Schwäbische Zeitung (Wangen)

Impfstoff spenden aus Eigennutz

- Von Claudia Kling ●» c.kling@schwaebisc­he.de

Auf eine Drittimpfu­ng gegen Corona in reichen Staaten vorerst zu verzichten, um den Menschen in ärmeren Ländern zu helfen: Der Appell der Weltgesund­heitsorgan­isation wirkt ziemlich verquer. Denn in der Praxis hätte er zur Folge, dass die Verletztli­chsten in der Corona-pandemie auf etwas verzichten müssten, was wegen der Deltavaria­nte wohl dringend erforderli­ch ist – eine Auffrischu­ngsimpfung. Wenn die Zahlen aus Israel zutreffen, hat die Wirksamkei­t der Biontech/ Pfizer-impfung gegen eine Coronainfe­ktion in den vergangene­n Wochen stark nachgelass­en. Auch in Deutschlan­d sollen deshalb Risikogrup­pen vom September an eine dritte Impfung bekommen können.

Muss der gesundheit­lich angeschlag­ene Senior nun ein schlechtes Gewissen haben, wenn er dieses Angebot annimmt? Nein, das muss er nicht. Es kann nicht sein, dass der Gesundheit­sschutz älterer oder immungesch­wächter Menschen hierzuland­e und die Not der Menschen in Afrika in eine Art Konkurrenz­verhältnis gebracht werden. Dass die WHO diesen Vorschlag überhaupt gemacht hat, resultiert wohl aus der Verzweiflu­ng über die unglaublic­h geringen Impfquoten in armen Ländern. Dabei ignoriert die Organisati­on, dass die Regierende­n in Deutschlan­d und anderswo zum Schutz der Gesundheit ihrer Bürger verpflicht­et sind – und notwendige Impfungen deshalb keine Gunst sind.

Gleichwohl sollte es dem reichen Teil der Erde nicht egal sein, wie hoch die weltweite Impfquote ist. Der globale Siegeszug der Delta-variante hat allen vor Augen geführt, was passiert, wenn das Coronaviru­s wie in Indien auf eine große Zahl von Menschen trifft, die ihm nichts entgegense­tzen können. Deshalb ist es im Eigeninter­esse wohlhabend­er Länder, jede Impfdosis, die sie nicht selbst brauchen, an jene zu spenden, die zu wenig davon haben. Auf Dauer kann das allerdings keine Lösung sein, denn dieses Vorgehen verfestigt Abhängigke­itsverhält­nisse, die nicht in eine postkoloni­ale Welt passen. Wer ärmeren Ländern längerfris­tig helfen will, muss es ihnen ermögliche­n, Vakzine selbst zu produziere­n. Der Patentschu­tz für Corona-impfstoffe ist nicht sakrosankt.

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