Tomaten müssen durstig ins Bett
Ein Reichenauer Gartenbaumeister gibt Tipps für den Gemüseanbau
- Hobbygärtner wissen es längst: Die Tomate ist eine Diva. Schon beim Standort ist sie zickig. Wer ihr im heimischen Gemüsegarten kein Dach über dem Kopf bieten kann oder sie wenigstens mit einer Folie gegen Regen schützt, hat schlechte Karten. „Dann reagiert die Pflanze oft mit Pilzerkrankungen“, erklärt Theo Huber. „Deshalb baut auf der Insel Reichenau auch niemand mehr Freilandtomaten an.“
Theo Huber muss es wissen. Er hat einen der rund 60 Mitgliedsbetriebe der Reichenau-gemüse Genossenschaft und sich auf den Anbau von Tomaten spezialisiert. Sechs Gewächshäuser hat Theo Huber auf der Insel stehen. In einem sind nur Bio-tomaten. Reihe an Reihe werden die Pflanzen mehrere Meter schräg in die Höhe gezogen. Von oben brennt die Sonne aufs Dach. „Die Tomate mag es bullenheiß und beim Gießen ist Fingerspitzengefühl gefragt“, sagt Theo Huber. „Nur abends sollte sie durstig ins Bett. Wie praktisch jedes Gemüse.“
Zwei Gewächshäuser weiter befindet man sich bereits in einer völlig anderen Klimazone. Hier ist die Luft heiß und trocken. Wüstenfeeling am Bodensee. Ideale Bedingungen für Paprika. Luftfeuchtigkeit, Temperatur, Sonneneinstrahlung und Bewässerung – alles wird digital übers Handy gesteuert. Bis zu fünf Mal am Tag wird bewässert.
Die Reichenau ist das südlichste Gemüseanbaugebiet Deutschlands mit einer jahrhundertealten Tradition. Ursprünglich diente der Anbau dazu, die Bewohner des Benediktinerklosters zu versorgen. Als Keimzelle des Gemüseanbaus gilt der Kräutergarten, den der Abt Walahfrid Strabo im 9. Jahrhundert angelegt hat. Der Kräutergarten kann noch heute besichtigt werden.
Ein paar Hundert Meter entfernt liegen die Gewächshäuser von Theo Huber. Der Gartenbaumeister hat den Betrieb vor fast 25 Jahren von seinen Eltern übernommen. Als Erstes stellte er den Anbau auf Gewächshaus um und spezialisierte sich auf Paprika, Gurken, Salate und Tomaten. Kurz darauf begann er mit dem biologischen Anbau. „Die ersten Erträge waren mit denen von heute gar nicht zu vergleichen“, erinnert er sich.
Heute gedeihen seine Biotomaten prächtig und auch die Spezialisierung auf wenige Sorten zahlt sich aus. „Wenn eine Pflanze hustet, weiß ich genau, was ihr fehlt“, sagt Huber. „Die Zeiten von Schürze und Strohhut sind längst vorbei. Alles muss streng wirtschaftlich sein. Schließlich müssen wir mit den großen Anbaugebieten in Bayern, Norddeutschland und der Pfalz konkurrieren.“
Obwohl die Betriebe auf der Bodenseeinsel deutlich kleiner sind, funktioniert das derzeit gut. Dabei war Corona auch für die Gemüsegärtner eine Herausforderung. Die Gastronomie war geschlossen und vor allem in der ersten Jahreshälfte fehlten die Erntehelfer aus Osteuropa. Dennoch kletterte der Warenumsatz der Reichenauer Gemüsegenossenschaft 2020 auf 28,5 Millionen Euro, ein Plus von 2,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, wie die Genossenschaft mitteilt.
Mit ein Grund ist laut Johannes Bliestle, Geschäftsführer der Reichenau-gemüse eg, der neue Trend zum Kochen und ein steigendes Bewusstsein für nachhaltigen, regionalen Anbau mit kurzen Lieferketten. Der Bioanteil wächst stetig und liegt aktuell bei 50 Prozent. Rund die Hälfte des Umsatzes stammt allerdings nicht mehr direkt von der Insel, sondern aus den sogenannten Gärtnersiedlungen in Singen/beuren, Aach und Mühlingen.
Der Bioanbau wird streng kontrolliert. Theo Huber muss seinen Betrieb jedes Jahr nach Eu-richtlinien zertifizieren lassen. Zweimal im Jahr gibt es unangemeldete Kontrollen. „Dann muss ich die Hosen runterlassen“, sagt Huber und lacht. Kontrolliert wird beispielsweise, dass er neben den Biotomaten nicht auch konventionelle Tomaten anbaut. Außerdem muss er genau dokumentieren, welche Pflanzenschutzmittel und welche Düngemittel er einsetzt.
„Dünger muss sein“, sagt Theo Huber. Sowohl im biologischen Anbau als auch im heimischen Garten. „Wir kommen ja auch nicht ohne Essen und Trinken aus.“Im Bioanbau werden dabei meist Produkte verwendet, die aus Abfällen der Lebensmittelindustrie gewonnen wurden, etwa Zuckerrüben und Hornspäne. Bevor man das Feld richtet, werden grobe Hornspäne eingearbeitet, die lange wirken. Mit dem ersten Unkrautjäten bringt man feines Hornmehl aus, das beim Jäten in die Erde reinrieselt und dort schnell wirken kann. „Da kann man gar nichts falsch machen“, sagt Huber. Überdosierung von konventionellem Dünger könne bei Hobbygärtnern dagegen schnell zu Verbrennungen an den Pflanzen führen. Als Faustregel gilt: Schnell wachsendes Gemüse oder Salat braucht feines Mehl, langsam wachsendes Wurzelgemüse wie Kohlrabi freut sich über grobe Hornspäne.
Damit der Boden nicht ausgelaugt wird, nimmt Huber jedes Jahr einen Fruchtwechsel vor. Gurken und Paprika gelten als Starkzehrer. Huber würde sie daher nicht in direkter Folge aufeinander anbauen.
„Im Garten ist das aber kein Problem.“Auch wichtig: Obst und Gemüse abends trocken lassen und erst am Morgen gießen.
Damit möglichst punktgenau geerntet wird, hat Huber drei Saisonkräfte und seine Frau Andrea im Einsatz. Sie führt sonst Touristen über die Insel, die seit gut 20 Jahren Weltkulturerbe ist. Außerdem bietet sie Führungen durch den heimischen Betrieb an. Seit Corona hilft sie jedoch bei der Ernte. Theo Huber ist um jede Hilfe froh. „Vor allem der Salat muss schnell geerntet werden. Er schmeckt am besten, wenn er klein und knackig ist, sonst werden die Blätter ledrig.“Auch Gurken erntet Huber, sobald sie die Mindestgröße erreicht haben. Dann sind sie am knackigsten und der Saft kann in die nächste Frucht gehen. Bei den Paprika
schmecken Huber die roten und orange-gelben am besten.
Morgens um 10 Uhr türmen sich im Lager stapelweise Kisten mit Gurken, Tomaten und Paprika, die vor allem in Süddeutschland auf den Teller kommen. Theo Huber schaut zufrieden auf die Kisten. Mehr als 5000 Gurken wurden an diesem Morgen geerntet und sortiert. Alles in Handarbeit. „Unser Vorteil ist unser guter Ruf“, sagt er. „Wir bekommen unsere Handarbeit und unsere Qualität bezahlt.“Mit der Pandemie sei das Bewusstsein dafür sogar noch gestiegen.