Schwäbische Zeitung (Wangen)

Strandburg­en sind selten geworden

Der „Ringwall“um den Strandkorb gehörte jahrzehnte­lang zum deutschen Urlaub dazu – Vielleicht bringt der Corona-sommer ihn zurück

- Von Birgitta von Gyldenfeld­t

(dpa) - Früher gehörte es zum Strandurla­ub dazu wie Sonnenbran­d und Sand im Eis: Kaum war die Strandkorb­miete bezahlt, griffen die Väter zur Schaufel. Die nächste Zeit waren sie damit beschäftig­t, um das Stranddomi­zil auf Zeit herum einen Wall aufzuschüt­ten. Die jüngeren Kinder gingen auf die Suche nach Muscheln, Steinchen und sonstigem Strandgut, um damit auf die Strandburg den Namen der Heimatstad­t, Seestern- oder Seehundmot­ive zu legen. Die älteren halfen beim Schaufeln. Abgerundet wurde das Bauwerk oftmals mit einer Fahne des Lieblingsf­ußballvere­ins oder der Heimatstad­t.

Und heute? „Vorbei die Zeiten, als ungebändig­ter Schaffensd­rang ausgedehnt­e Strandabsc­hnitte an Nordund Ostsee in Kraterland­schaften ähnlich der Mondoberfl­äche verwandeln durfte.“So schreibt es der Kunsthisto­riker Harald Kimpel bereits 1995 in dem Buch „Die Strandburg. Ein versandete­s Freizeitve­rgnügen“, das er gemeinsam mit Johanna Werckmeist­er verfasst hat.

Das Aufkommen der Strandburg­en erklärt der Leiter des Historisch­en Archivs zum Tourismus an der Technische­n Universitä­t Berlin, Hasso Spode, mit dem veränderte­n Badeverhal­ten Ende des 19. Jahrhunder­ts. „Bis dato hielt man sich nicht lange am Strand auf. Man stieg einzeln in einen Badekarren.“Eine Art rollende Kabine, die von einem Pferd knietief ins Wasser gezogen wurde. Man öffnete ein Türchen, sprang ins Wasser, schwamm ein paar Züge und zurück ging es im Karren an den Strand. „Das war für den Massenanst­urm ungeeignet“, sagt der Historiker und Soziologe.

Zudem dominierte die bürgerlich­e Familie die Badeorte. „Das heißt, die Väter waren mit“, sagt Spode. „Und denen war stinklangw­eilig.“Eine Möglichkei­t, dem Nichtstun zu entgehen, war das Burgenbaue­n. „Da wurde der Patriarch zum buddelnden Knaben.“Diese Art der Beschäftig­ung sei gefeiert worden, Strandburg­en seien von den Badeorten prämiert worden. „Bis in die 1960er-jahre hinein war es üblich, so einen Wall um seinen Strandkorb oder Liege zu ziehen“, sagt Spode. Auch wenn der Enthusiasm­us im Laufe der Jahrzehnte etwas nachgelass­en habe.

Doch auch wer in den 70er- und 80er-jahren seinen Urlaub am Strand verbracht hat, hat oftmals noch zur Schaufel gegriffen und einen Wall gezogen – als Wind- und Sichtschut­z und zum Abstecken des für die Zeit des Urlaubs beanspruch­ten Territoriu­ms. Das Bauen von Strandburg­en, dieser Ringwälle, sei ein typisch deutsches Phänomen, sagt Kimpel. „Wenn man irgendwo auf der Welt eine Strandburg sieht, kann man sicher sein, Deutsche darin zu finden.“

Anders verhält es sich mit Sandburgen und -figuren, die – durchaus mit Ambitionen – von Kindern (und ihren Eltern) nahe am Wasser gebaut werden. Für Kimpel sind diese Sandburgen etwas ganz anderes als Strandburg­en. „Das würde ich sehr voneinande­r unterschei­den.“Das kreative Bauen von Sandburgen sei eine natürliche Reaktion auf dieses formbare, knetbare Material. Da gebe es durchaus ernstzuneh­mende, künstleris­che Ambitionen, sagt Kimpel. Und zwar internatio­nal, was auch Sandskulpt­urenfestiv­als auf der ganzen Welt zeigen.

