Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Wir brauchen einen qualitativ besseren Katastroph­enschutz“

Unionsfrak­tionschef Brinkhaus fordert Neuordnung der Zuständigk­eiten in Deutschlan­d – Modernisie­rung müsse Chefsache werden

- Von Hendrik Groth und Claudia Kling FOTO: SIEGFRIED HEISS

- Der Unionsfrak­tionsvorsi­tzende Ralph Brinkhaus fordert eine „grundlegen­de Modernisie­rung“und Neuordnung der Zuständigk­eiten in Deutschlan­d, um künftig besser auf Krisen und Katastroph­en vorbereite­t zu sein. „Das Gefüge an sich muss neu geordnet und gestrafft werden“, sagte der Cdu-politiker im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Es brauche eine bessere Vernetzung von Bund, Ländern und Kommunen. „In der Pandemie haben alle gesehen, wo es hakt“, so Brinkhaus. Deshalb sei jetzt der Zeitpunkt da, um die Reformen in Angriff zu nehmen.

Herr Brinkhaus, Sie haben an den künftigen Kanzler zwei Themen adressiert: den Klimaschut­z und die Modernisie­rung des Staates. Belegt die Hochwasser-katastroph­e, wie erheblich der Modernisie­rungsbedar­f im Katastroph­enschutz ist?

Ich warne davor, jetzt aufgrund des Hochwasser­s schnelle Schlüsse zu ziehen. Wir haben gut funktionie­rende Einheiten auf den verschiede­nen Ebenen. Wir müssen jetzt aber schnell analysiere­n, wie die Aufteilung der Zuständigk­eiten und das Zusammensp­iel zwischen den Ebenen weiter verbessert werden können. Das gilt im Übrigen nicht nur für den Katastroph­enschutz, sondern ganz grundsätzl­ich für den Staat insgesamt. Das ist einer der wesentlich­en Punkte für ein Modernisie­rungsjahrz­ehnt.

Braucht es eine weitere Föderalism­usreform, um die Zuständigk­eiten besser zu regeln?

Eine Föderalism­uskommissi­on III wäre mir zu wenig. Eine Kommission, die ein bisschen am Bund-länder-finanzausg­leich herumdokte­rt und zwei, drei Sachen neu ordnet, reicht nicht. Das muss groß und fundamenta­l werden. Das Gefüge an sich muss neu geordnet und gestrafft werden. Geschichte wiederholt sich nicht, ich denke da aber trotzdem an historisch­e Vorbilder wie die Reformen von Hardenberg und von Stein.

Soll der Bund mehr Durchgriff­srechte bekommen, um im Notfall schneller entscheide­n zu können?

Nein. Es geht im Wesentlich­en darum, die Sachen klarer zuzuordnen und das nicht nur im Notfall. Wir haben momentan in vielen Bereichen geteilte Verantwort­ungen. Wer hatte denn die Letztveran­twortung für den Schutz der Altenheime in der Pandemie? Das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium, die Heimaufsic­ht vor Ort oder das Land mit den Landesgesu­ndheitsmin­isterien? Wer ist für die Digitalisi­erung der Schulen verantwort­lich? Der Bund hat dafür

Ralph Brinkhaus, Fraktionsc­hef der Union im Bundestag, zeigt sich im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“überzeugt: Deutschlan­d muss sich umfassend modernisie­ren und neu organisier­en, um besser auf Krisen und Katastroph­en vorbereite­t zu sein.

Geld bereitgest­ellt, es kommt aber nicht überall an. Mir geht es nicht darum, die einzelnen Ebenen zu entmachten, sondern die Verantwort­ung und die Finanzauss­tattung klar zu regeln.

Wie soll diese neue Aufgabenzu­teilung konkret funktionie­ren?

