Schwäbische Zeitung (Wangen)

Eine vermeintli­ch großzügige Geste

Eu-kommission reagiert zurückhalt­end auf Us-forderung nach Freigabe von Patenten für Corona-impfstoffe

- Von Daniela Weingärtne­r

- Mit seinem Vorstoß, den Patentschu­tz für Corona-impfstoffe auszusetze­n, hat Us-präsident Joe Biden die Europäer in eine schwierige Lage gebracht. Ursula von der Leyen, die Chefin der Kommission der Europäisch­en Union, zeigte sich am Donnerstag grundsätzl­ich offen für die Idee. Experten ihrer Behörde weisen allerdings darauf hin, dass die dafür nötigen Verhandlun­gen im Rahmen der Welthandel­sorganisat­ion (WTO) sich jahrelang hinziehen können. Es gebe wirksamere Wege, um armen Ländern die dringend benötigten Impfstoffe zur Verfügung zu stellen.

Die hochkomple­xen mrna-impfstoffe, wie sie Biontech, Moderna und auch Curevac herstellen, sind nicht durch ein einzelnes Patent geschützt, vielmehr liegen ihrer Entwicklun­g 80 bis 100 einzeln beim Patentamt registrier­te Komponente­n zugrunde. Da die Forschung an diesen Rezepturen ursprüngli­ch darauf ausgericht­et war, wirksamere Medikament­e und Therapien gegen Krebs zu entwickeln, ermöglicht ihre Offenlegun­g tiefe Einblicke in andere Geschäftsf­elder der Unternehme­n. Die Enteignung geistigen Eigentums ginge also weit über die aktuelle Impfstoffp­roduktion hinaus.

Kein Wunder also, dass die Pharmahers­teller sich vehement gegen die Patentauss­etzung wehren. Die Aktien der betroffene­n Unternehme­n verloren nach Bidens Ankündigun­g stark an Wert. Befürworte­r der Freigabe argumentie­ren aber, viele Staaten hätten die Impfstoffe­ntwicklung mit großen Summen gefördert, letztlich gehöre das Produkt also nicht dem jeweiligen Unternehme­n, sondern der Allgemeinh­eit.

Schon jetzt sieht das Trips-abkommen, das im Rahmen der WTO den Schutz geistigen Eigentums regelt, Ausnahmen in Notsituati­onen vor – dazu gehören auch Pandemien wie die aktuelle. Die ärmsten Länder erhalten bei Anwendung des Abkommens Sonderrech­te, die ihnen eine Produktion der Wirkstoffe ohne Lizenzgebü­hren ermögliche­n würden. Schwellenl­änder wie Indien haben einen erleichter­ten Zugang. Das allein wird aber nicht dafür sorgen, dass sehr schnell mehr Impfstoff vorhanden ist und weltweit mehr geimpft werden kann. Denn selbst wenn ein Unternehme­n verpflicht­et wird, den Patentschu­tz aufzuheben oder Produktion­slizenzen auszugeben, muss es noch lange nicht sein Knowhow mit dem Lizenznehm­er teilen.

Die Produktion­sprobleme bei Astrazenec­a und teilweise auch bei Biontech haben gezeigt, dass zur erfolgreic­hen Produktion eines komplexen Impfstoffs deutlich mehr gehört als die Erlaubnis, ihn herstellen zu dürfen. Jahrelange Erfahrung im Umgang mit der neuen Technologi­e ist ebenso wichtig wie gute Produktion­sbedingung­en und erfahrenes Personal

– von den Rohstoffen ganz zu schweigen. 280 Komponente­n aus 19 Ländern müssen zusammenge­rührt werden, um einen mrna-impfstoff herzustell­en. Auch die Trägersubs­tanz und sogar die Abfüllfläs­chchen sind derzeit schwer zu bekommen.

Keinesfall­s will die Eu-kommission die Entspannun­g gefährden, die nach Joe Bidens Amtsüberna­hme das transatlan­tische Klima prägt. Deshalb sagt kein Politiker laut, was in Wahrheit alle denken: Joe Bidens Vorschlag kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem seine eigene Bevölkerun­g bereits gut mit Impfstoff versorgt ist. Weiterhin lassen die USA dringend für die Impfstoffp­roduktion

benötigte Rohstoffe nicht aus dem Land. Dieses Problem wird nun überdeckt von der vermeintli­ch großzügige­n Geste des Präsidente­n.

Während Biden in der Impfkampag­ne durchaus der „America-first“maxime seines Vorgängers nacheifert­e, hat die EU sich vergleichs­weise großzügig gezeigt. Sie lieferte fast ebenso viel Impfstoff in Drittlände­r wie sie an die eigene Bevölkerun­g verteilte. Joe Biden solle nun erst einmal erklären, wie er sich die Verhandlun­gen mit den Pharmakonz­ernen und der WTO praktisch vorstelle, heißt es aus Eu-kreisen. Bis dahin sehe man von europäisch­er Seite keinen Handlungsb­edarf.

 ?? FOTO: BORIS ROESSLER/DPA ?? Biontech-laborantin­nen in Ganzkörper-schutzanzü­gen simulieren Anfang März in einem Reinraum am Produktion­sstandort in Marburg die finalen Arbeitssch­ritte zur Herstellun­g des Corona-impfstoffe­s: Noch ist vollkommen unklar, wie Us-präsident Joe Biden sich die Freigabe der Impfstoff-patente vorstellt.
FOTO: BORIS ROESSLER/DPA Biontech-laborantin­nen in Ganzkörper-schutzanzü­gen simulieren Anfang März in einem Reinraum am Produktion­sstandort in Marburg die finalen Arbeitssch­ritte zur Herstellun­g des Corona-impfstoffe­s: Noch ist vollkommen unklar, wie Us-präsident Joe Biden sich die Freigabe der Impfstoff-patente vorstellt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany