Ein Kindheitstraum wird wahr
Judoka Anna-maria Wagner aus Ravensburg freut sich trotz des verpassten Olympiasiegs über Bronze
- Anna-maria Wagner vom KJC Ravensburg stand mit dem breitesten Grinsen und der schönsten Bronzemedaille der Welt in Tokios Judo-tempel Budokan, und alles war vergessen: Die jahrelange Schinderei, die Entbehrungen der Pandemie, die Halbfinalpleite und der so schmerzende Arm. „Ich bin überglücklich über diese Medaille. Am Ende ist mir die Farbe egal“, sagte die 25-Jährige der „Schwäbischen Zeitung“. „Ich bin sehr stolz auf mich, dass ich es geschafft habe, meine Leistung an diesem Tag abzurufen.“
Nur 48 Tage nach ihrem Wm-triumph von Budapest krönte Wagner ein sagenhaftes Jahr mit ihrem ersten olympischen Edelmetall. „Diese Medaille bedeutet mir so viel“, sagte sie mit tränennassen Augen und brechender Stimme: „Es war ein so hartes Jahr, die Olympiaverschiebung und alles, davor die drei langen Qualijahre. Das ist jetzt einfach unbeschreiblich.“
Als Deutschlands erste Judo-weltmeisterin seit 28 Jahren war Wagner nach Tokio gekommen, entsprechend groß waren die Erwartungen. Doch im Halbfinale der Klasse bis 78 Kilogramm drohte der Traum von der Medaille dann zu platzen: Die 15 Zentimeter kleinere Japanerin Shiro Hamada besiegte die 1,82 Meter große Modellathletin Wagner nicht nur nach gerade einmal 83 Sekunden, sie verbog ihr auch nach allen Regeln der Kunst den rechten Arm. Der Haltegriff brachte Hamada, die sich später gegen die Weltranglistenerste Madeleine Malonga auch noch recht unspekaktulär zur Olympiasiegerin krönte, die entscheidende Wertung.
„Das hat gut durchgescheppert“, berichtete Wagner, „ich habe mich ordentlich verletzt. Auf die Schmerzen musste ich erstmal klarkommen.“Dann aber wuchs sie über sich hinaus. „Medaille! Ich bin Anna-maria Wagner. Ich zieh das Ding durch bis zum Schluss!“, rief sie laut, nach dieser Kampfansage marschierte sie zum Bronzeduell gegen die Kubanerin Kaliema Antomarchi auf – und biss sich durch.
„Ich habe mich einfach selbst angeschrien, damit ich den Arm vergesse“, sagte Wagner: „Ich habe mir gesagt, wenn ich den Fuß auf die Matte setze, dann ist alles scheißegal, dann gibt es nur diese Medaille – und die will ich haben.“Und sie bekam sie, die zweite für das deutsche Team nur 24 Stunden nach Silber von Eduard Trippel.
„Wenn sie hungrig und durstig auf die Matte geht, kann sie weit wie eine
Anna-maria Wagner
Rakete fliegen“, hatte Bundestrainer Claudiu Pusa gesagt. Und anders als ihre Nationalmannschafts-kollegin Martyna Trajdos musste Pusa seine Musterschülerin nicht einmal vor dem Kampf als Aufwärmprogramm einvernehmlich ohrfeigen, damit Wagner auf der Matte durchstartet.
Dass die Tourismus-management-studentin, die nach der Karriere ins Familienhotel einsteigen will, diesmal nicht wie bei der WM („Da habe ich gesehen, dass ich an einem guten Tag alle schlagen kann“) bis zu Gold durchstartete, war in ihren Augen nicht mal ein Schönheitsfehler. „Das heute ist mehr wert als der Weltmeistertitel“, sagte Wagner, denn: „Mein Kindheitstraum ist wahr geworden.“
Bis Tokio war Wagners Jahr schon extrem erfolgreich verlaufen. Zwar verpatzte sie den Auftakt beim Masters – dort verlor sie bereits im ersten Kampf –, danach startete sie eine beeindruckende Serie. Wagner gewann die Grand Slams in Tel Aviv und Kasan, katapultierte sich in der Weltrangliste
weit nach oben, bis sie schließlich in Budapest noch eins draufsetzte. Mit herausragenden Leistungen holte sich Wagner die Goldmedaille gegen die Titelverteidigerin Malonga. Ab diesem Moment stand sie endgültig im grellen Licht der Öffentlichkeit. Sie war ab diesem Zeitpunkt gefühlt überall. Der Deutsche Judo-bund (DJB) machte sie sofort zum großen Aushängeschild und lud alle Hoffnung auf ihr ab – die Wortkreation „unsere Anna-maria Wagner“war geboren.
Mit dem großen Goldwunsch flog die Ravensburgerin selbstbewusst nach Tokio. Den Druck versuchte sie dabei irgendwie wegzuhalten. Sie wolle Olympia einfach wie jeden anderen Wettbewerb auch angehen, sagte sie. Eine Woche lang genoss sie bis zum Wettkampftag die olympische Atmosphäre in Tokio, inklusive der Eröffnungsfeier. Und als es drauf ankam, am bisher wichtigsten Tag ihrer Sportkarriere, da lieferte Annamaria Wagner wieder ab und dekorierte sich mit Bronze.
„Ich habe mir gesagt, wenn ich den Fuß auf die Matte setze, dann ist alles scheißegal, dann gibt es nur diese Medaille – und die will ich haben.“