Den Missbrauch des Widerstands ächten
Politiker kritisieren am Jahrestag des Hitler-attentats Ns-vergleiche auf Corona-demos
(Kna/dpa) - Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat eine Instrumentalisierung der Hitlergegner durch Corona-leugner kritisiert. Sie dürften ihren Protest gegen staatliche Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung nicht mit dem Kampf gegen das Ns-regime gleichsetzen, forderte Heil am Dienstag in Berlin. Dafür seien die Frauen und Männer des Widerstands keine „Kronzeugen“, betonte er in seiner Gedenkrede zum 77. Jahrestag des Attentats auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944. Die Widerstandskämpfer hätten trotz unterschiedlicher politischer, weltanschaulicher oder religiöser Motive die Kraft gehabt, sich auf das Gemeinsame zu besinnen, und dabei Größe bewiesen.
Der Minister rief zum Gedenken an alle Gruppen und Formen des Widerstands gegen die Nationalsozialisten auf. Die Erinnerung dürfe nicht von einer „parteiischen Geschichtspolitik“beeinflusst werden. Als Beispiel nannte Heil den Widerstand aus der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung, der in der DDR und der Bundesrepublik lange gegensätzlich bewertet worden sei. Dies habe „den Blick auf die gesellschaftliche Breite des Widerstands verstellt“.
Auch die gegen die Nationalsozialisten engagierten Frauen verdienten mehr „Anerkennung und Aufmerksamkeit“, mahnte der Bundesarbeitsminister. Sie hätten ebenfalls eine „brutale Verfolgung des Regimes riskiert“. Viele von ihnen seien jedoch unbeachtet geblieben.
Mit wachsendem zeitlichen Abstand zum Ns-regime seien überdies neue Wege notwendig, die Erinnerung an die Verbrechen „lebendig zu erhalten“, so Heil. Dazu könnten Menschen mit Migrationserfahrung beitragen, die Flucht und Verfolgung selbst erlebt hätten.
Bei der Gedenkveranstaltung würdigte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) den 20. Juli als „einen der wichtigsten Tage der jüngeren deutschen Geschichte“. Auch wenn der Umsturzversuch der Attentäter um Claus Schenk Graf von Stauffenberg misslungen sei, sei er nicht vergeblich gewesen. Er habe ein „Zeichen gegen Unmenschlichkeit“gesetzt und sei für die Werte eingetreten, die heute das Fundament der Gesellschaft bildeten. „Dennoch ist der Versuch von Attentat und Aufstand ein Vorgang von allergrößtem moralischen Gewicht und ein wichtiger Schritt auf dem Weg zurück zu Freiheit und Selbstachtung.“
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-karrenbauer (CDU) rief dazu auf, das Erbe des militärischen
Widerstands zu bewahren. Der 20. Juli gehöre „zur DNA der Bundeswehr“, sagte die Cdu-politikerin bei einem feierlichen Gelöbnis von mehr als 100 Rekruten am Dienstagabend in Berlin.
Gehorsam in der Bundeswehr stehe immer unter dem Vorbehalt des Gewissens, sagte Kramp-karrenbauer. Die Rekruten gelobten ihre Treue nicht einer Person, sondern dem demokratischen, freiheitlichen Gemeinwesen und seiner Rechtsordnung. Mit Blick auf den 20. Juli 1944 sprach sie von einem „verzweifelten und späten Versuch“, Deutschland von der Ns-schreckensherrschaft befreien. Dieser Versuch stifte bis heute Sinn, auch wenn er gescheitert sei. „Die Befreiung vom Nationalsozialismus gelang den Deutschen nicht aus eigener Kraft. Andere haben uns befreit.“
Kramp-karrenbauer betonte bei der Veranstaltung im Bendlerblock, dass Antisemitismus in der Bundeswehr keinen Platz habe. Als Ehrengast sprach Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, zu den Rekruten. Er erinnerte an die Grenzen des soldatischen Gehorsams und ermunterte dazu, nicht wegzuschauen. Heute werde mit tiefem Respekt auf die Widerstandskämpfer geschaut. „Respekt bedeutet nicht, sie als Helden zu verehren oder auf einen Sockel zu stellen, denn dies hielte ich für falsch“, sagte er.
Schuster kritisierte, dass sich Corona-leugner und sogenannte Querdenker auch mit Zeichen des Widerstands gegen den Ns-staat zeigten. Die sei infam und abstoßend. „Sie treten das Erbe der Widerstandskämpfer mit Füßen“, sagte Schuster. „Diese Menschen müssen spüren, dass sie mit ihrer Meinung isoliert sind.“
Am 20. Juli 1944 hatten Wehrmachtsoffiziere um Claus Schenk Graf von Stauffenberg vergeblich versucht, Hitler mit einer Bombe zu töten und den Krieg zu beenden. Stauffenberg und drei Mitverschwörer wurden noch am Abend des Attentats im Innenhof des Bendlerblocks erschossen. In den folgenden Wochen und Monaten bis unmittelbar vor Kriegsende richteten die Nazis rund 90 weitere Beteiligte und Unterstützer hin.