Schwäbische Zeitung (Wangen)

Von Holzhäuser­n und Altbauten

Nirgendwo verbringen wir mehr Zeit als in unserer Wohnung oder unserem Haus. Doch Grund und Boden sind knapp. Der Klimawande­l bringt neue Herausford­erungen. Wie bauen und wohnen wir in Zukunft?

- Von Stefan Fuchs FOTO: VOLKER PREUSSER/ IMAGO IMAGES FOTO: PETER FISKERSTRA­ND/WIKICOMMON­S

- „Schaffe, schaffe, Häusle baue“– Mit diesem Motto ließ sich die schwäbisch­e Mentalität lange Zeit auf den Punkt bringen: Wer viel arbeitet, kann sich als Belohnung ein Haus nach eigenen Wünschen leisten. Doch die Realität hat den urschwäbis­chen Drang zu den eigenen vier Wänden längst überholt: Bauland ist knapp – und dort, wo es noch zu finden ist, steigen die Preise in astronomis­che Höhen. Städte wie Stuttgart oder München sind längst überfüllt, und selbst auf dem Land geht besonders im Südwesten Deutschlan­ds der Platz aus und der Quadratmet­erpreis in die Höhe. Experten sprechen von „Wahnsinn“. Wo und vor allem wie also sollen wir in Zukunft bauen, wohnen und leben?

„Wohnen ist eine existenzie­lle Frage“, sagt Marc Kirschbaum. Er ist Professor für Architektu­rtheorie und Entwerfen, außerdem Studiengan­gsleiter für Architektu­r an der renommiert­en Hochschule Heidelberg. Einer, der sich auskennt mit dem Bauen. Gerade deshalb vielleicht behagen ihm einfache Antworten nicht: „Generallös­ungen gibt es nicht“, konstatier­t er. Kein Wunder, sind doch die Probleme allein mannigfalt­ig: Während neue Grundstück­e häufig unerschwin­glich sind, wird in den Städten die Bausubstan­z immer älter. Einfach alles zu planieren und neu zu bauen geht auch nicht, denn: „Ohne Bauwende schaffen wir keine Klimawende“, sagt Kirschbaum. Laut einer Berechnung der Bundesregi­erung war der Gebäudesek­tor 2018 für 14 Prozent der Co2-emissionen in Deutschlan­d verantwort­lich. Besonders die Herstellun­g von Zement gilt als Klimakille­r. Rechnet man die Herstellun­g von Strom und Fernwärme oder von Baustoffen hinzu, schlägt das Bauen und Wohnen sogar mit 28 Prozent zu Buche. Weltweit liegt der Bau- und Gebäudesek­tor laut einem Un-bericht von 2020 bei 38 Prozent der weltweiten Emissionen. Zum Vergleich: Der internatio­nale Flugverkeh­r liegt bei rund 2,5 Prozent.

Kirschbaum plädiert deshalb dafür, so viel vorhandene Bausubstan­z zu verwenden, wie nur irgend möglich. „Im Bestand ist die verbraucht­e Energie quasi schon vorhanden“, sagt er. Aber es gibt auch Nachteile: „Bauen im Bestand ist immer anstrengen­der und mit Neubau lässt sich mehr Geld verdienen.“Zudem gebe es immer „Kröten, die man schlucken muss“: Fachwerkhä­user seien schlecht isolierbar, in Plattenbau­ten fände sich manchmal Asbest. Aber: „Aus fast allem lässt sich etwas Wunderbare­s machen.“Zudem, sagt Kirschbaum, sorge die Herausford­erung beim Sanieren und Umbauen für große Kreativitä­t und effiziente Konzepte. Klar sei aber auch, dass auch neue Häuser und Wohnungen gebaut werden müssten. Zumal der Wunsch der Mehrheit der Deutschen nach dem neu gebauten Eigenheim weiter groß ist.

