Impfstoff spenden aus Eigennutz
Auf eine Drittimpfung gegen Corona in reichen Staaten vorerst zu verzichten, um den Menschen in ärmeren Ländern zu helfen: Der Appell der Weltgesundheitsorganisation wirkt ziemlich verquer. Denn in der Praxis hätte er zur Folge, dass die Verletztlichsten in der Corona-pandemie auf etwas verzichten müssten, was wegen der Deltavariante wohl dringend erforderlich ist – eine Auffrischungsimpfung. Wenn die Zahlen aus Israel zutreffen, hat die Wirksamkeit der Biontech/ Pfizer-impfung gegen eine Coronainfektion in den vergangenen Wochen stark nachgelassen. Auch in Deutschland sollen deshalb Risikogruppen vom September an eine dritte Impfung bekommen können.
Muss der gesundheitlich angeschlagene Senior nun ein schlechtes Gewissen haben, wenn er dieses Angebot annimmt? Nein, das muss er nicht. Es kann nicht sein, dass der Gesundheitsschutz älterer oder immungeschwächter Menschen hierzulande und die Not der Menschen in Afrika in eine Art Konkurrenzverhältnis gebracht werden. Dass die WHO diesen Vorschlag überhaupt gemacht hat, resultiert wohl aus der Verzweiflung über die unglaublich geringen Impfquoten in armen Ländern. Dabei ignoriert die Organisation, dass die Regierenden in Deutschland und anderswo zum Schutz der Gesundheit ihrer Bürger verpflichtet sind – und notwendige Impfungen deshalb keine Gunst sind.
Gleichwohl sollte es dem reichen Teil der Erde nicht egal sein, wie hoch die weltweite Impfquote ist. Der globale Siegeszug der Delta-variante hat allen vor Augen geführt, was passiert, wenn das Coronavirus wie in Indien auf eine große Zahl von Menschen trifft, die ihm nichts entgegensetzen können. Deshalb ist es im Eigeninteresse wohlhabender Länder, jede Impfdosis, die sie nicht selbst brauchen, an jene zu spenden, die zu wenig davon haben. Auf Dauer kann das allerdings keine Lösung sein, denn dieses Vorgehen verfestigt Abhängigkeitsverhältnisse, die nicht in eine postkoloniale Welt passen. Wer ärmeren Ländern längerfristig helfen will, muss es ihnen ermöglichen, Vakzine selbst zu produzieren. Der Patentschutz für Corona-impfstoffe ist nicht sakrosankt.