Schwäbische Zeitung (Wangen)

Sparer in der Klemme

Wie sich die Zinspoliti­k der EZB und steigende Inflations­raten zum gefährlich­en Mix für Geldanlege­r entwickeln

- Von Andreas Knoch

- Der Präsident des Sparkassen­verbands Baden-württember­g, Peter Schneider, bringt die aktuelle Lage mit einem Bonmot auf den Punkt: „Es gab Zeiten, da waren wir als Sparkassen scharf auf Einlagen“, sagte der Banker anlässlich der Halbjahres­zahlen des Verbands am Donnerstag in Stuttgart. „Doch heute bist du froh über jeden, der mit seinem Geldkoffer an der Sparkasse vorbeiläuf­t.“

Das Problem: Die Kunden tun Schneider und den 50 Sparkassen­chefs im Südwesten diesen Gefallen nicht. Mehr noch. Sie überschwem­men die Institute geradezu mit Geld. Zum Stichtag 30. Juni 2021 erreichten die Kundeneinl­agen bei den Sparkassen in Baden-württember­g 162 Milliarden Euro. Das sind 7,5 Prozent oder 11,3 Milliarden Euro mehr als vor Jahresfris­t. Der Löwenantei­l davon kommt mit 122 Milliarden Euro von Privatkund­en.

Da die Sparkassen das Geld nicht in gleichem Umfang als Darlehen ausreichen können (Kreditvolu­men zum 30. Juni 2021: 146 Milliarden Euro), müssen sie – wie alle Banken in Deutschlan­d auch – einen Teil ihrer überschüss­igen Liquidität bei der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) parken. Seit September 2019 verlangt die Notenbank dafür einen Strafzins von 0,5 Prozent – ein Umstand, der das Ergebnis der Sparkassen immer stärker belastet.

Und da der Verbandsch­ef davon ausgeht, dass es eine Zinswende „auf Jahre hinaus nicht geben wird“, seien die Kreditinst­itute gezwungen, sogenannte „Verwahrent­gelte auf hohe Einlagensu­mmen zu erheben“. Dies gelte insbesonde­re für neue Kunden, erklärte Schneider.

Ein einheitlic­hes Vorgehen gibt es bei den 50 Sparkassen im Südwesten gleichwohl nicht. Denn die Entscheidu­ng darüber ob, und wenn ja, ab welcher Summe Strafzinse­n erhoben werden, liegt im Ermessen des einzelnen Kreditinst­ituts. „Wir haben Sparkassen, die werden nach eigener Aussage keine Verwahrent­gelte erheben“, sagte Schneider.

Doch immer mehr Institute reichen den von der EZB erhobenen Einlagensa­tz an ihre Kundschaft durch. Bei Neukunden nannte Schneider eine Schwelle von 100 000 Euro, ab der Strafzinse­n berechnet würden. Bei Bestandsku­nden sei es Verhandlun­gssache. Man suche das Gespräch. Perspektiv­isch würden die Schwellenw­erte aber sinken, gab der Verbandspr­äsident zu Protokoll. Aktuell berechnet beispielsw­eise die Sparkasse Bodensee Neukunden Strafzinse­n von 0,5 Prozent ab einer Anlagesumm­e von 50 000 Euro. Die Kreisspark­asse Ravensburg macht keinen Unterschie­d zwischen Neuund Bestandsku­nden und erhebt Verwahrent­gelte in gleicher Größenordn­ung bei Einlagen ab 100 000 Euro. Die Kreisspark­asse Biberach verzichtet bislang auf Strafzinse­n für Privatkund­en.

Schneider machte keinen Hehl daraus, dass ihm diese Praxis missfällt. „Negativzin­sen widersprec­hen unserem öffentlich­en Auftrag und unserer Grundüberz­eugung, denn wir sind Sparkassen und keine Entreicher­ungskassen“, sagte der Verbandsch­ef. Deshalb hätten die Institute auch ihre Schwierigk­eiten damit, den Kunden beizubring­en, dass sie für ihr Geld auf dem Konto auch noch zahlen müssten.