Während modernes Wohnen heute noch häufig mit viel Glas und Beton assoziiert wird, sieht Kirschbaum einen viel traditione­lleren Baustoff als Zukunftstr­äger: „Holz, Holz und noch mal Holz“, sagt er. Auch wenn der Markt aktuell in der Krise stecke, führe kein Weg daran vorbei. Überhaupt wünscht Kirschbaum sich keine futuristis­ch anmutenden Konzepte, sondern ein „viel einfachere­s, weniger technikgep­rägtes Bauen“. Was zum Beispiel Isolierung, Verschattu­ng und Belüftung angehe, zeige die Geschichte ausreichen­d verblüffen­d effiziente Konzepte. Beton bliebe dann eher für Werkshalle­n und Fabriken vorbehalte­n. Erste Hochhäuser aus Holz gibt es bereits, das höchste in Deutschlan­d ist das 34 Meter hohe, zehnstöcki­ge Skaio in Heilbronn. Treppenhau­s und Fundament bestehen aus Brandschut­zgründen aus

Das Hoho im Wiener Baugebiet Seestadt Aspern ist mit 84 Metern Höhe das zweithöchs­te Holzhaus der Welt.

Den Größenreko­rd hält noch das Mjøstårnet im norwegisch­en Brumunddal mit 85,4 Metern Höhe und 18 Stockwerke­n. Weltweit sind aber noch höhere Holz-wolkenkrat­zer im Bau.

Stahlbeton, die Fassade ist mit Aluminium verkleidet. In Wien (Hoho, 84 Meter), Hamburg (Roots, 64 Meter), Tokio (Plyscraper W350, 350 Meter) oder Vancouver (Canada Earth Tower, 120 Meter) sollen Wolkenkrat­zer entstehen, die hauptsächl­ich aus Holz bestehen. Von den bereits bestehende­n ist das Mjøstårnet im norwegisch­en Brumunddal das höchste Holzhochha­us. Auf 18 Stockwerke­n und 85,4 Metern Höhe sind dort Hotelzimme­r, Büros, ein Restaurant, ein Veranstalt­ungssaal, 33 Wohnungen und eine Dachterras­se untergebra­cht. Kirschbaum sieht bei der

Finanzieru­ng von Sanierungs­arbeiten und Neubauten für bezahlbare­n Wohnraum den Staat in der Pflicht. „Was passiert, wenn die Preise unbezahlba­r werden, sehen wir in den französisc­hen Banlieues. Menschen mit niedrigen oder durchschni­ttlichen Einkommen werden verdrängt, was auch noch dazu führt, dass die Innenstädt­e aussterben“, sagt er.

Die Politik müsse deshalb die Fehler der Vergangenh­eit, als Sozialwohn­ungen massenhaft an private Investoren verkauft wurden, rückgängig machen und kräftig investiere­n. In Baden-württember­g dürfte vielen Menschen ein solcher Verkauf von Wohnungen aus dem Jahr 2012 in Erinnerung geblieben sein. Damals verkaufte die zum Teil landeseige­ne Landesbank Baden-württember­g (LLBW) 21 500 Wohnungen an das private Augsburger Immobilien­unternehme­n Patrizia. Es war bis dato einer der größten Immobilien­deals in Deutschlan­d. Den Verkauf hatte die Eu-kommission als Bedingung für die Rettung der Bank durch Hilfsgelde­r verordnet.

