„Wir brauchen einen qualitativ besseren Katastrophenschutz“
Unionsfraktionschef Brinkhaus fordert Neuordnung der Zuständigkeiten in Deutschland – Modernisierung müsse Chefsache werden
- Der Unionsfraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus fordert eine „grundlegende Modernisierung“und Neuordnung der Zuständigkeiten in Deutschland, um künftig besser auf Krisen und Katastrophen vorbereitet zu sein. „Das Gefüge an sich muss neu geordnet und gestrafft werden“, sagte der Cdu-politiker im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“. Es brauche eine bessere Vernetzung von Bund, Ländern und Kommunen. „In der Pandemie haben alle gesehen, wo es hakt“, so Brinkhaus. Deshalb sei jetzt der Zeitpunkt da, um die Reformen in Angriff zu nehmen.
Herr Brinkhaus, Sie haben an den künftigen Kanzler zwei Themen adressiert: den Klimaschutz und die Modernisierung des Staates. Belegt die Hochwasser-katastrophe, wie erheblich der Modernisierungsbedarf im Katastrophenschutz ist?
Ich warne davor, jetzt aufgrund des Hochwassers schnelle Schlüsse zu ziehen. Wir haben gut funktionierende Einheiten auf den verschiedenen Ebenen. Wir müssen jetzt aber schnell analysieren, wie die Aufteilung der Zuständigkeiten und das Zusammenspiel zwischen den Ebenen weiter verbessert werden können. Das gilt im Übrigen nicht nur für den Katastrophenschutz, sondern ganz grundsätzlich für den Staat insgesamt. Das ist einer der wesentlichen Punkte für ein Modernisierungsjahrzehnt.
Braucht es eine weitere Föderalismusreform, um die Zuständigkeiten besser zu regeln?
Eine Föderalismuskommission III wäre mir zu wenig. Eine Kommission, die ein bisschen am Bund-länder-finanzausgleich herumdoktert und zwei, drei Sachen neu ordnet, reicht nicht. Das muss groß und fundamental werden. Das Gefüge an sich muss neu geordnet und gestrafft werden. Geschichte wiederholt sich nicht, ich denke da aber trotzdem an historische Vorbilder wie die Reformen von Hardenberg und von Stein.
Soll der Bund mehr Durchgriffsrechte bekommen, um im Notfall schneller entscheiden zu können?
Nein. Es geht im Wesentlichen darum, die Sachen klarer zuzuordnen und das nicht nur im Notfall. Wir haben momentan in vielen Bereichen geteilte Verantwortungen. Wer hatte denn die Letztverantwortung für den Schutz der Altenheime in der Pandemie? Das Bundesgesundheitsministerium, die Heimaufsicht vor Ort oder das Land mit den Landesgesundheitsministerien? Wer ist für die Digitalisierung der Schulen verantwortlich? Der Bund hat dafür
Ralph Brinkhaus, Fraktionschef der Union im Bundestag, zeigt sich im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“überzeugt: Deutschland muss sich umfassend modernisieren und neu organisieren, um besser auf Krisen und Katastrophen vorbereitet zu sein.
Geld bereitgestellt, es kommt aber nicht überall an. Mir geht es nicht darum, die einzelnen Ebenen zu entmachten, sondern die Verantwortung und die Finanzausstattung klar zu regeln.
Wie soll diese neue Aufgabenzuteilung konkret funktionieren?
Es braucht zunächst eine Art Inventur, um überblicken zu können, welche Aufgaben vorliegen und wer dafür verantwortlich ist. Dabei wird sich mit Sicherheit zeigen, dass einiges auch ausgesondert werden kann, weil der Staat dafür gar nicht zuständig ist. Auf dieser Basis können die verbliebenen Aufgaben der Ebene zugeordnet werden, die die passendsten Ressourcen aufweist. Wenn das erledigt ist, muss man über die Aufteilung der Steuermittel sprechen. Am Schluss kommt wieder die Digitalisierung ins Spiel: Die Datenbestände der Behörden müssen vernetzt werden, um eine vernünftige Informationsbasis zu haben. In diesen Prozess müssen alle miteinbezogen werden, auch die Kommunen, die verfassungsrechtlich ein Bestandteil der Länder sind. Das ist eine so fundamentale Aufgabe, dass sie zur Chefsache gemacht werden muss.
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe soll künftig ein Nationales Kompetenzzentrum werden. Können Sie uns erklären, was sich dadurch in der Praxis verbessert?
Wir hatten bislang eine Behörde mit rund 300 Mitarbeitern, die zu wenig gestalten konnte. Diese Institution muss aufgewertet werden. Und das wird sie auch unter ihrem neuen Chef Armin Schuster. Und es geht auch hier darum, eine bessere Vernetzung hinzubekommen. Ein Beispiel: Wenn in meiner Heimat Gütersloh ein Flugzeug abstürzt, dann ist das ein regional begrenztes Ereignis. Dann weiß der oberste Katastrophenschützer im Kreis, was zu tun ist. Es gibt klare Zuständigkeiten von Feuerwehr, Technischem Hilfswerk und Sanitätszügen. Richtig schwierig ist es aber bei einer nationalen Katastrophe wie einer Pandemie, das hat sich in den vergangenen eineinhalb Jahren gezeigt. Hier müssen wir alle besser werden.