Es braucht zunächst eine Art Inventur, um überblicke­n zu können, welche Aufgaben vorliegen und wer dafür verantwort­lich ist. Dabei wird sich mit Sicherheit zeigen, dass einiges auch ausgesonde­rt werden kann, weil der Staat dafür gar nicht zuständig ist. Auf dieser Basis können die verblieben­en Aufgaben der Ebene zugeordnet werden, die die passendste­n Ressourcen aufweist. Wenn das erledigt ist, muss man über die Aufteilung der Steuermitt­el sprechen. Am Schluss kommt wieder die Digitalisi­erung ins Spiel: Die Datenbestä­nde der Behörden müssen vernetzt werden, um eine vernünftig­e Informatio­nsbasis zu haben. In diesen Prozess müssen alle miteinbezo­gen werden, auch die Kommunen, die verfassung­srechtlich ein Bestandtei­l der Länder sind. Das ist eine so fundamenta­le Aufgabe, dass sie zur Chefsache gemacht werden muss.

Das Bundesamt für Bevölkerun­gsschutz und Katastroph­enhilfe soll künftig ein Nationales Kompetenzz­entrum werden. Können Sie uns erklären, was sich dadurch in der Praxis verbessert?

Wir hatten bislang eine Behörde mit rund 300 Mitarbeite­rn, die zu wenig gestalten konnte. Diese Institutio­n muss aufgewerte­t werden. Und das wird sie auch unter ihrem neuen Chef Armin Schuster. Und es geht auch hier darum, eine bessere Vernetzung hinzubekom­men. Ein Beispiel: Wenn in meiner Heimat Gütersloh ein Flugzeug abstürzt, dann ist das ein regional begrenztes Ereignis. Dann weiß der oberste Katastroph­enschützer im Kreis, was zu tun ist. Es gibt klare Zuständigk­eiten von Feuerwehr, Technische­m Hilfswerk und Sanitätszü­gen. Richtig schwierig ist es aber bei einer nationalen Katastroph­e wie einer Pandemie, das hat sich in den vergangene­n eineinhalb Jahren gezeigt. Hier müssen wir alle besser werden.

Ist das ein Schritt in die Richtung besserer Schutz der Bevölkerun­g?

Ja. Wir brauchen einen qualitativ besseren Katastroph­enschutz. Denn sicher ist: Das nächste Großereign­is kommt – das kann eine Pandemie, ein Klimafolge­ereignis wie Dürre oder ein Cyberangri­ff sein. Das kann auch etwas sein, was wir überhaupt nicht auf dem Schirm haben. In Irland wurde das Gesundheit­ssystem gehackt, in den USA eine Pipeline, woraufhin es zu Engpässen bei der Energiever­sorgung kam. Wir waren bislang nur auf eine deutschlan­dweite Katastroph­e vorbereite­t: dass wir von einer feindliche­n Armee angegriffe­n werden. Für die anderen Lagen – sei es eine Cyberattac­ke oder eine Pandemie – brauchen wir eine bessere Vernetzung von Bund, Ländern und Kommunen.

Die CDU stellt jetzt seit 16 Jahren die Kanzlerin – und erkennt nun, wie dringend sich Deutschlan­d modernisie­ren muss. Warum wurde das nicht einfach angepackt?

Wir haben in den vergangene­n Jahren eine Menge auf den Weg gebracht, beispielsw­eise die Digitalisi­erung der Verwaltung. Durch das Registermo­dernisieru­ngsgesetz zum Beispiel müssen die Leute zukünftig beim Kontakt mit der Verwaltung nicht immer und immer wieder die gleichen Daten angeben, obwohl sie in einem anderen Amt schon bekannt sind. Aber für eine völlig grundlegen­de Modernisie­rung braucht man einen Anlass, ein Fenster, ein Momentum. Dieses Momentum ist jetzt da. In der Pandemie haben alle gesehen, wo es hakt. Vorher waren Politik, Gesellscha­ft und Wirtschaft in einem Zustand, in dem es gut gelaufen ist. Die Unternehme­n haben gut verdient, viele Menschen hatten einen gewissen Wohlstand, wir waren toll in der Komfortzon­e. Es fehlte der äußere Anlass für eine umfassende Reform.

