Schwäbische Zeitung (Wangen)

Gegen den Zorn des Olympiagot­tes

Ringer-weltmeiste­r Frank Stäbler möchte seine außergewöh­nliche Karriere mit dem Olympiasie­g krönen – Doch es gibt viele Hinderniss­e

- Von Martin Deck

- Frank Stäbler ist tief gefallen. Bevor er sich aufmachte, sich seinen größten Traum zu erfüllen, stellte sich der Ringer zunächst seiner größten Angst – der Höhe. Nachdem sich der Musbacher ins Bodenlose gestürzt hat, ist der Fallschirm­sprung-novize endgültig bereit für seinen olympische­n Höhenflug. In Tokio will der dreimalige Ringer-weltmeiste­r endlich eine Olympiamed­aille gewinnen – am liebsten natürlich die goldene. „Ich habe den Gold-traum schon so viele Jahre – und ich kann es schaffen, wenn es perfekt läuft.“

Dass Stäbler die Propeller-maschine Pilatus Porter in 400 Metern Höhe als Tandem-springer verlassen hat, war für den 32-Jährigen der letzte mentale Kick vor dem anvisierte­n Höhepunkt und Abschluss seiner internatio­nalen Karriere. „Es war der Sprung gegen die Zweifel und in die Freiheit“, sagte er vor seiner Abreise nach Tokio: „Das war ein krasser Moment. Die Angst war auf dem Siedepunkt, selbst der Druck in Tokio kann das wahrschein­lich nicht toppen. Jetzt ist das Vertrauen da, dass alles gut gehen wird.“

Es waren die Erfahrunge­n von den Spielen 2016 in Rio, die Stäbler zu diesem ungewöhnli­chen Schritt bewogen haben. Vor fünf Jahren war er als großer Favorit an den Start gegangen, doch eine schwere Verletzung verhindert­e den Sprung auf das Podium. Zudem wurde er erdrückt von der äußeren und der eigenen Erwartungs­haltung. „Ich bin in den Katakomben zusammenge­brochen. An diesem Tag habe ich mir geschworen, dass mir das in Japan nicht noch mal passiert.“

Doch die vergangene­n fünf Jahre sind nicht spurlos an ihm vorbeigega­ngen. „Der Olympiagot­t hat mir enorme Steine in den Weg gelegt.“Stäbler war im vergangene­n Jahr an Covid erkrankt, verlor zeitweise 20 Prozent seiner Leistungsf­ähigkeit und leidet seit Monaten an einer chronische­n Schulterve­rletzung. Zudem hält der Griechisch-römischspe­zialist

seit Wochen eine kräftezehr­ende Diät, um das Gewicht auf 67 kg zu bringen, weil seine eigentlich­e Gewichtskl­asse (bis 72 kg) nach Rio aus dem olympische­n Programm genommen wurde.

„Es ist ein extremer Verzicht“, sagt Stäbler, der seit mehr als drei Monaten komplett auf industriel­len Zucker verzichtet. Um sich bei seinem Kampf gegen die Kilos nicht ablenken zu lassen, hat sich der 32-Jährige vor seinem Wettkampfa­uftakt am Dienstag von der Außenwelt abgekapsel­t. Das Handy liegt unbenutzt in der Ecke, die sonst reichhalti­g bestückten Kanäle des dreimalige­n Ringer-weltmeiste­rs in den sozialen Netzwerken werden nicht mehr versorgt. „Ich bin ab jetzt im Offline-modus“, ließ Stäbler seine Fans am Freitag aus dem olympische­n Dorf wissen: „Nun kommen die finalen letzten harten Tage. Die letzten zwei Kilos müssen noch runter – und dann kann es endlich losgehen.“

Doch anders als es bei einer regulären Austragung der Spiele im vergangene­n Jahr gewesen wäre, zählt der Europameis­ter von Februar 2020 in Tokio nicht mehr zu den ganz großen Favoriten. Das frühe Aus bei der zurücklieg­enden EM im April war für viele Beobachter das eindeutige Zeichen dafür, dass der deutsche Vorzeigeri­nger der vergangene­n Jahre seinen Zenit überschrit­ten hat. Weitere Vorbereitu­ngswettkäm­pfe hat die lädierte Schulter nicht zugelassen. Dennoch geht Stäbler mit viel Optimismus in das letzte Highlight seiner außergewöh­nlichen Karriere. „Ich glaube, ich habe mich noch nie so sehr auf ein Event gefreut, weil ich noch sie so lange darauf hingefiebe­rt habe.“

Diese Euphorie hat auch nur einen leichten Dämpfer bekommen durch die Nachricht, dass bei den Spielen keine Zuschauer in der Halle sein werden. Dabei braucht Stäbler Publikum wie kein Zweiter, um sich zu Höchstleis­tungen zu bringen. Bei der EM im in Polen schied er vor leeren Rängen früh aus. „Es kam mir vor wie ein Trainingsk­ampf“, sagt er, betont aber, dieses Mal besser auf die Geisterkul­isse vorbereite­t zu sein. „Es geht alles über die Vorstellun­gskraft: In meinem Kopf sind da dann 50 000 euphorisch­e Menschen.“

Nichts und niemand soll ihn aufhalten, auf seinem Weg zu olympische­n Ehren. Stäbler will bereit sein und sich für die Schmerzen und Entbehrung­en der vergangene­n Jahre belohnen – frei nach dem Motto seines großen Vorbilds Muhammad Ali: „Leide jetzt und lebe danach ein Leben als Champion.“Und der Schwabe kann sich kein schöneres Leben vorstellen als das eines Olympiasie­gers.

 ?? FOTO: KADIR CALISKAN/DPA ?? Alles auf Gold: Eigentlich wollte Frank Stäbler (li.) seine Karriere nach den Olympische­n Spielen 2020 beenden. Aufgrund der coronabedi­ngten Verschiebu­ng des Weltsportf­ests hat er noch mal ein Jahr drangehäng­t.
FOTO: KADIR CALISKAN/DPA Alles auf Gold: Eigentlich wollte Frank Stäbler (li.) seine Karriere nach den Olympische­n Spielen 2020 beenden. Aufgrund der coronabedi­ngten Verschiebu­ng des Weltsportf­ests hat er noch mal ein Jahr drangehäng­t.

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