Ist das ein Schritt in die Richtung besserer Schutz der Bevölkerung?
Ja. Wir brauchen einen qualitativ besseren Katastrophenschutz. Denn sicher ist: Das nächste Großereignis kommt – das kann eine Pandemie, ein Klimafolgeereignis wie Dürre oder ein Cyberangriff sein. Das kann auch etwas sein, was wir überhaupt nicht auf dem Schirm haben. In Irland wurde das Gesundheitssystem gehackt, in den USA eine Pipeline, woraufhin es zu Engpässen bei der Energieversorgung kam. Wir waren bislang nur auf eine deutschlandweite Katastrophe vorbereitet: dass wir von einer feindlichen Armee angegriffen werden. Für die anderen Lagen – sei es eine Cyberattacke oder eine Pandemie – brauchen wir eine bessere Vernetzung von Bund, Ländern und Kommunen.
Die CDU stellt jetzt seit 16 Jahren die Kanzlerin – und erkennt nun, wie dringend sich Deutschland modernisieren muss. Warum wurde das nicht einfach angepackt?
Wir haben in den vergangenen Jahren eine Menge auf den Weg gebracht, beispielsweise die Digitalisierung der Verwaltung. Durch das Registermodernisierungsgesetz zum Beispiel müssen die Leute zukünftig beim Kontakt mit der Verwaltung nicht immer und immer wieder die gleichen Daten angeben, obwohl sie in einem anderen Amt schon bekannt sind. Aber für eine völlig grundlegende Modernisierung braucht man einen Anlass, ein Fenster, ein Momentum. Dieses Momentum ist jetzt da. In der Pandemie haben alle gesehen, wo es hakt. Vorher waren Politik, Gesellschaft und Wirtschaft in einem Zustand, in dem es gut gelaufen ist. Die Unternehmen haben gut verdient, viele Menschen hatten einen gewissen Wohlstand, wir waren toll in der Komfortzone. Es fehlte der äußere Anlass für eine umfassende Reform.
Aber die Rückständigkeit in der Digitalisierung war doch bereits vor der Corona-pandemie ein Dauerthema?
Vieles ist in den vergangenen vier bis sechs Jahren besser geworden. Wir haben umfangreiche Förderprogramme aufgelegt, um unter anderem den Breitbandausbau voranzutreiben und Funklöcher zu stopfen. Nach Oberschwaben flossen dafür beispielsweise 200 Millionen Euro. Digitalisierung ist aber wesentlich mehr als Mobilfunkmasten aufzustellen und Leitungen zu vergraben. Das ist eine Notwendigkeit, aber nicht hinreichend. Hinreichend wäre es, wenn sich die öffentliche Verwaltung so organisieren würde, dass der Bürger alle Dienstleistungen, die er braucht, online über eine Eingabemaske abrufen könnte. Die große Chance in der Digitalisierung ist, dass wir umkehren können in der Philosophie, wie wir mit dem Bürger arbeiten. Wir müssen die Sache vom Bürger her denken und nicht von den Strukturen, die in den vergangenen 200 Jahren gewachsen sind. Es kann nicht sein, dass Menschen, die in sozialen Notlagen, auf Unterstützung angewiesen sind, fünf verschiedene Ansprechpartner haben. ● ●
Auch den Menschen in der Hochwassergebieten wurde schnelle, unbürokratische Hilfe versprochen. 400 Millionen Euro wurden bereits von Bund und Ländern auf den Weg gebracht. Ist das nicht viel zu wenig?
Die 400 Millionen Euro sind eine allererste Soforthilfe, damit sich die Menschen, die alles verloren haben, mit dem Notwendigsten eindecken können und zur Beseitigung unmittelbarer Schäden. Der zweite Schritt wird gerade organisiert. Wir werden zusätzliche Mittel im Milliardenbereich aufbringen, um Schäden zu beseitigen, die Produktionsgrundlagen von Unternehmen und die Infrastruktur wiederherzustellen. Da laufen bereits die Verhandlungen. Wir werden dazu schnell Lösungen vorlegen.
Die Hochwasser-katastrophe hat die Corona-pandemie etwas aus den Schlagzeilen verdrängt. Können Sie ausschließen, dass nach der Bundestagswahl wieder ein Lockdown kommt?
Es ist verfassungsrechtlich schwierig, die Grundrechte von Geimpften in dem Maße einzuschränken, wie wir sie eingeschränkt haben, als Impfungen noch nicht möglich waren. Damit beantwortet sich eigentlich Ihre Frage. Wir werden uns auch über weitere Kennzahlen unterhalten müssen, weil eine 50er-inzidenz in einer Bevölkerung, die zu 70 Prozent geimpft ist, andere Auswirkungen auf das medizinische System hat als in einer nichtgeimpften Bevölkerung.
Würden Sie eine Impfpflicht gegen Corona befürworten?
Wir sind ein freiheitliches Land und müssen versuchen, diejenigen, die noch nicht geimpft sind, mit Argumenten zu überzeugen. Da bin ich ganz optimistisch. Und ich appelliere an alle, vorsichtig zu sein und nicht alle Freiheiten zu nutzen, die derzeit wieder möglich sind. Wir brauchen für den Schulstart im August und September eine vernünftige Inzidenz, damit – auch ohne umfassende Impfung der Kinder – wieder weitgehend normaler Schulunterricht möglich wird.