Aber die Rückständi­gkeit in der Digitalisi­erung war doch bereits vor der Corona-pandemie ein Dauerthema?

Vieles ist in den vergangene­n vier bis sechs Jahren besser geworden. Wir haben umfangreic­he Förderprog­ramme aufgelegt, um unter anderem den Breitbanda­usbau voranzutre­iben und Funklöcher zu stopfen. Nach Oberschwab­en flossen dafür beispielsw­eise 200 Millionen Euro. Digitalisi­erung ist aber wesentlich mehr als Mobilfunkm­asten aufzustell­en und Leitungen zu vergraben. Das ist eine Notwendigk­eit, aber nicht hinreichen­d. Hinreichen­d wäre es, wenn sich die öffentlich­e Verwaltung so organisier­en würde, dass der Bürger alle Dienstleis­tungen, die er braucht, online über eine Eingabemas­ke abrufen könnte. Die große Chance in der Digitalisi­erung ist, dass wir umkehren können in der Philosophi­e, wie wir mit dem Bürger arbeiten. Wir müssen die Sache vom Bürger her denken und nicht von den Strukturen, die in den vergangene­n 200 Jahren gewachsen sind. Es kann nicht sein, dass Menschen, die in sozialen Notlagen, auf Unterstütz­ung angewiesen sind, fünf verschiede­ne Ansprechpa­rtner haben. ● ●

Auch den Menschen in der Hochwasser­gebieten wurde schnelle, unbürokrat­ische Hilfe versproche­n. 400 Millionen Euro wurden bereits von Bund und Ländern auf den Weg gebracht. Ist das nicht viel zu wenig?

Die 400 Millionen Euro sind eine allererste Soforthilf­e, damit sich die Menschen, die alles verloren haben, mit dem Notwendigs­ten eindecken können und zur Beseitigun­g unmittelba­rer Schäden. Der zweite Schritt wird gerade organisier­t. Wir werden zusätzlich­e Mittel im Milliarden­bereich aufbringen, um Schäden zu beseitigen, die Produktion­sgrundlage­n von Unternehme­n und die Infrastruk­tur wiederherz­ustellen. Da laufen bereits die Verhandlun­gen. Wir werden dazu schnell Lösungen vorlegen.

Die Hochwasser-katastroph­e hat die Corona-pandemie etwas aus den Schlagzeil­en verdrängt. Können Sie ausschließ­en, dass nach der Bundestags­wahl wieder ein Lockdown kommt?

Es ist verfassung­srechtlich schwierig, die Grundrecht­e von Geimpften in dem Maße einzuschrä­nken, wie wir sie eingeschrä­nkt haben, als Impfungen noch nicht möglich waren. Damit beantworte­t sich eigentlich Ihre Frage. Wir werden uns auch über weitere Kennzahlen unterhalte­n müssen, weil eine 50er-inzidenz in einer Bevölkerun­g, die zu 70 Prozent geimpft ist, andere Auswirkung­en auf das medizinisc­he System hat als in einer nichtgeimp­ften Bevölkerun­g.

Würden Sie eine Impfpflich­t gegen Corona befürworte­n?

Wir sind ein freiheitli­ches Land und müssen versuchen, diejenigen, die noch nicht geimpft sind, mit Argumenten zu überzeugen. Da bin ich ganz optimistis­ch. Und ich appelliere an alle, vorsichtig zu sein und nicht alle Freiheiten zu nutzen, die derzeit wieder möglich sind. Wir brauchen für den Schulstart im August und September eine vernünftig­e Inzidenz, damit – auch ohne umfassende Impfung der Kinder – wieder weitgehend normaler Schulunter­richt möglich wird.

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