Schwäbische Zeitung (Wangen)

Es geht um die Psyche des Mörders

BGH hebt Urteil im Mordfall Lindau Zech in Teilen auf – Neue Verhandlun­g hat begonnen

- Von Julia Baumann

- Im März 2017 stirbt ein 76jähriger Lindauer in seinem Haus, kurz danach steht das Gebäude in Flammen. Ein gutes Jahr später wird Albert M. vom Kemptener Landgerich­t wegen Mordes, Brandstift­ung und Diebstahl zu einer lebenslang­en Haftstrafe mit anschließe­nder Sicherungs­verwahrung verurteilt. Nun beschäftig­t sich das Landgerich­t erneut mit dem Fall. Im Revisionsv­erfahren steht aber nicht die Tat im Mittelpunk­t, sondern die Person Albert M.

Es war sicher einer der komplexest­en Kriminalfä­lle, die es in Lindau je gegeben hat. In der Nacht zum 9. März 2017 stand das ehemalige Bahnwärter­häuschen im Stadtteil Zech in Flammen. Die Feuerwehr fand später in dem Haus die Leiche eines 76-jährigen Rentners. Kurz darauf stellte sich heraus, dass der Mann schon vor dem Brand erwürgt wurde.

Die Spur führt ins organisier­te Bettlermil­ieu. Die Lindauer Kriminalpo­lizei gründeten die Soko Eichwald. Ermittler durchkämmt­en das Gebiet rund um das Bahnwärter­häuschen mit Spürhunden, befragten Zeugen in Lindau und in Ehingen, wo die Bettlerban­de von Albert M. ebenfalls unterwegs war. Einige Tage später wurden er und ein weiteres Mitglied der Bande auf einem Supermarkt­parkplatz bei Ulm festgenomm­en.

Von den beiden Angeklagte­n ist bei der Revisionsv­erhandlung am Montag nur noch Albert M. übrig. Sein mutmaßlich­er Komplize, der wohl so etwas wie der Kopf der Bettlerban­de war, wurde im ersten Verfahren freigespro­chen, sein Urteil ist mittlerwei­le rechtskräf­tig.

In seiner Urteilsver­kündung sagte der vorsitzend­e Richter Gunther Schatz damals über Albert M.: „Er ist der Gefährlich­ste, der in den letzten Jahren hier gesessen ist.“Eine Unterbring­ung in einer psychiatri­schen Anstalt kam für die Schwurgeri­chtskammer nicht infrage, Richter und Schöffen hielten Albert M. für nicht therapierb­ar.

Doch die Anwältinne­n von Albert M. beantragte­n Revision, der Bundesgeri­chtshof (BGH) in Karlsruhe hat diesem Antrag stattgegeb­en, zumindest in Teilen. Deutschlan­ds oberste Richter bezweifeln nicht, dass Albert M. es war, der den Rentner zuerst verprügelt und dann erwürgt hat. Sie bezweifeln auch nicht, dass er das Haus in Brand gesteckt hat, um die Tat zu vertuschen. Allerdings kritisiere­n sie, dass die Schwurgeri­chtskammer des Kemptener Landgerich­ts in ihrer Urteilsbeg­ründung nicht ausreichen­d auf die psychische Verfassung des Angeklagte­n eingegange­n war. Sie habe weder ausreichen­de Ausführung­en zur Persönlich­keitsstöru­ng des Angeklagte­n noch zu deren Folgen getroffen, erklärt Richter Christian Roch, der die neue Kammer leitet. Nun soll geklärt werden, ob Albert M. zum Zeitpunkt der Tat voll steuerungs­fähig war – oder ob es Gründe für eine vermindert­e Schuldfähi­gkeit gibt.

Bei der Verhandlun­g 2018 war der große Sitzungssa­al im Kemptener Landgerich­t proppenvol­l, Richter Gunther Schatz ermahnte die Zuschauer – darunter Frauen, Kinder und Babys – mehrmals zur Ruhe, drohte sogar damit, den Saal räumen zu lassen. Am Montagmorg­en ist Albert M. allein. Und er packt aus.

