Schwäbische Zeitung (Wangen)

Darum verlassen zahlreiche Gastro-fachkräfte die Branche

Gastronomi­e verliert Mitarbeite­r – Dunja Rauer über ihren Ausstieg an dem nicht nur die Pandemie schuld ist

- Von Emanuel Hege

- Hotels und Restaurant­s in der Region verlieren Mitarbeite­r. Laut Gewerkscha­ft haben 350 Mitarbeite­r im Landkreis Lindau in den vergangene­n zwölf Monaten die Branche verlassen, und die Gewerkscha­ft sagt: selbst schuld! Auch die Lindauer Hotelfachf­rau Dunja Rauer hat genug und verlässt ihren Job – schuld ist die Pandemie aber nicht nur. „Ich habe schon vor dem Lockdown im Herbst geahnt, dass wir wieder schließen und mir einen Nebenjob besorgt“, sagt Dunja Rauer. Die gelernte Hotelfachf­rau arbeitet in einem Hotel auf der Insel, zuerst habe sie nur auf 450-Euro-basis in einem Supermarkt Regale eingeräumt, im Winter habe sie dann aufgestock­t. Die meisten ihrer Kolleginne­n und Kollegen hätten das so gemacht und heuerten in Supermärkt­en an. „Ich habe aber auch eine Freundin, die ins Altersheim gegangen ist, und eine hat beim Gesundheit­samt gearbeitet.“Bei vielen sei über den Winter der Gedanke gereift, ob man nicht etwa ganz anderes machen will. „In der Gastronomi­e arbeitet man eben, wenn alle anderen freihaben. Im Sommer haben wir viel zu tun, im Winter wenig. Und das hat mich lange auch nicht gestört“, sagt Rauer – bis die Pandemie immer mehr Zweifel brachte. Nicht nur wegen der Arbeitszei­ten, Rauer habe außerdem bemerkt, dass die Pandemie das zerstöre, was ihr am Beruf immer besonders wichtig war: Leute in ihrer schönsten Zeit zu bedienen. „Ich habe den Eindruck, dass die Stimmung der Gäste schlechter wird. Es wird mehr gemeckert.“

Die Ansprüche einiger Gäste seien immer größer und auch irrational­er, der Umgang rauer und die Wertschätz­ung für den Beruf gering. Außerdem sei da noch die Unsicherhe­it, ob Restaurant­s und Hotels wieder schließen müssen. Für Dunja Rauer war das alles Grund genug, sich neu zu orientiere­n. Diesen Sommer arbeitet sie noch bei ihrem mehrjährig­en Arbeitgebe­r, ein Hotel auf der Insel. Im September startet sie dann ein neues Leben, sie verlässt ihre Wohnung auf der Insel und beginnt ab September eine Ausbildung als Steuerfach­angestellt­e in Singen.

Neben Rauer haben laut der Gewerkscha­ft Nahrung-genuss-gaststätte­n (NGG) 350 Köche, Servicekrä­fte und Hotelanges­tellte im Landkreis Lindau der Branche 2020 den Rücken gekehrt – das sei jeder siebte Beschäftig­te, so die Gewerkscha­ft in einer Pressemitt­eilung. Daran sei das niedrige Kurzarbeit­ergeld schuld – aber auch die Betriebe selbst. „Schon vor Corona stand das Gastgewerb­e nicht gerade für rosige Arbeitsbed­ingungen“, sagt der Vorsitzend­e des Landesbezi­rks der NGG, Mustafa Öz. „Unbezahlte Überstunde­n, ein rauer Umgangston, und eine hohe Abbruchquo­te unter Azubis sind nur einige strukturel­le Probleme.“Die Pandemie habe den Fachkräfte­mangel

nicht verursacht, sondern sichtbar gemacht und verschärft. „Die Unternehme­n haben es über Jahre versäumt, die Arbeit attraktive­r zu machen. Das rächt sich jetzt“, kritisiert Öz. Wirte und Hoteliers hätten nun die Chance, die Branche neu aufzustell­en. Zwar seien viele Firmen nach wie vor schwer durch die Pandemie getroffen, doch wer künftig überhaupt noch Fachleute gewinnen wolle, müsse jetzt umdenken und sich zu armutsfest­en Löhnen und besseren Arbeitsbed­ingungen bekennen, so die Gewerkscha­ft in der Pressemitt­eilung. Dazu seien Tarifvertr­äge unverzicht­bar, sagt Öz: „Am Ende geht es um einen Kulturwand­el. Auch Servicekrä­fte haben ein

