Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ich sag’ mal Du zu Ihnen

In der Kommunikat­ion mit Kunden wirkt das Siezen zunehmend antiquiert – Wie Marketinga­bteilungen von Unternehme­n mit der Höflichkei­t kämpfen

- Von Carsten Hoefer

(dpa) - Ikea war der Pionier, Adidas und Apple gehören dazu, seit 2020 ist Aldi Mitglied im Club: Eine steigende Zahl von Unternehme­n duzt ihre Kundinnen und Kunden. Das Siezen ist auf dem Rückzug, und Marketinga­bteilungen brüten über der Frage „Du oder Sie?“.

Denn ein Unternehme­n, das den falschen Ton trifft, läuft Gefahr, potenziell­e Kundschaft zu vergrätzen. „Das ,Sie’ wird immer reduzierte­r eingesetzt, das ,Du’ greift weiter um sich“, sagt die Sprachwiss­enschaftle­rin Stefanie Stricker von der Universitä­t Bamberg. „In diesem Punkt sind wir derzeit in einem Sprachwand­el begriffen, der schon innerhalb einer Generation zu Änderungen führt.“

Als erstes großes Unternehme­n in Deutschlan­d führte mutmaßlich die schwedisch­e Möbelhausk­ette Ikea das Duzen „in etwa seit 2003“ein, wie eine Sprecherin sagt. „Dies leitet sich ursprüngli­ch von unserer schwedisch­en Herkunft ab. Das Ziel von Ikea ist es, nicht nur das skandinavi­sche Design, sondern auch ein Stück Schweden in die Welt zu tragen.“Auch bei Ikea hat das Duzen jedoch Grenzen. Im Kundenserv­icezentrum wird überwiegen­d gesiezt.

„Traditione­ll herrscht in der deutschen Sprache ja eine ,Sie’-kultur, und im direkten Umgang unter erwachsene­n Menschen dauert es in manchen Kreisen und insbesonde­re im Geschäftsl­eben bis heute oft ziemlich lange, bis man einander das ,Du’ anbietet“, sagt die Kommunikat­ionsberate­rin Kerstin Hoffmann, Autorin des in der Branche bekannten Blogs „Pr-doktor“. Die Frage nach der richtigen Kundenansp­rache wird ihr häufig gestellt.

Apple duzt die Kundschaft seit 2009, Aldi folgte im vergangene­n Jahr. „Du“zu Kunden sagt auch Adidas. „Adidas ist besonders bei einer jungen Zielgruppe beliebt, für die das die natürliche Ansprache ist, und auch im Sport wird das Duzen gelebt“, heißt es bei dem Dax-konzern in Herzogenau­rach.

Bei Unternehme­n wie Ikea sei das „Du“„ganz bewusst Teil der Corporate Identity“, sagt Hoffmann. „Generell sind beispielsw­eise Umfelder mit junger Kundschaft, im Tech-, Mode- oder Sportberei­ch, im Startup-umfeld per se unkomplizi­ert.“

Doch kann sich keineswegs jedes Unternehme­n erlauben, die Kundschaft zu duzen. Würde etwa eine

Wohnungsge­sellschaft per „Du“über die nächste Mieterhöhu­ng informiere­n, würde das von den Mieterinne­n und Mietern mutmaßlich als ziemlich herablasse­nd empfunden.

„Gerade im eher traditione­llen Business-to-business-bereich rate ich Unternehme­n, die Ansprache so zu wählen, wie sie auch in das persönlich­e Gespräch mit der Kundschaft passt“, sagt die Pr-beraterin. „Allerdings muss man dann aber auch locker genug sein, wenn eine

Kundin das im direkten Kontakt aufgreift und beim Anruf duzt.“

Trendsette­r sind die duzenden Unternehme­n nicht, denn auf dem Rückzug ist das Siezen schon seit über 100 Jahren. Historisch ist das „Sie“ein Erbe des mittelalte­rlichen Feudalismu­s, ebenso wie die Anreden „Herr“und „Frau“, welche ursprüngli­ch der herrschend­en Schicht vorbehalte­n waren. Deutlicher noch als im Deutschen bringt der französisc­he „Monsieur“– „mein

Herr“– das ursprüngli­che hierarchis­che Verhältnis des Untergeben­en zum Herren zum Ausdruck.

„Zu den mittelalte­rlichen Adelsgesel­lschaften gehört eben eine bestimmte Etikette, ein besonders freundlich­er Umgangston“, sagt die Sprachwiss­enschaftle­rin Stefanie Sticker. „In diesem Milieu konnten sich die Höflichkei­tsformen gut entwickeln, zumal sie in den das Deutsche am Ausgang des Mittelalte­rs prägenden romanische­n Sprachen bereits etabliert waren.“

Das Bürgertum übernahm im Laufe der Jahrhunder­te die adeligen Umgangsfor­men, in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg hatte sich das Siezen bis ins Familienle­ben hinein durchgeset­zt. So war es im gutbürgerl­ichen ebenso wie unter materiell besser gestellten Bauersfami­lien auf dem Lande üblich, dass Kinder ihre Eltern siezten. Akademiker siezten einander ohnehin, Studenten inbegriffe­n.

Bei der Sprachentw­icklung gab und gibt es bis heute aber regionale Unterschie­de. Das „Sie“als übliche Anrede unter Erwachsene­n hat sich beispielsw­eise auf dem Lande in Bayern und in Tirol nie ganz durchgeset­zt. Dort müssen manche Urlauber aus nördlichen Regionen heute noch schlucken, wenn sie unvermitte­lt von Fremden geduzt werden.

Und es haben sich Mischforme­n entwickelt, darunter das „Hamburger Sie“– die Anrede mit „Sie“und Vornamen – und umgekehrt das „Münchner Du“– Anrede mit dem Familienna­men bei gleichzeit­igem Duzen. „Meier, komm mal her“, nennt die Bamberger Professori­n Stricker ein Beispiel.

Wird das Siezen in absehbarer Zeit aussterben? Mutmaßlich nicht, auch wenn weitere Unternehme­n auf den Duz-trend aufspringe­n sollten. „Das ,Sie’ ist derzeit klar auf dem Rückzug, allerdings nur in bestimmten Bereichen“, sagt Stricker. „In offizielle­n Kontexten siezt auch die jüngere Generation.“ ●

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