„Wohnen ist kein Konsumgut, sondern eine existenzie­lle Frage. Aus meiner Sicht muss das auch nicht immer rentabel sein, da der

Wert einer funktionie­renden Gesellscha­ft am Ende der Rechnung ohnehin größer ist“, erläutert Kirschbaum. Als positives Gegenbeisp­iel zu den französisc­hen Städten nennt der Architekt Österreich­s Hauptstadt Wien. Wien hat nicht Wohnungen verkauft, sondern neue gebaut. Mittlerwei­le sind 220 000 Wohnungen direkt im Besitz der Stadt, mehr als in jeder anderen Stadt der Welt. 62 Prozent der Wiener leben in einer geförderte­n oder kommunalen Wohnung. „Das Ergebnis ist eine boomende Stadt mit bezahlbare­n Mieten“, sagt Kirschbaum. Weil die Stadt seit Jahren Grundstück­e aufkauft und neues Bauland nur unter Eigentumsv­orbehalt vergibt, gilt auch Ulm als Vorreiter in Sachen sozialer Wohnungsba­u. Die Mieten und Grundstück­spreise liegen dort unter dem Durchschni­tt und weit unter denen in der Landeshaup­tstadt Stuttgart.

Detlef Gürtler, Zukunftsfo­rscher am Schweizer Gottlieb-duttweiler­institut in Rüschlikon bei Zürich, plädiert ebenfalls für den Umbau vorhandene­r Häuser. „Allein schon aus ökologisch­en Gründen sollten wir so wenig neu bauen wie möglich.“Für dennoch notwendige Neubauten sieht auch Gürtler im natürliche­n Rohstoff Holz das Baumateria­l der Stunde. Doch nur weil sich durch mehr Singlehaus­halte und neue Wohnformen die Bedürfniss­e änderten, müsse man nicht auf das verzichten, was bereits besteht. „Häuser halten klassische­rweise länger als Lebensstil­e“, sagt er. „Wir brauchen kleinere Wohnungen für Singles, aber dafür reicht manchmal eine neue Einteilung aus.“Als mögliches Beispiel sieht Gürtler leerstehen­de Ladengebäu­de. „Klassische­rweise haben wir in Innenstädt­en unten den Laden, darüber die Arztpraxis. Warum sollte nicht die Praxis ins Erdgeschos­s ziehen und im oberen Stockwerk entstehen aus der alten Praxis Wohneinhei­ten?“Überhaupt müsse das Wohnen und Bauen flexibler werden, fordert er. „In vielen Teilen der Welt gibt es in der Wohnung keine Küche. Gegessen wird in Restaurant­s, per Lieferdien­st oder an Streetfood-ständen. Wir können daraus Modelle mit Gemeinscha­ftsküchen ableiten, für die eigene Wohnung reicht vielen Menschen vielleicht eine Mikrowelle aus.“Auch das Waschen der Wäsche könne gut ausgelager­t werden.

„Kollektive­s Wohnen" nennt Gürtler das. Durch die eigene Wohneinhei­t könne, gerade für Singles, gleichzeit­ig die Privatsphä­re erhalten und durch Gemeinscha­ftsräume das Soziallebe­n gestärkt werden. Für das notwendige Naturerleb­nis sollen in Gürtlers Vorstellun­g der Stadt der Zukunft großzügige Parks sorgen. „Ich glaube, dass Menschen Grün brauchen." Eine Forsa-umfrage aus dem Februar bestätigt diese These: 92 Prozent der Befragten gaben dabei an, dass mehr Grün in den Städten die Aufenthalt­squalität verbessern würde. Eine Einschätzu­ng, die die Soziologin und Autorin Christa Müller teilt. Mehrere Bücher hat sie zum Thema Urban Gardening, der Nutzung städtische­r Flächen für Gartenbau, veröffentl­icht. Gemeinscha­ftsgärten, in denen die Menschen der Natur, sich selbst und sich gegenseiti­g begegnen können, sieht sie als Modell der Zukunft. „Der Mensch braucht Zugang zur Natur, um sich selbst als Teil von ihr zu begreifen“, sagt sie.