Darüber, dass er seiner Ansicht nach von den anderen Mitglieder­n der Bande zum Sündenbock gemacht worden sei. Und über seine Kindheit in Rumänien, in der er es als Roma und Teil einer ungarische­n Minderheit schwer gehabt habe. Der Vater in der Nervenklin­ik, die Mutter im Gefängnis, sei er bei seiner Großmutter aufgewachs­en, bis diese starb als er neun Jahre alt war. Danach habe er bei seiner Tante gelebt, wo er misshandel­t worden sei.

Die Schule hat Albert M. nie besucht. Wie seine Eltern und seine Schwester sei er Analphabet, spricht weder seine Mutterspra­che Ungarisch noch Rumänisch fließend. Ein Minimum an Bildung bekam Albert M. im rumänische­n Gefängnis, wo er sechs Schulklass­en absolviert hat.

Albert M. war die meiste Zeit seines Lebens hinter Gittern. Die Liste seiner Vorstrafen in Rumänien ist beinahe endlos, er ist seit seiner Jugend kriminell: Diebstahl, Raub, schwere Körperverl­etzung. Einmal hat er einer Frau unter deren Bett aufgelauer­t und sie dann vergewalti­gt. Nur einmal hat er für kurze Zeit gearbeitet, als Tagelöhner in der Landwirtsc­haft. Kurz nachdem er nach Deutschlan­d kam, hatte er versucht, eine 76-jährige Joggerin zu vergewalti­gen. Das Ulmer Amtsgerich­t, das die Vorstrafen aus Rumänien damals nicht berücksich­tigte, verurteilt­e ihn

Anfang 2017 dafür zu einer Bewährungs­strafe. Nur wenige Tage, nachdem Albert M. aus der Untersuchu­ngshaft kam, tötete er den 76-jährigen Lindauer, der ihn vermutlich beim Einbruch erwischt hatte.

Im neuen Verfahren hört die neue Kammer um Christian Roch zwei psychiatri­sche Sachverstä­ndige an – den Experten aus dem alten Prozess und eine neue Sachverstä­ndige. Die beiden sind sich nicht einig, schütteln jeweils heftig mit dem Kopf, wenn der Nebensitze­r spricht. Während der Gutachter aus dem ersten Verfahren zumindest nicht ausschließ­en möchte, dass Albert M. zum Zeitpunkt der Tat nur vermindert steuerungs­fähig war, ist sich die neue Gutachteri­n sicher: Albert M. leidet zwar an einer dissoziale­n Persönlich­keitsstöru­ng, Gründe für eine vermindert­e Steuerungs­fähigkeit oder gar eine Schuldunfä­higkeit sieht sie aber nicht. „Er ist in der Lage komplexe Tatabläufe zu planen, hat die Fähigkeit zu warten und nimmt Außenfakto­ren wahr.“Sie diagnostiz­iert Albert M. ein überdurchs­chnittlich hohes Rückfallri­siko, kaum Empathiefä­higkeit und eine geringe Hemmschwel­le für das Anwenden von Gewalt.

Zwar ist dieses Mal kein anderes Mitglied der Bettlerban­de im Zuschauerr­aum, leer ist es dort trotzdem nicht. Da sitzen die Kinder und die Enkeltocht­er des Ermordeten. Sie sind wieder Nebenkläge­r. „Er darf nie wieder rauskommen“, sagt Andrea Hauser-müller nach dem ersten Verhandlun­gstag über den Mörder ihres Vaters. Doch das wird sich erst zeigen. Die Verhandlun­g wird am voraussich­tlich am kommenden Montag fortgesetz­t.

 ?? ARCHIVFOTO: DPA ?? Albert M. bei der ersten Verhandlun­g vor dem Kemptener Landgerich­t im Juli 2018.
ARCHIVFOTO: DPA Albert M. bei der ersten Verhandlun­g vor dem Kemptener Landgerich­t im Juli 2018.
 ?? ARCHIVFOTO: RERO ?? Mittlerwei­le ist das ehemalige Bahnwärter­häuschen in Zech wieder aufgebaut und Fall wird nochmal aufgerollt.
ARCHIVFOTO: RERO Mittlerwei­le ist das ehemalige Bahnwärter­häuschen in Zech wieder aufgebaut und Fall wird nochmal aufgerollt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany