Darum verlassen zahlreiche Gastro-fachkräfte die Branche
Gastronomie verliert Mitarbeiter – Dunja Rauer über ihren Ausstieg an dem nicht nur die Pandemie schuld ist
- Hotels und Restaurants in der Region verlieren Mitarbeiter. Laut Gewerkschaft haben 350 Mitarbeiter im Landkreis Lindau in den vergangenen zwölf Monaten die Branche verlassen, und die Gewerkschaft sagt: selbst schuld! Auch die Lindauer Hotelfachfrau Dunja Rauer hat genug und verlässt ihren Job – schuld ist die Pandemie aber nicht nur. „Ich habe schon vor dem Lockdown im Herbst geahnt, dass wir wieder schließen und mir einen Nebenjob besorgt“, sagt Dunja Rauer. Die gelernte Hotelfachfrau arbeitet in einem Hotel auf der Insel, zuerst habe sie nur auf 450-Euro-basis in einem Supermarkt Regale eingeräumt, im Winter habe sie dann aufgestockt. Die meisten ihrer Kolleginnen und Kollegen hätten das so gemacht und heuerten in Supermärkten an. „Ich habe aber auch eine Freundin, die ins Altersheim gegangen ist, und eine hat beim Gesundheitsamt gearbeitet.“Bei vielen sei über den Winter der Gedanke gereift, ob man nicht etwa ganz anderes machen will. „In der Gastronomie arbeitet man eben, wenn alle anderen freihaben. Im Sommer haben wir viel zu tun, im Winter wenig. Und das hat mich lange auch nicht gestört“, sagt Rauer – bis die Pandemie immer mehr Zweifel brachte. Nicht nur wegen der Arbeitszeiten, Rauer habe außerdem bemerkt, dass die Pandemie das zerstöre, was ihr am Beruf immer besonders wichtig war: Leute in ihrer schönsten Zeit zu bedienen. „Ich habe den Eindruck, dass die Stimmung der Gäste schlechter wird. Es wird mehr gemeckert.“
Die Ansprüche einiger Gäste seien immer größer und auch irrationaler, der Umgang rauer und die Wertschätzung für den Beruf gering. Außerdem sei da noch die Unsicherheit, ob Restaurants und Hotels wieder schließen müssen. Für Dunja Rauer war das alles Grund genug, sich neu zu orientieren. Diesen Sommer arbeitet sie noch bei ihrem mehrjährigen Arbeitgeber, ein Hotel auf der Insel. Im September startet sie dann ein neues Leben, sie verlässt ihre Wohnung auf der Insel und beginnt ab September eine Ausbildung als Steuerfachangestellte in Singen.
Neben Rauer haben laut der Gewerkschaft Nahrung-genuss-gaststätten (NGG) 350 Köche, Servicekräfte und Hotelangestellte im Landkreis Lindau der Branche 2020 den Rücken gekehrt – das sei jeder siebte Beschäftigte, so die Gewerkschaft in einer Pressemitteilung. Daran sei das niedrige Kurzarbeitergeld schuld – aber auch die Betriebe selbst. „Schon vor Corona stand das Gastgewerbe nicht gerade für rosige Arbeitsbedingungen“, sagt der Vorsitzende des Landesbezirks der NGG, Mustafa Öz. „Unbezahlte Überstunden, ein rauer Umgangston, und eine hohe Abbruchquote unter Azubis sind nur einige strukturelle Probleme.“Die Pandemie habe den Fachkräftemangel
nicht verursacht, sondern sichtbar gemacht und verschärft. „Die Unternehmen haben es über Jahre versäumt, die Arbeit attraktiver zu machen. Das rächt sich jetzt“, kritisiert Öz. Wirte und Hoteliers hätten nun die Chance, die Branche neu aufzustellen. Zwar seien viele Firmen nach wie vor schwer durch die Pandemie getroffen, doch wer künftig überhaupt noch Fachleute gewinnen wolle, müsse jetzt umdenken und sich zu armutsfesten Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen bekennen, so die Gewerkschaft in der Pressemitteilung. Dazu seien Tarifverträge unverzichtbar, sagt Öz: „Am Ende geht es um einen Kulturwandel. Auch Servicekräfte haben ein
Recht darauf, vor dem Dienst zu wissen, wann Feierabend ist.“
Dunja Rauer findet, die Branche hat sich bereits sehr gewandelt. „Gerade im Umgangston, es wird mehr wert auf Mitarbeiterführung gelegt und auf das Arbeitsschutzgesetz wird besser geachtet.“Dennoch könnte die Bezahlung natürlich besser sein, sagt Rauer, „dann könnte man eher über die Überstunden hinwegsehen.“Und auch in der Ausbildung sieht Rauer teilweise katastrophale Zustände. „Die werden in manchen Betrieben nicht ausgebildet, sondern sind billige Arbeitskräfte.“
Sie verstehe aber auch die Gastrobetreiber, von denen viele mit Leidenschaft ihre individuellen Vorstellungen
umsetzen würden. Der Rahmen, in dem sich der Beruf bewegt, lasse sich eben nicht brechen. Die Arbeitszeiten sind Abends und am Wochenende, außerdem ist der Job intensiv, so Rauer. Dafür habe er aber auch viele Vorteile: „Ich hatte die Freiheit zu arbeiten, wo ich will, zum Beispiel auf Sylt oder in Berlin“Außerdem habe Rauer im Beruf immer Freunde gefunden – lange Jahre war es der perfekte Job für sie. „Die Branche wird in der Öffentlichkeit schlechter dargestellt, als sie ist“. Ihr Betrieb komme ganz gut durch den Fachkräftemangel, die meisten langjährigen Mitarbeiter seien geblieben, sagt Melanie Kreutz. Sie ist Inhaberin des Hotels Nagel und Restaurants
Melbo’s in Zech. Dass sie so gut durchkommt, liege am familiären Verhältnis im Betrieb, „ich bin ein Verfechter der Work-life-balance, wir gucken nach einander, dass jeder auch ein Leben neben dem Beruf hat“.auch Kreutz findet die Gehälter in der Branche problematisch. „Das liegt aber nicht daran, dass sich die Gastronomen die Taschen voll machen. Es ist einfach schwierig, gute Gehälter zu zahlen, weil die Arbeit so mitarbeiteraufwendig ist.“Ähnlich wie Gewerkschafter Mustafa Öz, sagt auch Kreutz, dass an der derzeitigen Lage nicht die Pandemie Schuld sei, „es steckt eine allgemeine Entwicklung dahinter“. Die Bewerbungen werden weniger und schlechter, denn die Bedürfnisse der jungen Menschen passen nicht mehr zu den Anforderungen der Branche. „Die Betriebe müssen mittlerweile richtig viel bieten, um an Personal zu kommen“, sagt Kreutz, „wir waren vor kurzem selbst in einem neu eröffneten Hotel. Die haben nebenan ein Personalhotel mit Wellnessbereich.“
Laut Melanie Kreutz wird sich die Branche verändern. Immer weniger Restaurants, in denen frisch gekocht wird, dafür immer mehr Betriebe, die mit ungelernten Aushilfen „Convenience Food“, also einfache Küche, anbieten. Dunja Rauer klingt noch etwas pessimistischer. Neben den vielen Abgängen komme doch niemand nach: „Wer fängt denn jetzt so einen unsicheren Beruf an? Es ist ein Teufelskreis.“