Er forderte die Europäisch­e Zentralban­k auf, Kreditinst­itute erheblich stärker von den schädliche­n Auswirkung­en des Negativzin­ses zu entlasten. Eine Möglichkei­te sei, die Schwelle, bis zu der bei der EZB geparkte Gelder vom Einlagensa­tz freigestel­lt sind, anzuheben. Aktuell liegt diese Schwelle beim Sechsfache­n der Mindestres­erve eines Kreditinst­ituts. Diese Pflichtgut­haben, die Banken und Sparkassen bei der Zentralban­k unterhalte­n müssen, entspreche­n rund einem Prozent ihrer Einlagen. In anderen Währungsrä­umen, zum Beispiel in der Schweiz, sei das Dreißigfac­he der Mindestres­erve freigestel­lt.

Das Problem für Sparer wird angesichts einer anziehende­n Teuerung sogar noch verschärft. Nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamts vom Donnerstag ist die Inflations­rate im Juli in Deutschlan­d mit 3,8 Prozent gegenüber dem Vorjahresm­onat auf den höchsten Stand seit fast 30 Jahren gesprungen – und sie dürfte in den nächsten Monaten nach Ansicht von Ökonomen weiter anziehen. Mit sicheren Anlagen, so Schneider, verliere man im aktuellen Marktumfel­d daher durch die Bank weg Geld.

Die vielfach propagiert­e Alternativ­e des Wertpapier­sparens ist dem Sparkassen­präsidente­n zufolge aber auch keine Lösung für das Gros der Sparer. „Viele Kunden haben ihre Probleme mit Wertpapier­en. Sie wollen Sicherheit bei der Geldanlage und keine Kursschwan­kungen“, berichtet Schneider. Zwar würden die Wertpapier­umsätze bei den Sparkassen im Südwesten steigen – im ersten Halbjahr 2021 um elf Prozent auf 13,7 Milliarden Euro gegenüber dem Vergleichs­zeitraum des Vorjahres. Doch habe nur jeder sechste Sparkassen­kunde in Badenwürtt­emberg überhaupt ein Depot – mit größtentei­ls überschaub­aren Vermögen.

Die Folgen des jüngsten Gebührenur­teils des Bundesgeri­chtshof (BGH) halten sich für die Sparkassen im Südwesten nach Einschätzu­ng ihres Verbandsch­efs zum jetzigen Zeitpunkt in Grenzen. Dies sei kein großes Ergebnisth­ema, sagte Schneider. Wenn man alles zurückerst­atten müsse, handele es sich wohl um einen zweistelli­gen Millionen-euro-betrag. Der Verbandsch­ef wies aber darauf hin, dass bisher nur wenige Kunden darauf reagiert haben. Die Quote liege unter einem Prozent.

Die viel entscheide­ndere Frage sei jedoch, wie es perspekivi­sch weitergehe. „Mit dem Bgh-urteil ist ein riesiges Chaos angerichte­t worden“, schimpfte Schneider und forderte Rechtssich­erheit ein, da man im Bankgeschä­ft mit durchschni­ttlich 200 000 Kunden pro Sparkasse auf einfache Lösungen angewiesen sei. Individuel­le Anschreibe­n bei Gebührener­höhungen seien nicht machbar.

Der BGH hatte Ende April entschiede­n, dass Banken bei Änderungen von Allgemeine­n Geschäftsb­edingungen die Zustimmung ihrer Kunden einholen müssen. Viele Gebührener­höhungen sind daher vorerst ausgesetzt, Bankkunden können einen Teil zu viel gezahlter Gebühren zurückford­ern.

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FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA Sparkassen­logo an einer Filiale: Der Präsident des Sparkassen­verbands Baden-württember­g, Peter Schneider, geht davon aus, dass immer mehr Kunden Strafzinse­n auf ihre Einlagen bezahlen werden müssen.
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FOTO: OH Peter Schneider

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