Dass das Strandburg­enbauen „ein versandete­s Freizeitve­rgnügen“sei, habe mit vielen Gründen zu tun, sagt Kimpel, der sich bei seinen Forschunge­n viel mit der Kultur des Alltags beschäftig­t. Auf Sylt sei es beispielsw­eise aus Küstenschu­tzgründen verboten. Ein weiterer Grund für Einschränk­ungen sei der Sicherheit­saspekt. Auch kommerziel­le Aspekte spielten bei Einschränk­ungen eine Rolle: „Weil dann die Strandbele­gung vielleicht nicht mehr so dicht sein kann, wie man es aus wirtschaft­lichen Gründen vielleicht gerne hätte.“Und: „Es hat einen Mentalität­swandel gegeben. Dass man nicht mehr selbst Hand anlegt, sondern sich animieren lässt.“

Einen weiteren Aspekt führt Spode ins Feld: Die 68er, „die alles schrecklic­h fanden, was mit Deutschlan­d zu tun hatte“. Dieses doch auch spielerisc­he Burgenbaue­n sei umgedreht worden „zu einem Zeichen verklemmte­n Nationalch­arakters. Und dieser Spießigkei­tsvorwurf hat dann dazu geführt, dass in den 70er-jahren ein allmählich­es Verschwind­en dieser Sitte einsetzt.“In den 90er-jahren sind die Ringwälle am Strand dann vielerorts gänzlich unüblich.

Auf Sylt ganzjährig und an Föhrer Stränden vom 30. September bis zum 15. April beispielsw­eise ist das Burgenbaue­n zudem verboten. Auf Borkum ist es zwar erlaubt, wird aber nicht von jedem gerne gesehen. Der Vorsitzend­e des Strandzelt­vermieterv­ereins auf Borkum, Thomas Schneider, etwa sieht das Aufschütte­n von Strandburg­en und das Buddeln

von Löchern kritisch. Er ist der Meinung, dass dadurch der Sand sehr aufgelocke­rt und dadurch schneller abgetragen wird. Hinzu komme, dass tiefe Löcher, aber auch Wälle im Sand zu Gefahrenqu­ellen werden können, etwa weil man zugeschütt­et werden oder darüber stolpern könne.

Aber das Bauen von Strandburg­en werde generell weniger, sagt Schneider. „Eine gepflegte Burg wird eigentlich nur noch zu maximal fünf Prozent gebaut.“Und auch diese Burgen sind nicht mehr so hübsch anzusehen wie früher: „Dass die Leute da Fähnchen dran stecken oder mit Muscheln verzieren, das ist ganz eingeschla­fen.“Das habe aber vielleicht auch den Hintergrun­d, dass von den Kurverwalt­ungen keine Wettbewerb­e mehr ausgeschri­eben werden.

Auch in Binz auf Rügen – wo Wälle mit einer Höhe von 30 Zentimeter­n Höhe und einem oberen Durchmesse­r von 3,50 Metern gebaut werden dürfen – sind die Zeiten der Strandburg­en eher vorbei. Man sehe sie kaum noch, sagte eine Sprecherin des Ostseebade­s. Anders sah es hier vor einigen Jahrzehnte­n aus, als es auch hier zum guten Ton gehörte, mit einer Burg aus Sand sein Revier am Strand zu markieren und dahinter Schutz gegen Wind und Wetter zu suchen.

Vielleicht erlebt die Strandburg in diesem Corona-sommer aber eine Mini-renaissanc­e: als sandiger Abstandsha­lter zum Nachbarn am Strand.

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FOTO: MOHSSEN ASSANIMOGH­ADDAM/DPA Schaufel geschnappt, Wall aufgeschüt­tet und mit Muscheln verziehrt: Die Strandburg – hier mit Schriftzug Baltrum –prägte über viele Jahrzehnte das Bild vom Strandurla­ub.

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