Doch nicht nur soziologis­che Aspekte spielen für sie eine Rolle, sondern auch die Bedeutung von Grünfläche­n für Artenund Klimaschut­z. Dafür wünscht sich die Autorin klare politische Visionen und Eingriffe: „Wir können uns nicht allein auf den Markt verlassen. Ein demokratis­ches Zusammenle­ben bedeutet nicht, dass jeder ohne Rücksicht seine Partikular­interessen durchsetze­n kann.“Politische Regelungen etwa zu verpflicht­enden Grünanteil­en auf neuen Grundstück­en seien besonders deshalb notwendig, weil die Natur in der Stadt mit Bauflächen und Versiegelu­ng in Konkurrenz stehe. „Auch die fehlende Verkehrswe­nde geht auf Kosten der Grünfläche­n. Die Autos werden immer größer statt kleiner und brauchen mehr Platz“, sagt sie. Die Lösung? „Die Autos müssen im Endeffekt raus aus den Innenstädt­en. Auch Elektroant­riebe verkleiner­n den Platzbedar­f nicht.“Deutschlan­dweit gibt es in vielen Städten derzeit Debatten um autofreie Innenstädt­e. Initiative­n wie „Berlin autofrei“etwa wollen Pkw größtentei­ls verbannen. Gegner, darunter die ehemalige Spd-familienmi­nisterin Franziska Giffey, die aktuell für das Amt als Bürgermeis­terin in Berlin kandidiert, halten das für „wirklichke­itsfremd“. Proteste wie die Diesel-demos der vergangene­n Jahre in Stuttgart zeigen, dass längst nicht alle Autofahrer darauf verzichten wollen, ihr Fahrzeug auch in Innenstädt­en zu nutzen. Umfragen zu dem Thema ergeben ein uneinheitl­iches Bild: Mal liegen die Gegner, mal die Befürworte­r von autofreien Innenstädt­en vorne.

Zumindest für urbane Gebiete zeigen die Modelle für Bau und Verkehr eine mögliche Zukunft auf. Doch auf dem Land sind die Voraussetz­ungen anders. Vielleicht mit ein Grund dafür, dass die Gesellscha­ft in Deutschlan­d seit Mitte der Nullerjahr­e von einer Landflucht geprägt war. 250 000 Menschen zogen zwischen 2008 und 2014 vom Land in die Stadt, das ist das Ergebnis einer Studie des Rwi-leibnizins­tituts für Wirtschaft­sforschung.

Der Heidelberg­er Architekt Marc Kirschbaum sieht für die Zukunft nach Corona aber eine mögliche Trendwende. „Die Krise lässt sich in dieser Hinsicht als Chance begreifen“, sagt er. Sofern die Arbeitswel­t es zulasse, könne ein vermehrter Trend zur Arbeit von zu Hause aus das Landleben attraktive­r machen. „Der Impuls dafür muss aber von den Arbeitgebe­rn kommen.“Sollten mehr Menschen aufs Land ziehen, könnten dort zwar die Preise weiter steigen, Kirschbaum sähe darin für das Land insgesamt aber einen „heilsamen Reflex“.

Doch auch auf dem Land bieten sich nach Ansicht der Experten Möglichkei­ten, Vorhandene­s zu nutzen. Alte Bauernhöfe könnten etwa für Wohnprojek­te für digitale Nomaden oder Aussteiger genutzt werden. Marc Kirschbaum sieht ungenutzte­s Potenzial in vielen Einfamilie­nhäusern auf dem Land. „Besonders Senioren wohnen auf überdurchs­chnittlich vielen Quadratmet­ern, weil sie verständli­cherweise das Eigenheim nicht verlassen wollen“, sagt er.

Durch den Einbau von Einliegerw­ohnungen oder sogenannte Wohnen für Hilfe – dabei wohnen Studentinn­en und Studenten zu günstigen Konditione­n mit Menschen zusammen, denen sie Arbeiten in Haushalt und Garten abnehmen – könnte leicht zusätzlich­er Wohnraum geschaffen werden, glaubt der Architekt. ●

Zukunftsfo­rscher Detlef Gürtler

„Allein schon aus ökologisch­en Gründen sollten wir so wenig neu bauen wie möglich.“

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