„Beim Sport werden Botenstoffe ausgeschüttet“
Studie untersucht Wirkung von Bewegung bei Depressionen – Teilnahme auch in Ulm und Weingarten möglich
- Sebastian Wolf (Foto: privat, Sportpsychologe und Leiter der Nachwuchsgruppe „Exercise and Mental Health“am Institut für Sportwissenschaft der Uni Tübingen, erforscht, wie Sport die seelische Gesundheit positiv beeinflusst. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen hat er das Programm „Impuls – starke Psyche durch Motivation und Bewegung“entwickelt. Die Wissenschaftler wollen überprüfen, ob und wie „Impuls“für Menschen mit depressiven Erkrankungen oder Angststörungen vor allem im ambulanten Bereich hilfreich sein kann. Im Interview stellt Studienleiter Wolf das Projekt vor und berichtet außerdem, welche Folgen der Bewegungsmangel während Corona haben kann.
Herr Wolf, wie sind sie auf die Idee gekommen ein sport- und bewegungstherapeutisches Programm wie „Impuls“zu entwickeln?
Mir ist vor vier oder fünf Jahren bewusst geworden, dass die Studienlage zum positiven Einfluss von sportlicher Aktivität auf depressive Erkrankungen sehr gut ist. Es lässt sich nicht länger sagen, dass Psychopharmaka grundsätzlich deutlich besser wirken als sportliche Aktivität und Bewegung. Da habe ich im Rahmen eines studentischen Seminars angefangen, das „Impuls“-programm zu entwickeln und in einem kleineren Projekt getestet, ob es überhaupt funktioniert. Die Ergebnisse waren sehr gut und die Patienten begeistert.
„Impuls“ist vor einigen Monaten angelaufen, immer wieder starten neue Kleingruppen, eine Teilnahme ist also nach wie vor möglich. Doch wie sieht das Programm genau aus und wer kann mitmachen?
Das Angebot richtet sich an Menschen, die depressiv sind, Panikstörungen oder Agoraphobie haben, unter Schlafstörungen oder einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden. Das Programm soll Menschen ansprechen, die sich wenig bewegen, aber gerne mehr machen möchten. Für die Studie kommen immer sechs Personen für sechs Monate in Kleingruppen zusammen. Im ersten Monat trainieren die Teilnehmenden unter therapeutischer Leitung, inklusive Gruppensitzungen. Die restlichen fünf Monate sind dann freier gestaltet, die Patienten werden aber weiterhin begleitet per App und mit Telefongesprächen. Ganz wichtig ist, dass wir auch eine Kontrollgruppe haben, die am Programm nicht teilnimmt, um am Ende herauszufinden, was „Impuls“tatsächlich bewirkt hat.
Wo findet das Programm statt?
Wir haben zehn verschiedene Standorte, darunter auch Ulm, Weingarten und Crailsheim, an denen mehrere Kleingruppen betreut werden können. In den meisten Fällen ist das Programm in Rehazentren angesiedelt. Sport- und Bewegungstherapeuten, die dort arbeiten, wurden extra für das „Impuls“-programm geschult und sind zertifiziert vom Deutschen Verband für Gesundheitssport.
Wieso hilft Sport überhaupt bei psychischen Erkrankungen?
Patienten mit Depressionen fühlen sich häufig hilflos und wertlos. Sport kann ihnen dabei helfen, aktiv zu werden und Erfolgserlebnisse zu haben. Natürlich sollte man eine Bewegungsart suchen, die zu einem passt – vielleicht Tanzen gehen, Fahrradfahren oder Fußballspielen. Auch im „Impuls“-programm ist vorgesehen, dass die Teilnehmenden eine individuelle Sportart wählen, die ihnen gefällt. Studien haben zudem gezeigt, dass Sport physiologisch einen ähnlichen Effekt haben kann wie eine Psychotherapie oder Psychopharmaka.
Denn beim Sport werden Botenstoffe im Gehirn ausgeschüttet beispielsweise sinkt der Kortisolspiegel, der bei depressiven Patienten erhöht ist. Trotz dieser Erkenntnisse gibt es vor allem im ambulanten Bereich fast keine bewegungstherapeutischen Angebote. Hinzu kommt, dass gerade dort die Wartezeiten auf einen Therapieplatz sehr lange sind. Mit dem Impuls-programm wollen wir in diese Versorgungslücke gehen.
Wie will das Impuls-programm da genau Abhilfe schaffen?
„Impuls“bietet die Möglichkeit Patienten abzuholen, die mit der klassischen Versorgung nicht zurechtkommen, die keinen ambulanten Therapieplatz bekommen haben oder das Programm zusätzlich machen wollen. Da „Impuls“auf Kleingruppen zugeschnitten ist, können wir mehreren Menschen auf einmal ein Angebot machen. Die klassische Therapie findet häufig nach wie vor alleine statt und nicht in Gruppen.
Wie schätzen Sie die Auswirkungen der Corona-pandemie ein, einer Zeit, in der sich vermutlich viele Menschen deutlich weniger bewegt haben als sonst?
Wir haben zwei größere Forschungsprojekte zu Corona, unabhängig von „Impuls“, gemacht. Dabei hat sich herausgestellt, dass Depressionen und Angstwerte im Vergleich zur Vor-coronazeit sehr hoch sind. Die Verringerung von sportlichen Aktivitäten geht auch mit einem Anstieg von Depressionen einher. Deshalb ärgere ich mich auch über die Kampagne der Bundesregierung, die zwar den Aufruf gestartet hat, zu Hause zu bleiben, aber nicht, trotzdem weiter sportlich aktiv zu sein. Nach dem Motto: Das ist jetzt in Ordnung. Wir wissen aber, wie elementar wichtig Bewegung für die Prävention diverser Erkrankungen ist.
Wie gelingt es, den inneren Schweinehund zu überwinden und wieder mehr Sport zu machen?
Das wichtigste ist, den ersten Schritt zu machen und sich zu motivieren. Dabei hilft die Erinnerung daran, wie gut es getan hat, als man noch mehr Sport gemacht hat oder man spricht mit einem Freund darüber, dass man an einem bestimmten Tag Sport machen möchte. Oder man macht es direkt zusammen. Dann hat man gleich einen „Zeugen“für sein Vorhaben und zieht es eher durch.