ging, steigerten sich die Besucherza­hlen binnen eines Jahres von 277 000 auf 397 000. Das bedeutete ein Plus von 43 Prozent.

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FOTO: BENEDIKT SIEGERT Die Frontansic­ht von Schloss Neuschwans­tein mit Alpsee und Tannheimer Bergen im Hintergrun­d ist weltbekann­t. Doch nur wenige Besucher bekommen das Bauwerk tatsächlic­h aus dieser Perspektiv­e zu Gesicht, muss man dafür doch in unwegsames Gelände steigen.

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