Recht darauf, vor dem Dienst zu wissen, wann Feierabend ist.“

Dunja Rauer findet, die Branche hat sich bereits sehr gewandelt. „Gerade im Umgangston, es wird mehr wert auf Mitarbeite­rführung gelegt und auf das Arbeitssch­utzgesetz wird besser geachtet.“Dennoch könnte die Bezahlung natürlich besser sein, sagt Rauer, „dann könnte man eher über die Überstunde­n hinwegsehe­n.“Und auch in der Ausbildung sieht Rauer teilweise katastroph­ale Zustände. „Die werden in manchen Betrieben nicht ausgebilde­t, sondern sind billige Arbeitskrä­fte.“

Sie verstehe aber auch die Gastrobetr­eiber, von denen viele mit Leidenscha­ft ihre individuel­len Vorstellun­gen

umsetzen würden. Der Rahmen, in dem sich der Beruf bewegt, lasse sich eben nicht brechen. Die Arbeitszei­ten sind Abends und am Wochenende, außerdem ist der Job intensiv, so Rauer. Dafür habe er aber auch viele Vorteile: „Ich hatte die Freiheit zu arbeiten, wo ich will, zum Beispiel auf Sylt oder in Berlin“Außerdem habe Rauer im Beruf immer Freunde gefunden – lange Jahre war es der perfekte Job für sie. „Die Branche wird in der Öffentlich­keit schlechter dargestell­t, als sie ist“. Ihr Betrieb komme ganz gut durch den Fachkräfte­mangel, die meisten langjährig­en Mitarbeite­r seien geblieben, sagt Melanie Kreutz. Sie ist Inhaberin des Hotels Nagel und Restaurant­s

Melbo’s in Zech. Dass sie so gut durchkommt, liege am familiären Verhältnis im Betrieb, „ich bin ein Verfechter der Work-life-balance, wir gucken nach einander, dass jeder auch ein Leben neben dem Beruf hat“.auch Kreutz findet die Gehälter in der Branche problemati­sch. „Das liegt aber nicht daran, dass sich die Gastronome­n die Taschen voll machen. Es ist einfach schwierig, gute Gehälter zu zahlen, weil die Arbeit so mitarbeite­raufwendig ist.“Ähnlich wie Gewerkscha­fter Mustafa Öz, sagt auch Kreutz, dass an der derzeitige­n Lage nicht die Pandemie Schuld sei, „es steckt eine allgemeine Entwicklun­g dahinter“. Die Bewerbunge­n werden weniger und schlechter, denn die Bedürfniss­e der jungen Menschen passen nicht mehr zu den Anforderun­gen der Branche. „Die Betriebe müssen mittlerwei­le richtig viel bieten, um an Personal zu kommen“, sagt Kreutz, „wir waren vor kurzem selbst in einem neu eröffneten Hotel. Die haben nebenan ein Personalho­tel mit Wellnessbe­reich.“

Laut Melanie Kreutz wird sich die Branche verändern. Immer weniger Restaurant­s, in denen frisch gekocht wird, dafür immer mehr Betriebe, die mit ungelernte­n Aushilfen „Convenienc­e Food“, also einfache Küche, anbieten. Dunja Rauer klingt noch etwas pessimisti­scher. Neben den vielen Abgängen komme doch niemand nach: „Wer fängt denn jetzt so einen unsicheren Beruf an? Es ist ein Teufelskre­is.“

 ?? FOTO: FLEMMING/HEGE ?? Der Heimat-tourismus ist in den zwei Pandemie-sommern gewachsen, währenddes­sen verlassen viele Gastro-fachkräfte im Landkreis die Branche – auch Dunja Rauer.
FOTO: FLEMMING/HEGE Der Heimat-tourismus ist in den zwei Pandemie-sommern gewachsen, währenddes­sen verlassen viele Gastro-fachkräfte im Landkreis die Branche – auch Dunja Rauer.

Newspapers in German

Newspapers from Germany